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Sinn ist überbewertet

Premiere Eine Melange aus Ideen und Gags, in schicker Volksbühnen-Inszenierung. Zu einem rechten Ganzen aber will sich Polleschs „Service/No service“ nicht fügen

von Jenni Zylka

Die Plonsters: Knetmännchen in Orange, Blau und Grün, die sich in jede Figur verwandeln können und eine eigene, nur ihnen verständliche Sprache sprechen. Aber nein, stimmt gar nicht! Maximilian Brauer beherrscht sie ebenfalls! Der Volksbühnenschauspieler beginnt die Premiere von „Service/No service“ am Donnerstag mit einem astreinen Plonsters-Kolloquium, seine Plonsters sind viele, viele bunte Smarties (oder M&Ms, das ist auf der Leinwand über der Bühne nicht genau zu erkennen), die sich mit einem Alka-Seltzer unterhalten. Das Alka-Seltzer begeht später Suizid, indem es in ein Wasserglas hopst und wegsprudelt.

Mehr Sinn hatten die echten Plonsters-Filme auch nicht. Sinn ist überbewertet, wenn man mit Strukturen spielen kann: René Pollesch hat in „Service/No Service“ unter anderem das Schauspiel selbst zum Thema gemacht, und selbst wenn das ganze Stück – und nicht nur der Auftakt – in Plonstersprache gewesen wäre oder in Chinesisch oder in Rätoromanisch – erkenntnistheoretisch hätte es sich für das Publikum kaum unterschieden. Pollesch inszeniert vier SchauspielerInnen und einen Kollektivregisseur.

Kathrin Angerer schüttet dabei die längsten und beeindruckendsten Wortkaskaden aus, alles überzeugend und in der ihr eigenen Mischung aus Edith-Hancke-Reinkarnation und esoterischem Kind. Sie trägt, wie die anderen (neben Brauer noch Franz Beil und Daniel Zillmann) ein Superheldenkostüm, und beschreibt den dreien zu Anfang ihr Versagen, das gleichzeitig ein Teil des sich durch das Stück schlängelnden Dilemma zu sein scheint: „Mir ist der Sinn für das Ganze verloren gegangen. Ich weiß auch nicht, warum. Mein individuelles Leben ist eben von dem Schicksal der Welt abgekoppelt. Ich habe mitten in einer Vorstellung von Elektra aufgehört zu sprechen. Man muss jetzt auch nicht immer darauf herumreiten …“

Auftritt Kollektivregisseur: „Der Chor aus Elektra führt jetzt Regie“, erklärt Zillmann, denn genau das tut die Regisseurs­hydra, ein Choreo-Chor, der weiße Hosen und rote Sweatshirts mit der Aufschrift „Don’t look back“ trägt. Seine 16 Mitglieder sprechen synchron, laufen gleichzeitig auf und ab, bewegen die Beine wie ein Synchronschwimmkurs und scheuchen ihre Schauspieler auf der Bühne herum. „Du Saftschubse!“, motzen sie Angerer an, schließlich hatte sie nach eigenem Bekunden versagt. Angerer muss sich noch mehr Regisseursphrasen aus vielen Kehlen anhören und geht kurz hinter der Souffleuse (Katharina Popov) in Deckung. Die verstummte Schauspielerin, die gar nicht mehr stumm ist, wird ihre Anfangspassage im Stück noch öfter wiederholen – sie klingt jedes Mal anders, weil das Publikum sie jedes Mal besser kennt.

So verändert Pollesch den Abstand zwischen Publikum und Schauspielern eben durch Struktur, nicht durch Inhalt. Passend dazu schickt er die vier und den Chor in den unbestuhlten Zuschauersaal, wo die Gäste auf kaltem Asphalt hocken: „Ich hab schon wieder auf Asphalt gespielt“, sagt Angerer, „ich kann einfach nicht verbergen, dass ich von der Straße komme.“ Auch das sagt sie so oft, dass das Kichern der ersten Reaktion beim zweiten und dritten Mal dem Nachdenken weicht, denn so lustig ist der Satz auch wieder nicht.

Zieleinlauf Am Ende ist man mit „Service/No service“ rechtschaffen bedient. Man muss ja auch nicht immer gleich Zitate oder gar Gedanken für die Ewigkeit einfordern

Genug zu lachen

Zu lachen und zu gucken gibt Pollesch einem dennoch genug: Ein leuchtender, schwebender Dodekaeder wird wie beim „Großen Diktator“ mit den Beinchen hochgeschubst. Brauer monologisiert über die Titel von Nico-Hofmann-Filmen, die nach Selbstbefriedigung klängen: „Solo für Klarinette“, „Der Turm“, „Eine Handvoll Glück“. In vielen Texten blühen Spitzen zum aktuellen Streit über die Zukunft der Volksbühne als neoliberale Event-Location. In einer wunderschönen Sequenz baut der Chor aus seinen Körpern ein Bett, ein Fitnessbike und eine Dusche für Angerer (und inszeniert damit auch ihr Privatleben). Auf dem Bildschirm läuft Spike Jonzes ge­nia­ler Videoclip zu Fat Boy Slims ­“Praise You“, während das Chorkollektiv mittanzt – das ist allerdings beeindruckend nur für blutjunge Menschen, die das Original nicht kennen. Genau wie ein ewig nicht enden wollender „Palim Palim“-Namensversprecher-Gag – vielleicht will sich Pollesch, indem er einem den flachsten 50er-Jahre-Humor aller Zeiten um die Ohren klatscht, auf irgendeiner versteckten Hintersinn­ebene darüber lustig machen. Oder sogar dieses Ansinnen parodieren.

Out of service ist das Stück jedenfalls nicht: Am Ende ist man rechtschaffen bedient. Im Kopf bleibt eine Melange aus Ideen, Gags und Palaver, hervorragend vorgetragen, schick inszeniert. Man muss ja auch nicht immer gleich Zitate oder gar Gedanken für die Ewigkeit einfordern.

Wieder am 5./16./23. Dezember und am 3./8. Januar

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