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Herzlich willkommen: Noch mehr Vögel in der Stadt

Serie (Teil 1) Pünktlich zum Winteranfang macht sich die taz Gedanken: über milde Temperaturen, Streusalz und Kraniche, die bleiben

„Igel und Frösche bleiben wach"

Jens Scharon, Artenschutzreferent Nabu Berlin

Samstagmorgen. Das Radio hat schon wieder frühlingshafte Temperaturen angekündigt; 11 bis 14 Grad heute. Die Wahrscheinlichkeit für weiße Weihnachten sinkt. Spaziergang bei Sonnenschein durch den Lietzenseepark, Vögel zwitschern, Radfahrer und Jogger kreuzen den Weg, einige Büsche voller Knospen beginnen auszutreiben. Der Lietzensee – nur drei bis vier Meter tief – friert im Winter meist schneller zu als andere Stadtseen. Doch nicht in diesem Jahr und auch schon im letzten Jahr nicht. Es ist schlichtweg zu warm.

Klimawandel? „Ja, das Klima ändert sich und der milde Dezember ist ein erstes Zeichen dafür“, sagt Jens Scharon, Artenschutzreferent beim Nabu Berlin. Dunkle Szenarien möchte er jedoch nicht malen. Bis zum Anstieg der Meeresspiegel und zum großen Artensterben dauere es noch einige Zeit. Aber ja, man spüre schon etwas vom Klimawandel hier und jetzt in der Stadt. Da es wärmer ist, bleiben mehr Vögel. Amseln, von denen normalerweise die Weibchen unsere Breitengrade verlassen, überwintern als Pärchen bei uns. Und sogar Kraniche bleiben hier. „Sie finden jetzt noch Nahrung und haben also keinen Grund, die langen Flüge auf sich zu nehmen“, sagt Scharon. „Beim Klimawandel gibt es Gewinner und Verlierer.“

Denn so ist es für einige Vögel zwar bequemer, sich nicht auf die Reise zu machen, für die Tiere, die eigentlich einen Winterschlaf brauchen – Igel oder Frösche und andere Amphibien – steigt die Anstrengung dagegen mit den Temperaturen. Ohne Kälte bleiben sie wach, verbrauchen Energie und sind im Frühjahr nicht mehr so fit, wenn es darum geht, sich zu vermehren. Langfristig schwächt das ganze Populationen. Und auch die Bienen sind irritiert über das milde Wetter. Es regt die Königin etwa dazu an, den Winter hindurch Eier zu legen, was sie mit Blick auf die Bienensaison viel zu sehr auspowert.

„Mit der Zeit passen sich viele Tiere an die veränderten Lebensbedingungen an“, sagt der Artenschutzexperte. Allerdings schaffen das nicht alle. Außerdem müssen sie auch mit neuen Freunden und Feinden klarkommen. Ein Artensterben wird zwar eher in den Bergen und Wäldern beginnen, in eher spezialisierten Lebensräumen als in der Stadt. Aber dafür kann es hier im Winter voller werden – und das nicht durch Radfahrer und Jogger im Dezember im Park. Eher weil mehr Tiere in der sowieso wärmeren Stadt überwintern und Vögel aus dem Norden nur noch bis zu uns statt in den Süden fliegen. Herzlich willkommen!

Gewinner des milden Klimas könnte übrigens auch die Stadt werden. Ging in den vergangenen Jahren das Streusalz immer wieder aus, kann die Stadt derzeit richtig sparen: Keine zusätzlichen Einsätze der Winterdienste, kein Streusalz und auch keine Feuerwehr, die eingebrochene Eisläufer aus dem Lietzensee ziehen muss. Ganz im Gegenteil: Hier schwimmen gerade noch die Entenpärchen im Sonnenschein.

Jana Tashina Wörrle

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