Warum Weihnachten mich und meinen Freund entzweit und was das mit dem Lebensmittelhändler zu tun hat: Ein bisschen Hass
Erwachsen
von Martin Reichert
Es ist nicht die Religion, die einen Keil zwischen meinen Freund und mich treibt. Ich bin exevangelisch und er hat gar keine Religion. Vielmehr sind es Hamburger Reklamefritzen, die heuer einen äußerst erfolgreichen Weihnachtsspot für den Lebensmittelhändler Edeka gestaltet haben. Sie wissen schon: Der Spot, in dem der nette Opa behauptet, tot zu sein, damit seine Familie doch noch den Arsch hochbekommt und an Weihnachten nach Hause kommt.
Nach diesem rührseligen Spot war es um uns geschehen und die vorübergehende Überlegung, das Coca-Cola-Fest gemeinsam in Berlin mit schwulen Freunden zu verbringen, obsolet. Stattdessen fliegt er nun zu seinem alleinstehenden Vater (!) nach Slowenien und ich veranstalte eine Deutschlandreise mit dem Auto. Achthundert Kilometer bis zu meinen betagten Eltern, die ich dann vierhundert Kilometer weiter zu meinem Bruder chauffiere. Gut für das Klima ist das alles nicht, aber das ist Edeka scheinbar egal. Und wir sind getrennt.
Im Haus des Vaters in Slowenien darf das Wort „Homosexualität“ nicht ausgesprochen werden, und eben dort, in den Dörfern Sloweniens, wurde gerade per Referendum erfolgreich die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtlich Liebende kassiert. Dank freundlicher Unterstützung durch die Glaubens-Company aus Rom. Und auch ich werde das „Thema“ in den kommenden Tagen der heiligen Familie tunlichst vermeiden, denn sonst droht ein rascher Abbruch der Harmonie. Und meine rasche Abreise. Ich will einfach nicht hören, dass schwule Weihnachtsmärkte ein Problem für die religiöse Entfaltung von Kleinkindern sind und dass das „Thema“ überhaupt von Kindern ferngehalten werden müsse, damit sie nicht auf falsche Gedanken kommen. Ich will das nicht hören, jedenfalls nicht im Kreis meiner eigenen Familie.
So bekommt man dann die Religion doch wieder reingedrückt. In Form von Hassbotschaften, Kränkungen, Abwertungen. Wie gruselig das eigentlich ist. Sicher, auch als ich ein Kind war, war das Weihnachtfest nicht 1 a religiös, sondern deutlich säkular-konsumistisch überlagert. Aber ich konnte noch in aller Unschuld an das Christkind glauben, dass ich zwar irgendwie nie mit Jesus, sondern eher mit der Spielzeugabteilung von Karstadt in Verbindung gebracht hatte, aber immerhin. Und heute, als Erwachsener, sind mir die Weltreligionen nahezu in Gänze zum existenziellen Feind geworden.
Wenn ich das Wort Religion nur höre, sehe ich katholischen Klerus perfide gegen Gleichstellungspolitik intrigieren. Ich sehe orthodoxe Juden, die Gay-Pride-TeilnehmerInnen in Tel Aviv abstechen. Ich sehe IS-Verbrecher, die Schwule von Hochhausdächern schubsen, und Evangelikale, die in Afrika Regime unterstützen, die Homosexuelle mit der Todesstrafe bedenken. Und immer heißt es, es seien Religionen und Botschaften der Liebe. Und so weiter.
Es ist wirklich besser, man denkt nicht darüber nach. Heute gehen wir noch mal zusammen auf den Weihnachtsmarkt, mein Freund und ich. Und dann trennen sich unsere Wege. Alles nur wegen Edeka.
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