: Baukasten statt Siegel
ELEKTRONIK Fairphone, Shift, RePhone & Co: Zu hundert Prozent fair produzierte Smartphones gibt es noch nicht. Die Branche setzt auf modulare Systeme
Fairphone 2. Fairness-Faktor: Enthält konfliktfreies Zink und Coltan, fair geschürftes Gold. Faire Umwelt- und Arbeitsbedingungen. Öko-Faktor: modularer Aufbau, Komponenten (z. B. Akku) austauschbar. Preis: 525 €, lieferbar ab Januar 2016. http://fairphone.com
Shiftphones (Smartphone/Tablet). Fairness-Faktor: Enthält kein Coltan, faire Umwelt- und Arbeitsbedingungen. Öko-Faktor: modularer Aufbau, Komponenten (z. B. Akku austauschbar). Preis: ab 222 €, bereits lieferbar. http://shop.shiftphones.com
RePhone Kit: Smartphone-Bausatz nach Open Source-Kriterien, www.seeed.cc/rephone/
von ANSGAR WARNER
Fair geht vor, nicht nur bei Fruchtsaft, Kaffee oder Blumen. Mehr als 90 Prozent der Konsumenten achten manchen Umfragen zufolge auch schon beim Kauf von Elektronik auf die Herstellungsbedingungen in puncto Umwelt und Soziales. Doch anders als bei Orangennektar, Cappuccino oder Rosen mit Fairhandelssiegel hat das praktisch keine Auswirkungen – denn auch die 25 Millionen dieses Jahr in Deutschland verkauften Smartphones würden wohl von keiner Fairhandelsorganisation ein Siegel verpasst bekommen.
Große Hersteller wie Apple oder Samsung haben zwar Besserung gelobt, sehr viel verändert hat sich nicht: „Bis dato kann man kein einziges Smartphone als hunderprozentig fair hergestellt bezeichnen“, so fasst Elisabeth Schinzel von Südwind die Ergebnisse einer Nachhaltigkeitsstudie zusammen.
Es gebe aber immerhin Lichtblicke, etwa das Fairphone aus den Niederlanden: „Das Fairphone schneidet deutlich besser ab als andere Smartphones, die als nachhaltig und ‚fair‘ bezeichnet werden“, fasst Elisabeth Schinzel die Ergebnisse einer Studie des niederländischen Forschungsinstituts SOMO zusammen. Von den 34 darin überprüften Nachhaltigkeitskriterien erfüllte das Fairphone 20, die über den industrieüblichen Standards liegen. Samsung-Smartphones der Galaxy-Serie etwa konnten nur bei sieben Kriterien mehr als die gewöhnlichen Standards bieten.
Umso heller glänzt das Fairphone – es hat sich vom reinen Proof of Concept längst zum Schrittmacher einer ganzen Branche gemausert und wurde mehr als 80 000-mal verkauft. Das neue Fairphone 2 ist das erste Smartphone, das neben den jenseits von Konfliktzonen („conflict-free“) abgebauten Mineralien Tantal und Zinn auch nach Fair-Trade-Regeln gesourctes Gold enthält. Wegweisend ist auch die modulare Bauweise des Fairphone 2: Das komplette Gerät lässt sich einfach zerlegen, ausgewählte Komponenten können bei Bedarf ausgetauscht werden, etwa der Akku oder das Display. Auf diesen Trend setzen derzeit auch hippe Projekte wie die in London entwickelte Smartwatch Blocks oder Googles für 2016 angekündigtes Smartphone Ara. Ob auf diese Weise am Ende tatsächlich ein Beitrag zur Vermeidung von Elektronikschrott geleistet werden kann, bleibt aber umstritten.
Billig ist Modularität im Falle des Fairphone auch nicht. Für den Fünf-Zoller mit einem HD-Touchscreen (1.920 x 1.080 Pixel) muss man 525 Euro auf den Tisch legen, der Nettogewinn für die Macher beträgt dabei 9 Euro. Das Dual-SIM-Gerät läuft mit Android 5.1. Zudem kooperiert Fairphone inzwischen mit den Entwicklern von Sailfish OS, mit dem bereits das offene finnische Smartphone-Projekt Jolla realisiert wurde.
Günstiger bekommt man mittlerweile faire Elektronik made in Germany: Der nordhessische Familienbetrieb Shift hat via Crowdfunding finanzierte Android-Smartphones im Fünf-Zoll-Format wie auch Phablets (Mischung aus Smartphone und Mini-Tablet) im Angebot. Die Shifter versprichen faire Löhne und Arbeitszeiten, Verzicht auf Kinderarbeit und gute Umweltbedingungen in einem 300-Personen-Betrieb in China. Modularität gilt auch bei Shift als Trumpf: So sind die Akkus bei allen Geräten austauschbar, was die Gerätelebensdauer deutlich erhöhen dürfte. Weiterer Hingucker im Vergleich zu iPhone, iPad & Co.: Der interne Speicher ist erweiterbar, und wer das Gerät rootet, etwa um im Hintergrund Daten abschnorchelnde Google-Dienste stillzulegen, behält trotzdem den Garantieschutz.
Noch mehr Hands-On und Hacking-Möglichkeiten bekommt man höchstens noch beim RePhone-Kit, einem Smartphone-Baukasten, den das Start-up Seed Studios gerade auf der US-Crowdfunding-Plattform Kickstarter angeschoben hat. Fair ist hier nicht die Elektronik selbst, sondern der Ansatz: Das Projekt setzt komplett auf Open-Source-Komponenten, überlässt dem Anwender also die volle Kontrolle. Mitbasteln kann man bereits ab 12 Dollar, dafür hält man dann allerdings nicht viel mehr als eine Handvoll Chips in der Hand, ab 40 Dollar ist auch ein Minidisplay mit dabei. Unschlagbar in Sachen Umweltfreundlichkeit dürften die lieferbaren Gehäuseverkleidungen sein, die sind nämlich aus speziell lackiertem Pappkarton hergestellt. Das strapazierfähige Material kann gewaschen, genäht und bemalt werden. Mit unterschiedlichen Schablonen und Faltanleitungen können die Module unter anderem als Armband oder Kettenanhänger getragen werden. Das RePhone-Kit bleibt aber bis auf weiteres eine Spielwiese für ausgewählte Geeks, ein paar tausend Vorbestellungen haben zur Realisierung locker ausgereicht.
Doch zugleich zeigen Fairphone, Shift, RePhone & Co.: Mittlerweile lassen sich Elektronikalternativen mit recht bescheidenen Mitteln auf den Weg bringen – große Unternehmen braucht man dafür nicht. Das macht nun auch die Fairhandelslobbyisten neugierig. Für Claudia Brück vom Verein TransFair etwa, dem Herausgeber des Fairtrade-Siegels, klingt der Gedanke von Fair-Trade-Elektronik längst nicht mehr absurd: „Bei ausreichendem Interesse seitens der Hersteller und Verbraucher und nachweislichem Erfolg in der Textilindustrie könnten wir relativ schnell einen Standard für die IT auflegen“.
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