: Understatement im Sessel
Lesung Neues von der Weißkohlkopffront: Funny van Dannen präsentiert im fast ausverkauften Großen Saal der Volksbühne seinen kürzlich erschienenen Erzählungsband „An der Grenze zur Realität“
von Lea Streisand
„Erbse“ ist schon immer Fan gewesen. Wir treffen ihn nach der Lesung im Foyer der Volksbühne. „Vor zehn Jahren Heiligabend“, erzählt Erbse, „hat Funny hier gespielt und seine Kinder, die waren damals noch ganz klein, rannten auf der Bühne um ihn rum. Ick habe alles von ihm zu Hause. Jedes Buch und jede CD. Die alten Sachen kann ich mitsprechen.“
Erbse heißt eigentlich anders, aber er wird von allen nur Erbse genannt. Das wiederum passt sehr gut zu den Geschichten , die wir am Sonntagabend gehört haben. Da fahren zwei Weißkohlköpfe aufs Land, um Kühe anzugucken. Oder ein Reiskorn und ein Maiskorn wollen ein Kind adoptieren. Warum soll da nicht eine Erbse in die Volksbühne gehen, um Funny van Dannen Geschichten vorlesen zu hören?
Ich mag von Funny van Dannen vor allem seine Lieder. Diese beiläufige Melancholie des Alltäglichen. Wenn er Konzerte spielt, sitzt er meist alleine auf einem Barhocker auf der Bühne. Gitarre, Mundharmonikas, ein paar Requisiten, mehr braucht er nicht. Mein Lieblingslied heißt „In letzter Zeit“ und ist auf dem Album „Basics“ von 1996. Der Refrain geht so:
„In letzter Zeit geht alles so rasend, so unwahrscheinlich schnell / Mein Kopf ist ein Flughafen und mein Herz ist ein Hotel / Stell die Blumen in die Vase, setz dich hin, zieh dich bitte aus / Geht das Ganze auch etwas kompakter und bring mir kein Kind mit nach Haus / Mach es bitte noch mal aber anders, nimm vielleicht mal ein kräftiges Blau / Sehn wir uns im April in Mailand, beweg dich, du fette Sau.“
Refrain, drei Strophen, eine Handvoll Akkorde. Van Dannen rast durch den Text mit atemlos verleierter Stimme und hektischer Schrammelgitarrenbegleitung, als müsse er gleich zum nächsten Termin und wolle dieses Lied nur eben noch schnell runtersingen, dann einen Happen Käsestulle nehmen und wieder zur Tür hinaus. Die perfekte Symbiose von Inhalt und Form.
Was er am Sonntagabend im fast ausverkauften Großen Saal der Volksbühne präsentiert, ist allerdings, sagen wir, ausbaufähig. Das liegt gar nicht an den Texten. Im Gegenteil, wer absurde Komik mag, kommt hier voll auf seine Kosten. Alles irgendwie zwischen Ringelnatz und Helge Schneider. Nur trägt er sie eben größtenteils sehr schludrig vor. Van Dannen liest seine Texte, als wolle er nichts mit ihnen zu tun haben. Er fläzt in einem Sessel und murmelt die Worte in einen Bart, den er gar nicht hat. Vielleicht ist das Punk, die Verweigerung der Anbiederung, das Understatement des Unangepassten. Ich finde es nervig. Wenn der Autor schon keine Lust auf seine Texte hat, wieso soll ich ihm dann zuhören? Während das Durcheilen der einzelnen Stücke bei den Liedern zum gelungenen Teil der Performance wird, verhindert es bei van Dannens Prosa lediglich einen Zugang zu den Texten. Auf deutsch: Wer nuschelt, kann nicht verstanden werden.
Van Dannens Lieder haben durch Rhythmus und Melodie einen festen Rahmen vorgegeben, in denen man sich als Zuhörer gut zurechtfinden kann. Aber auch Geschichten haben eine Melodie und einen Rhythmus, die eingehalten werden sollten. Sie werden vorgegeben durch Anfang, Mitte, Ende, Satzzeichen, Worte, handelnde Figuren. Funny van Dannen schreibt bildhaft und pointiert, in kurzen klaren Sätzen. Manche Geschichten erinnern an Kinderfilme mit Knetfiguren, andere an Schwarz-Weiß-Fotos von WG-Küchen-Partys. Er könnte ganze Welten vor seinen Zuhörern eröffnen. Stattdessen guckt man ihm zu, wie er die Zähne nicht auseinanderkriegt.
Nach dem ersten Teil und einer viertelstündigen Pause geht er mit dem Mund näher ans Mikrofon und wirkt insgesamt irgendwie wacher. Es gilt die alte Vorleserinnenweisheit: Der Künstler darf nicht zu bequem sitzen, sonst wird er träge. Außerdem quetscht die gekrümmte Haltung das Zwerchfell und hemmt die Stimme, so kann kein Mensch ordentlich vortragen.
Deshalb mein Fazit: Lieber Funny van Dannen, auf Barhockern sind Sie besser!
Funny van Dannen: „An der Grenze zur Realität“. Edition Tiamat 2015, 208 Seiten
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