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Archiv-Artikel

Keine glorreiche Zeit

Nach 1945 war es undenkbar, ein neues deutsches Heer aufzustellen. Diese Woche feiert der Bundestag 50 Jahre Bundeswehr. Wer eine profunde Kritik des Militärs sucht, sollte Detlef Balds Buch lesen

Jedem Deutschen, der nochmals ein Gewehr anfasse, möge der Arm verdorren – so lautete die Parole im Nachkriegsdeutschland. Ausgegeben hatte sie kein Geringerer als Franz Josef Strauß. Doch das hinderte ihn keineswegs daran, auf dem Höhepunkt der Berlinkrise 1961 von den USA den Einsatz der Atombombe zu verlangen, um die Sowjets in ihre Schranken zu weisen.

Geradezu paradigmatisch spiegelt sich in dieser Volte die Remilitarisierung Deutschlands. Die institutionelle Manifestation dieser Entwicklung war 1955 die „neue Wehrmacht“, später mit der offiziellen Bezeichnung „Bundeswehr“ versehen. Diese Woche feierte der Bundestag das fünfzigjährige Bestehen der Streitkräfte. Dass die Existenz eines notwendigen Übels irgendeinen Anlass für Festivitäten zu bieten vermag, darf wohl bezweifelt werden. Gerechtfertigt und notwendig ist dagegen die umfassende und kritische Bestandsaufnahme von 50 Jahren Bundeswehr, die jetzt der renommierte Historiker und Friedensforscher Detlef Bald vorlegt.

Er sieht vier Etappen. In „Begründung des Staates durch Macht“ beschreibt er zuerst die konstitutive Phase des neuen deutschen Militärs von 1949 bis 1969. So unglaublich es klingen mag, die ersten, noch sehr diskreten Überlegungen zur deutschen Wiederaufrüstung wurden innerhalb der alten Militärelite bereits sechs Monate nach der bedingungslosen Kapitulation des Naziregimes angestellt. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland setzten, mit Billigung der Alliierten, die konkreten, anfänglich noch geheim gehaltenen Planungen zur Aufstellung eines deutschen Militärkontingents zur Verteidigung Westeuropas ein.

Marksteine in jener Zeit bilden das politische Tauschgeschäft von Souveränitätsgewährung gegen militärische Truppengestellung, die Rehabilitierung von Wehrmacht und Waffen-SS, die Integration der BRD in die westlichen Bündnisstrukturen, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Wehrgesetzgebung. Hinzu kommen die scharfen Kontroversen um die Atombewaffnung, der heftige Konflikt zwischen Traditionalisten und Reformern um die Innere Führung und das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform sowie die Durchsetzung des Primats der Politik.

Der konvulsiven und eklatträchtigen Anfangsphase folgte ein Etappe der „Reform und Stabilisierung“ in den Jahren 1969 bis 1982. Herausragende Themen in dieser Phase waren die aufkeimende Entspannungspolitik, die neue nukleare Abschreckungsdoktrin der Nato, die Reform des militäreigenen Bildungssystems von der Rekruten- bis zur Generalstabsausbildung, die „Runderneuerung“ der Bundeswehr mit modernster Rüstungstechnik.

Mit Beginn der rückwärts gewandten Ära Kohl 1982 brach auch für die Bundeswehr eine Phase der „konservativen Konsolidierung“ an, die sich bis ins Jahr 2000 hinziehen sollte. Ganz oben auf der Agenda stand der demonstrative „Mut zur Rüstung“. Als Erfolg galt auch die traditionalistische Wende, verbunden mit der Rückkehr des Kämpfermythos aus glorreichen Wehrmachtszeiten. Die Innere Führung wurde ihres demokratischen Anspruchs beraubt – ein Erfolg der Traditionalisten.

Das Ende des Kalten Krieges setzte neue Prioritäten: die weitreichende Abrüstung, die Abwicklung der NVA und den Abzug von Atomwaffen. Vor allem aber suchte man nach einem neuen Auftrag für Deutschlands Militär. Die so genannte Out-of-Area-Debatte bewegte zu Recht die Republik. Nach Art der Salamitaktik setzte das sicherheitspolitische Establishment die Abkehr von der lange bewährten Kultur der Zurückhaltung durch. Am Ende bombte die deutsche Luftwaffe ohne völkerrechtliches Mandat gemeinsam mit der Nato auf dem Balkan.

Im letzten Teil seiner Betrachtungen unternimmt Bald den Versuch, die „Militärpolitischen Perspektiven“ der Zukunft aufzuzeigen. Aus der Diskussion um Völkerrecht, „humanitäre“ Intervention, Präventivkriegsdoktrin und Transformation der Bundeswehr leitet er abschließend Forderungskataloge an Militär und Politik ab. In der Bundeswehr selbst gilt es, die demokratische Pluralität durchzusetzen, das militärische Bildungswesen gründlich zu reformieren und die Innere Führung endlich komplett zu verwirklichen. Die Politik wiederum müsse die Idee des Parlamentsheeres wiederbeleben, auf Liberalität in den Streitkräften bestehen und vor allem Militärpolitik als Friedenshandeln begreifen.

Besonders hervorzuheben ist, dass Detlef Bald mit seiner kritischen Historie der Bundeswehr keine simple Chronologie abliefert, sondern sie sehr gekonnt mit drei „roten Fäden“ durchwirkt. Diese analyseleitenden Elemente der Streitkräfteentwicklung bilden Geschichtsbezug, Internationalisierung und Demokratie. Dadurch wird das Buch zu keiner einfachen, aber einer interessanten und abwechslungsreichen Lektüre. Angesichts der Enttabuisierung des Militärischen in der Außen- und Sicherheitspolitik ist Balds Buch eine breite Leserschaft zu wünschen.

JÜRGEN ROSE

Detlef Bald: „Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955–2005“. Verlag C. H. Beck, München 2005 , 232 Seiten, 12,90 Euro