Das Wasser, endlich

Schaubühne Streng und düster ist der Blick, den Katie Mitchell in „Ophelias Zimmer“ wirft

Eine Tür knarzt, ein Schlüssel dreht sich im Schloss, Schritte entfernen sich. Wieder beginnt ein einsamer Tag für das Mädchen in ihrem Zimmer. Sie kann aus dem Fenster blicken, ein Vogel zwitschert. Sie darf nicht hinaus. Kassetten werden für sie abgegeben, auf denen eine Männerstimme erzählt, wie sehr er sie vermisst; bald aber bedrängt er sie mit Obszönitäten. Einmal spiegelt sich Feuerwerk in ihrer Fensterscheibe, einmal Blaulicht. Da ist ihr Vater ermordet worden. Dauert nicht mehr lang, da bringt sie sich um.

Auf Texten der jungen britischen Autorin Alice Birch beruht die Inszenierung von „Ophelias Zimmer“ in der Schaubühne. Birch räumt auf mit dem romantischen Bild der schönen Frauenleiche: Ophelia, wie sie mit Blumen im Fluss treibt, Maler liebten diese Szene. Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen hat den schönen Frauenleichen ausführliche Untersuchungen gewidmet, eine notwendige Abrechnung mit der männlichen Perspektive in der Weltliteratur. Die Regisseurin Katie Mitchell knüpft in ihren Inszenierungen an deren Befunde an, legt den Finger auf die wunden Stellen in den Konstruktionen von Frauenrollen, auf die ausgeblendeten Fragen nach ihren Lebensmöglichkeiten.

„Ophelias Zimmer“ ist die Geschichte eines Todes mit Ansage. Fünf Phasen des Ertrinkens kündigt ein Sprecher in einer Tonkabine an, während das Zimmer noch in einem schwarzen Schuber steckt. Geht der Kasten hoch, sitzt Ophelia da auf ihrem Bett. Stickt. Zieht sich Tag für Tag ein anderes Kleid über, bis der Körper tonnenförmig und unbeweglich geworden ist. Die Inszenierung verdoppelt die Isolation des Mädchens. Die Schauspieler der anderen Rollen stehen seitlich in der Tonkabine, die eng wie eine Telefonzelle ist, und sind fast nur über Geräusche zu hören. Jeder Tag ist ein quälendes Ereignis.

Erstickender Stillstand

Man leidet als Zuschauer mit. Mit Ophelia, deren stummes Elend, deren Verkriechen in sich selbst, von Jenny König sehr berührend gespielt wird, fast ohne Sätze. Man leidet aber auch an der depressiven Stimmung, der Monotonie, der Ausweglosigkeit, der erstickenden Atmosphäre. Die ist so konsequent inszeniert, dass man das Wasser, das gegen Ende endlich in das Zimmer fließt, fast mit Erleichterung registriert. Jetzt lieber eine Katastrophe als weiter dieser Stillstand.

Ich muss an den Tuschkasten denken, den ich mir vor langen Jahren mit einer älteren Schwester teilte. Da war alles Schwarz und Dunkelblau immer weg, weil sie so traurige Bilder malte. Sie brachte mir düstere Gedichte bei; eine Phase ihres Erwachsenwerdens. Etwas Transformatorisches fehlt in Mitchells Inszenierung, etwas, das einen Keim der Verwandlung in sich birgt. Die Schatten der anderen Figuren sind zu fern und blass, um einer ernsten Kritik unterzogen zu werden. Man bleibt sitzen auf dem Schmerz. Und geht damit nach Hause.

Katrin Bettina Müller

Wieder am 13./14./15. + 16. Dezember, 20 Uhr, in der Schaubühne