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Use your rights!

PROMIKONZERTWie war das kitschig und rührselig und schön: Patti Smith sang, Naomi Klein war auch da, ebenso wie Thom Yorke von Radiohead und so viele andere: konzertieren für den guten Klimawandel. Und auch wenn sie den Klassiker „Imagine“ intonieren, auch wenn sie in Privatjets nach Paris reisen – ihre Stimmen und ihre Kräfte werden für den wichtigen Zweck gebraucht

AUS Paris HARRIET WOLFF

Das Schlussbild dieser Veranstaltung, ja vielmehr dieses Trips, ist schlicht das beste an diesem Samstagabend vor Nikolaus. Es kommt daher wie eine Mischung aus der Muppet Show und der Sesamstraße, wie eine Mischung aus den Simpsons und dem geilsten Finale von weiland Gottschalks „Wetten, dass ...?“ Tibet ist auf der Bühne und Alaska, Saris und Violinen, Boys and Girls, Weltmusik und Weltpolitik.

Und dazu ein Pariser Publikum, das immer noch sichtlich angefasst ist vom 13. November, dem schwarzen Freitag. Patti Smith trällert tonight und vor einer zu Tränen gerührten Crowd „People have the power.“ Sie tut das zu Füßen der Basilika Sacré-Coeur, im feudalen Fin-de-Siècle-Konzertsaal Le Trianon, gelegen am wuseligen Salafisten-Büstenhalter-Transvestiten-Boulevard de Rochechouard. Alle krächzen mit, auch die anderen auf der Bühne, denn das hier ist ein Solidaritätskonzert und ein Talk für die Umwelt, ein „Climate Change Concert“, organisiert von „Pathway to Paris“, einem internationalen Kollektiv von Kreativen, das sich Gehör verschafft auf dem Klimagipfel und das Prominente für die gute Sache Umwelt eingeflogen hat.

Da trifft es sich bestens, dass die Tochter von Patti Smith, die Komponistin Jesse Paris Smith, mit im Organisationsboot von Pathway to Paris sitzt. Die anderen auf der Bühne im Le Trianon, das sind Radiohead-Sänger Thom Yorke, aber auch Flea, Bassist bei den Red Hot Chili Peppers, der Vandana Shiva zu fassen kriegt, die in einen hinreißend lilaroten Sari gewandete, korpulente indische Grande Dame des sozialen Aktivismus. Flea, mit pinkgefärbter Meckifrisur und entzückenden Minitattoos auf den Fingerkuppen, veranstaltet mit Shiva einen Rumpelstilzchen-Dance zu Pattis „People have the power“, das es nur so kracht.

Die ebenfalls anwesende Bestsellerautorin Naomi Klein neben ihnen hat derweil das Nachsehen, denn sie kann sichtlich nicht tanzen und wirkt überhaupt recht hölzern. Egal: Sie sagt und schreibt öfters die wichtigen Sachen in puncto Kapitalismus und Umwelt – ob sie gleich der Mensch ist, der „so sehr die Wahrheit sagt, wie niemand anderes“, wie sie vor ihrer Rede auf dem Konzert von Bill McKibben angekündigt wird, sei dahingestellt. McKibben, 54, ist Umweltaktivist und Chef von 350.org, einer US-Graswurzelbewegung für den Klimaschutz, und er läuft den Abend total high auf der Bühne und im T-Shirt herum.

Naomi Klein fordert „Energiedemokratie: „Besteuert endlich die Billionäre, das Geld ist da, wir müssen es jetzt für unsere Umwelt einsetzen!“ Dafür bekommt sie tosenden Applaus. Als Klein jedoch zu Redebeginn, noch mit niedlichem kanadischen Ami-Akzent auf Französisch, die gut tausend Besucher auffordert, über dem momentan von Frankreichs Regierung ausgerufenen ­Ausnahmezustand, den „état d’urgence“, den Notstand der Umwelt nicht zu vergessen, bleibt die Reaktion verhalten. Müde wird geklatscht.

Gleich nach Naomi hat Patti dann ihren Auftritt. Sie startet mit einer neuen Fassung von „Wing“, einem Song, den sie ihrer Tochter Jesse Paris („We love the city so much“ – yeah, Patti!) widmet. Patti, seit 20 Jahren im gefühlt gleichen androgynen schwarzen Schlabbersakko und mit eisgrauer Elefantenmähne, nestelt ein Kinderfoto von Jesse heraus, steckt es wieder ein, es ist alles furchtbar kitschig und gleichzeitig doch nahe am Wasser gebaut. „You could be a wing in heaven blue“, lautet eine Songzeile, und dann trägt Patti noch ein Lied vor „for Lola, a 17-year old that was killed in the Bataclan“. Von einem friedlichen Königreich, das es wieder gilt zu bauen, ist darin die Rede.

Patti Smith: Nicht nur ihr kommen die Tränen, als sie intoniert „Imagine there is no religion.“ Die Menschen johlen

Und dann kommt er, der Clou des Abends. Die nächstes Jahr 70-Jährige, für die als Einzige auf der Welt das grausame Wort „Rockröhre“ erlaubt sein sollte, und die stets authentisch machohaftes Mädchentum auf die Bühne bringt, diese Rockröhre namens Patti Smith zieht sich eine John-Lennon-Nickelbrille auf und intoniert vom Blatt (!) „Imagine“. Sie schielt dabei, sie kratzt an der kollektiven Konzertseele, natürlich singen alle mit, und am Ende kommen nicht nur ihr die Tränen: „Imagine there is no religion.“ Die Menschen johlen erleichert. „Paris, please live the joy again.“ So oder so ähnlich und natürlich plattitüdenhaft, doch what shall’s, wenn’s wieder zuversichtlicher macht, haben sich am Wochenende auch Muskel-Ex-US-Gouverneur Arnold Schwarzenegger und Schauspieler Leonardo DiCaprio geäußert, die gerade in der Stadt sind.

Promis have the power: Am Samstag hatte Arnie in seiner Rolle als Gründer der Umweltschutzorganisation ONG20 vor der Assemblée Nationale gesprochen – Schwarzenegger am Mikro der französischen Nationalversammlung. Das ist bizarr, aber richtig, denn es braucht Stars, um ein Umdenken in den Köpfen aller zu verankern, es braucht Stars, und in Zukunft auch jüngere Stars, die ein Solo hinlegen für die Umwelt.

Selbst wenn sie mit ihren Privatjets nach Paris einfliegen wie DiCaprio. Der zeigte sich am Wochenende per Daumen hoch mit der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo und Christiana Figueres von der UN. Im Le Trianon, ganz am Ende des „Climate Change Konzerts“, auf dem ein sehr kleines Bier 4 Euro kostet und im Plastikbecher serviert wird, sagt Patti Smith à la fin, und ihre Stimme ist fast nicht mehr zu hören, nur einen Satz ins Mikro: „Use your rights!“

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