: Melancholische Brise
Kino Ein Reigen von Körpern, an denen Episoden haften: Der Film „Ewige Jugend“ von Paolo Sorrentino nimmt sich Zeit für Momente kleiner Größe
Lungenkranke sind in Paolo Sorrentinos „Ewige Jugend“ keine auszumachen. Dennoch kommen sie alle, die Leidenden, im berühmten Schweizer Kurort Davos zusammen, um sich von Strapazen zu erholen, die sich im Laufe ihrer Leben addiert haben. Manchmal ist ihr Leiden auch im Leben selbst zu finden, nämlich dann, wenn sich der Verfall des eigenen Körpers zeigt.
Der Film „Ewige Jugend“ ist aus einer Aneinanderreihung von Körpern gebaut, die Kameramann Luca Bigazzi (seit „Le conseguenze dell’amore“ an Sorrentinos Seite) in sehr betörenden und aufwendigen Bildern eingefangen hat. Und sie alle präsentieren sich in recht unterschiedlich Stadien. Da sind zunächst einmal die beiden älteren, seit ihren Jugendtagen befreundeten Herren Fred Ballinger (Michael Caine) und Mick Boyle (Harvey Keitel). In beheizten Pools sitzend, sinnieren sie über die Vergangenheit.
Ihre Einschätzungen verlaufen dabei diametral gegensätzlich. Während Fred, ein berühmter Dirigent und Komponist, seine Karriere hinter sich gelassen hat, will es Mick, Regisseur, noch immer wissen – mit einer Gruppe hipper Autoren zieht er sich regelmäßig in abgelegene Zimmer zurück, um über Dialoge und Handlungsverläufe zu diskutieren. Die Person aber, um die sich die Öffentlichkeit reißt, heißt Fred.
Die Queen stößt auf Granit
Obschon „Öffentlichkeit“ in diesem Fall einer Untertreibung gleichkäme: Die Queen selbst hat einen Abgesandten in die Berge geschickt, um den im Ruhestand Befindlichen zu einer Vorführung seiner „Simple Songs“ zu bewegen. Diese Anfrage stößt allerdings auf Granit. Mick täte es derweil nicht schlecht, würde sich jemand für ihn und sein Schaffen interessieren. Oder besser: eine. Brenda Morel (Jane Fonda), die in seinem Filmprojekt mitspielen soll, hat sich aber leider anderweitig verpflichtet. Einen Besuch stattet sie ihrem alten Kumpel aber dennoch ab – und inszeniert eine denkwürdige Demontage ihres Diva-Selbst.
Dann gibt es noch den Schauspieler Jimmy Tree (Paul Dano), der sich ebenfalls in das luxuriöse Hotel zurückgezogen hat. Seine Vorgabe: sich auf eine neue Rolle vorbereiten. Für ihn werden die Flächen zwischen Thermal- und Parkanlagen zu einer anderen Art von Transformation, denn Jimmy soll in seinem nächsten Film Adolf Hitler mimen.
Zwischendrin: zahlreiche anonyme Körper, die verschiedenste Wellness-Behandlungen absolvieren, aufgeblähte Prominente (Diego Maradona), Miss World (Mădălina Ghenea) und Freds Tochter Lena Ballinger (Rachel Weisz), die gerade von ihrem Verlobten für die Popsängerin Paloma Faith verlassen wurde.
Es ist ein ziemlich bunter Reigen, der so zusammenkommt. „Ewige Jugend“ ist aber nicht nur eine Aneinanderreihung von Körpern – er ist eine Aneinanderreihung von Körpern, an denen kleine Episoden haften. Er ist ein an Kleinigkeiten reiches Konstrukt, das sich nur lose an einem Narrativ orientiert und dafür lieber über das Faszinosum „Zeit“ philosophiert. Dazu gibt es Gefälliges von Debussy und Bill Callahan, und auch ein bisschen Strawinsky ist zu hören. Natürlich auch die „Simple Songs“ von Fred Ballinger, die eine ganz persönliche Pforte in die Vergangenheit, in den Schmerz bilden.
Denn obwohl „Ewige Jugend“ doch oft knallig gerät und lüstern, weht eine nicht zu ignorierende – irgendwie tragische, irgendwie melancholische – Brise über die Berghänge, auf denen für Fred die Kuhglocken läuten. Das sind Momente, die in ihrer kleinen Größe gut funktionieren. Dennoch lässt einen das Spiel von praller Oberflächliche und herangezogener Tiefe ein wenig verklebt zurück. Sorrentinos Ziel, eine neue, wesentliche Ebene anklingen zu lassen, gelingt nur bedingt.
Carolin Weidner
„Ewige Jugend“. Regie: Paolo Sorrentino. Mit Michael Caine, Harvey Keitel u. a. Frankreich u. a. 2015, Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen