piwik no script img

Die Macht in Nadelstichen

Karikatur Zeichnen in der weiten Spanne zwischen Missachtung und Gerichtsverfahren: eine Schau politischer Karikatur aus Osteuropa am Wochenende im Silent Green

von Barbara Kerneck

„Manchmal hätte ich gern mehr Aufmerksamkeit für mein Arbeiten – und sei es negative“, seufzt beim Abendessen in einer Weddinger Kneipe hinter seinem Wasserglas ein schmalgliedriger Karikaturist aus der Ukraine. Seine Klage zeigt, in welch unterschiedlichen Si­tua­tio­nen sich seine Kollegen in den postsowjetischen Ländern befinden. Denn einige aus Russland hatten schon genug Aufmerksamkeit: handfeste Anklagen wegen Verleumdung, Beschimpfungen im Internet und Morddrohungen.

Es ist Donnerstag, und in der Kneipe sitzen zehn AutorInnen, die TeilnehmerInnen der Karikaturenausstellung „Macht. Politische Karikaturen in (Ost)Europa“, die dieses Wochenende im alten Weddinger Krematorium zu sehen ist. Der Titel bezieht sich ebenso auf die Machthaber als besonders häufige Zielscheibe spitzer Federn wie auf die Deutungsmacht aller KarikaturistInnen.

Organisiert hat das Ganze die Gruppe Dekabristen/iDecembrists e. V., ein quirliges Ensemble von etwa dreißig Berliner RussInnen um die 30, vorwiegend aus akademischen Berufen. Ziel dieses seit 2012 bestehenden Vereins: etwas gegen das System Putin zu unternehmen, indem man die Zivilgesellschaft im postsowjetischen Raum unterstützt.

Der Terminplan aller Anwesenden ist am ersten Vorbereitungstag übervoll gewesen, drei Vorbereitungs- und Infoseminare liegen hinter ihnen, darunter ein Treffen mit der Organisation Reporter ohne Grenzen. Wie sich herausstellt, waren die meisten der frisch Angereisten über die Möglichkeit, sich mithilfe solcher internationalen Organisationen zu verteidigen, noch nicht informiert.

Reporter ohne Grenzen fördert die Ausstellung ebenso wie der Verband der Karikaturisten der Ukraine. Dessen Vorsitzender, Konstantin Kasanchev, bestätigt die Klage seines Kollegen: „Ja, in der Ukraine werden Karikaturen im Moment wenig beachtet. Die Leute kämpfen ums Überleben. Auch wissen wir nicht mehr, wo wir publizieren sollen.“

Rund 70 Prozent der Printmedien hätten unter dem Druck der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise ihr Erscheinen eingestellt. Aber immerhin: Genau diese Ausstellung wie in Wedding könne man ohne Schwierigkeiten inzwischen auch in der Ukraine zeigen.

Frage der Selbstzensur

Und wie steht es mit Karikaturen zum Präsidenten Poroschenko? „Die gibt es nicht“, lacht Kasanchev. „Schuld daran sind allerdings weniger Verbote, das ist vermutlich eine Folge von Selbstzensur in den Redaktionen.“

Eine elegante junge Frau aus Minsk – sie publiziert nur unter diversen Pseudonymen – mischt sich ins Gespräch und erklärt das Pressesystem in Belarus: „Druck auf die Redaktionen läuft über die Finanzen. Der Vertrieb ist ausschließlich in staatlicher Hand. Er kann die Verbreitung jedes Printmediums jederzeit einstellen.“ Sie erläutert auch das System der Steuerstrafen: „In einem Zeitungsverlag, für den ich arbeite, kam einmal der Steuerprüfer und erklärte: Ich brauche von euch 100.000 Euro. Ich habe keine Zeit. Also schaut selbst nach, wofür wir euch bestrafen können.“

In Russland wird immerhin, wenn auch nicht oft, Präsident Putin noch zum Gegenstand von Karikaturen. Häufig durch den Kakao gezogen hat ihn ein Star der dortigen Karikaturistenszene, Sergey Elkin. In der Ausstellung sind Beispiele zu sehen. Da schreitet Putin als Hans Christian Andersens nackter Kaiser selig unter einem roten Baldachin. Auf dem steht sein Wahlergebnis: 89,9 Prozent. Hinter ihm ziehen sein Pressesprecher und ein Pope mit Puschelbart einher. Die drei wirken niedlich wie ein rosiges Schweinchen nebst Krümelmonstern aus dem Kinder-TV.

Als „zu böse“ für ihre Homepage lehnte dagegen die Deutsche Welle eine Putin-Karikatur Denis Lopatins von der Halbinsel Kamtschatka am Pazifik ab. Sie zeigt den Potentaten als Gestürzten und Bettler im Londoner Nebel. Auf einem Pappschildchen vor ihm liest man, orthografisch falsch: „Tyrannisiere gegen Essen“.

Auf die Frage, ob er sich so eine Schau wie im Wedding in seiner russischen Heimatstadt vorstellen könne, sagt Denis Lopatin: „Ja. In einem Keller, zu dem niemand Zutritt hat“

Lopatin, 38, schafft karikierende Gemälde, am liebsten mit Acrylfarben, in einem an Michael Sowa erinnernden Fantastischen Realismus. Kann er sich eine Ausstellung wie diese in seiner Heimatstadt Petropawlowsk-Kamtschatski vorstellen? „Ja“, antwortet Lopatin: „In einem Keller, zu dem niemand Zutritt hat.“ Er selbst wurde bereits viermal gerichtlich verklagt, außerdem von der Staatsanwaltschaft und dem Geheimdienst FSB vorgeladen. In Petropawlowsk-Kamtschatski, der Halbinselhauptstadt, kann er nirgendwo mehr publizieren. Immerhin lebt er mit Frau, Kind und Katze vom Hand-zu-Hand-Verkauf seiner Karikaturen.

Verurteilt wurde Lopatin allerdings noch nie. Offenbar benötigen ihn die Sicherheitsorgane in der Stadt mit rund 180.000 Einwohnern, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. „Nur die Kamchatskoe Vremja (Kamtschatkaer Zeit), für die ich bis vor sieben Jahren freiberuflich arbeitete, ist wegen einer Karikatur von mir einmal zu einer Geldstrafe verurteilt worden“, erzählt er: „Meine Strafe bei dieser Gelegenheit bestand darin, dass man mich aus dem Gerichtsgebäude warf.“ Er hatte auch dort gezeichnet.

Jährlich veröffentlicht Reporter ohne Grenzen ein Rating der Verletzungen von Pressefreiheit. Von den in der Weddinger Ausstellung repräsentierten Staaten kommt die Ukraine zurzeit noch relativ am besten weg (Platz 129 von 180 Ländern), am schlimmsten Aserbaidschan (Platz 162). Ein Journalist wurde dort im vergangenen Jahr ermordet, acht professionelle JournalistInnen und vier BloggerInnen sitzen in Haft.

Ausgerechnet in der dortigen Hauptstadt Baku möchten die Dekabristen die Karikaturenausstellung als Nächstes zeigen.

„Wir wollen die heimischen AkteurInnen durch Kooperation mit offiziellen In­stanzen schützen, in diesem Fall mit der deutschen Botschaft“, sagt Vereinsmitglied ­Anton Himmelspach, 37: „Natürlich ist nicht überall alles machbar. Wir werden die Auswahl ­variieren! Aber für uns ist das ein Wander- und Langzeitprojekt.“

„Macht. Politische Karikaturen in (Ost)Europa“: Silent Green ­(Altes Krematorium), Gericht­straße 35. 12./13. Dezember, 14–20 Uhr. Eintritt frei

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen