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Hausbesuch Sie wollte nicht so scheu sein, wollte extrovertierter sein. In Griechenland fand Michaela Prinzinger, was sie suchte, und lernte, dass man doch keine andere wird, wenn man die fremde Sprache kannIn roten Buchstaben steht da „Liebe“

von Luciana Ferrando (Text) und Amélie Losier (Fotos)

Zu Besuch bei der Bloggerin und Übersetzerin griechischer Literatur Michaela Prinzinger in Berlin. Sie ist für den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung 2015 nominiert.

Draußen: Die Ecke am Viktoria­park, wo Michaela Prinzinger wohnt, ist in der Schwebe: Wird sie nobel gentrifiziert oder hält sich der alte Kreuzberger Charme? Eingerüstete Fassaden und „Italian finest food“ sind neben Kneipen mit Dart-Flipper und „gepflegtem Bier“. In der vierten Etage eines sanierten Altbaus mit künstlichen Marmordetails überschaut Michaela Prinzinger diesen Kiez.

Drin: Prinzinger liebt den Blick von ihrem Balkon über den Park bis hin zum Berliner Fernsehturm. „Ein bisschen Horizont, ein bisschen Luft, mein verlängertes Wohnzimmer“. Sie bietet Jasmintee an. Die Tassen sind aus einem „Dritte-Welt-Laden“, der kleine, geflieste Tisch kommt aus Marokko, die Postkarten an der Wand sind aus Lissabon, und die Fotos zeigen sie und ihre Tochter.

Liebe: Aus Griechenland aber sind vor allem die Bücher. Sie stehen im Flur, ihrer Bibliothek, mit Regalen bis zur Decke. Von dort ist der Blick frei auf ein kleines Kabuff, in dem Prinzinger früher arbeitete. „Ich wollte Beruf und Leben trennen und dachte, je kleiner der Raum, desto größer die Konzentration. Irgendwann wurde es mir zu eng und bedrückend.“ Jetzt arbeitet sie im großen Wohnzimmer des Altbaus mit Holzdielen und weißen Wänden. Auf einem roten Papphocker neben dem rot bedeckten Bett liegt ein Buch mit roten Buchstaben: „Liebe“ steht auf dem Umschlag.

Was macht sie? Michaela Prinzinger steht in „intensivem Dialog“ mit der griechischen Sprache und den Büchern, die sie aus dem Griechischen übersetzt. „Übersetzen ist anstrengender, als Eigenes zu schaffen“, sagt die in Wien geborene 52-Jährige. Sie weiß das; sie hat selbst Bücher geschrieben. Beim Übersetzen passiere mehr. „Ich fühle mich gefesselt. Es ist eine Mischung aus Respekt vor den griechischen Texten und Verantwortung, die Konzepte und Ideen für die deutschen Leser verständlich zu machen.“ Sie spricht klar, hört zu und schaut direkt in die Augen. Übersetzen sei ein Spiel von Nähe und Distanz. „Wie nah ich drangehen darf, ist bei jedem Buch anders und muss ständig neu entdeckt werden.“ Das verlange so viel Achtsamkeit, dass sie nur vier oder fünf Stunden pro Tag arbeiten kann – mit „Walking-Pausen“ im Viktoriapark.

Was noch? In ihren Pausen spielt sie auch Busuki, ein griechisches Saiteninstrument, das traditionell von Männern gespielt wird und vor hundert Jahren Synonym für Underground wurde. Prinzinger übersetzt nur ein Buch am Stück. Einer ihrer Lieblingsautoren: Petros Markaris. Daneben arbeitet sie als Dolmetscherin und versucht, mit ihrem Blog Diablog.eu Deutsche und Griechen zu vernetzen. „Ich bringe Menschen aus beiden Kulturen zusammen, ich mache sie sich gegenseitig verständlich. Ich verstehe mich als Brückenbauerin.“ Das sei zur Zeit wichtiger denn je.

Warum Griechisch? Prinzingers Vater erfand gern Geschichten. „Er hatte ungarische Wurzeln und schwarze Locken. Als eine Friseurin seine Haare lobte und ihn fragte, woher er stamme, sagte er ganz überzeugt, dass seine Mutter aus Thessaloniki war.“ Die Lüge brachte seine Familie zum Lachen. Als die Urlaubszeit kam, sagte die Mutter. „Jetzt müssen wir zu deiner Mutter fahren.“ Diese Reise hat, meint Prinzinger, ihr Leben verändert. Sie war 17 damals. „Die Offenheit und Warmherzigkeit der Griechen war mir schnell vertraut, obwohl ich sehr schüchtern war“, sagt sie.

Identität: „Eine Sprache lernen zu wollen heißt auch, jemand anders sein zu wollen.“ Die Musik der Sprache, die Art, miteinander zu kommuniziere, und vor allem, wie die Menschen beim Reden gestikulieren, habe sie entzückt. „Ich wollte ein Teil davon werden.“ Später hätte sie gemerkt, dass das zwar nicht geht, dass sie aber doch viel gelernt hat: „Ich bin impulsiver, leidenschaftlicher geworden.“ Die griechische Sprache hat sie sensibler gegenüber der deutschen Sprache gemacht. „Manchmal spüre ich auf Griechisch, dass da etwas ist, das ich nicht auf Deutsch erfassen kann. Ein Subtext, ein feines Gefühl.“ Es ist eine Herausforderung, das Gleiche auf Deutsch zu finden, „diese Goldstücke, die in der deutschen Sprache wie auf dem Meeresgrund funkeln“.

Was denkt sie? Seit Griechenland nicht mehr jeden Tag in den Schlagzeilen ist, postet Prinzinger mehr auf ihrem Blog. „Im Sommer wollten die Leute die Politik verstehen.“ Darüber schreibt sie nicht. Sie mache nur Sachen, in denen sie sich gut auskenne: Literatur, Kultur, Landschaft. „Ja, ich bin Perfektionistin.“

Die Griechenlandkrise: Für sie ist sie noch lange nicht vorbei. Sie findet aber, dass es ein Wahrnehmungsproblem zwischen Deutschen und Griechen gibt. Man interessiere sich für Klischees. Die kulturelle Landschaft Griechenlands hat für sie mehr als Essen und Musik anzubieten. So ist Diablog.eu entstanden: Sie wollte Menschen finden, die sich auch verbinden und in Dialog bleiben möchten. Deshalb war es für sie wichtig, dass alle Beiträge auf Deutsch und Griechisch sind. „Es geht darum, sich besser zuhören zu lernen und trotz Schwierigkeiten ein positives Grundgefühl zu kreieren“, sagt Prinzinger. „Man kann kritisch sein oder helfen wollen, ohne den Finger zu zeigen.“ Das habe sie während des Höhepunkts der Krise schockiert, „wie viele Medien diese besserwisserische Position übernommen haben, ohne sie zu reflektieren“.

Wann ist sie glücklich? „Das ist eine schöne und wichtige Frage“, meint sie, „da das Glücklichsein für mich ein Wunsch geworden ist.“ Prinzinger erzählt, dass sie sich nach einer persönlichen und beruflichen Krise entschieden hat, nichts mehr zu verschieben. „Alles muss heute und jetzt sein.“ Das ist ihr Leitsatz geworden. „Ich möchte mir ermöglichen, glücklich zu sein, indem ich mich von Verpflichtungen befreie, mich einsetze und immer nur noch das mache, was ich machen will. So kann ich anderen Menschen gegenüber offener sein.“

Wie findet sie Angela Merkel? Sie runzelt die Stirn und schüttelt ihre aschblonde Mähne. „Was ist das für eine Frage?“ Doch sie überlegt. „Ich habe für Merkel immer Sympathie empfunden, als Frau in dieser männerdominierten Politikwelt, das muss richtig schwer sein.“ Seit der Griechenlandkrise ist ihre Sympathie gedämpft. „Sie hätte viel stärker gegen Schäuble auftreten sollen. Was sie jetzt für die Flüchtlinge macht, wie sie sich durchsetzt trotz des Gegenwinds, hat sie sich mit Griechenland leider nicht getraut.“

Sie wollen auch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

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