: Grüne Alchemie im Hinterhof
Umwelt Fischzucht und Gemüseanbau direkt zu kombinieren, dieses Prinzip kommt immer mehr in Mode. In Berlin gibt es erst wenige Prototypen solcher Aquaponikfarmen – aber eine, die sogar das Abwasser der Anwohnerhaushalte in „Gold“ verwandelt
von Jana Tashina Wörrle
Tag für Tag erzeugen wir Unmengen von Abwasser. Wir duschen und baden, wir drücken die Klospülung, Geschirr und Wäsche tragen ihren Anteil bei. Gleichzeitig ist Trinkwasser, global betrachtet, eine begrenzte Ressource.
Weil weltweit auch die landwirtschaftlichen Flächen knapp werden, gilt es, neue Anbaumethoden zu finden. Eine Lösung bietet die Aquaponik, die kombinierte Fisch- und Pflanzenzucht – möglichst auf bisher ungenutzten urbanen Flächen und am besten im Kreislaufsystem, das zugleich ein Abwasserrecycling ermöglicht.
Das zumindest ist der Ansatz der Roof-Water-Farm in Kreuzberg. Während die meisten bestehenden Aquaponikanlagen von kommerziellen Anbietern betrieben werden, die Fisch und Gemüse verkaufen wollen und nur in begrenztem Maße eine Kreislaufverwertung des Wassers integrieren können, gehen die Wissenschaftler der TU Berlin und ihre Projektpartner noch ein Stück weiter. Frischwasser wird in ihrem Konzept nicht gebraucht, sondern aufbereitetes Grauwasser (siehe Kasten) für die Aquaponik und zu Flüssigdünger aufbereitetes Schwarzwasser für die Hydroponik. Die Ressourcen kommen aus 70 anliegenden Haushalten.
Weltweit gibt es inzwischen immer mehr Aquaponikanlagen – sowohl in einer Dimension, um Einfamilienhäuser versorgen zu können, als auch Anlagen auf Flächen von mindestens 500 Quadratmetern. „Seit drei bis vier Jahren wächst das Interesse von kommerziellen Betreibern, große Anlagen aufzubauen“, sagt die Ökologin Marie Manirafasha von Aquaponics Deutschland e. V. Hierzulande sei Aquaponik aber noch wenig populär. „Wir brauchen bessere Aufklärung und mehr Forschung“, fordert sie.
Forschungsarbeit ist auch bei der Roof-Water-Farm noch nötig. Deshalb stehen die Anlagen, trotz des vielversprechenden Namens, noch nicht auf einem Dach, sondern in einem weitläufigen Hinterhof in der Bernburger Straße. „Es geht grundsätzlich darum, den städtischen Raum für die Nahrungsmittelproduktion zu erschließen“, erklärt Anja Steglich, eine der drei Projektleiterinnen. Als nächsten Schritt müsse man Akteure suchen, die sich trauen, Anlagen in verschiedenen Dimensionen zu bauen.
Steglich denkt dabei an Wohnungsbaugesellschaften, Schulen, Restaurants oder öffentliche Verwaltungen. Vorstellbar sind Aquaponikanlagen mit integrierter Wasseraufbereitung ihrer Ansicht nach auch dort, wo eine Infrastruktur erst aufgebaut werden muss, also im Rahmen des Siedlungsneubaus.
Aquaponik beschreibt ein Kreislaufsystem, bei dem Fischzucht und Pflanzenanbau kombiniert werden. Dabei werden dafür geeignete Fische in einem Wasserbecken gehalten und aufgezogen, bis sie groß genug für den Verzehr sind. Da ihre Ausscheidungen ammoniakhaltig sind, erzeugen sie einen natürlichen Dünger,den sie ans Wasser abgeben. Das Wasser wird im Rahmen des Kreislaufsystems als gedüngtes Gießwasser direkt zu den Pflanzen weitergeleitet. Sie absorbieren die enthaltenen Stoffe und dienen quasi als grüner Filter, sodass das überschüssige Wasser wieder ins Fischbecken zurückfließen kann.
Als Anbauprodukte eignen sich im Prinzip alle Pflanzen, deren essbare Teile oberhalb der Erde wachsen – Kartoffeln oder Möhren sind also in einer Aquaponikanlage nicht einsetzbar. Bevorzugt werden Salate, Tomaten oder Kräuter angebaut. Diese wachsen nach dem sogenannten Hydroponikprinzip.
Hydroponik bezeichnet den wasserbasierten Anbau von Pflanzen. Dabei wachsen die Pflanzen auf einer gut saugfähigen Unterlage wie Mineralwolle und stehen direkt im durchfließenden Wasser oder in zeitweise gefluteten Becken.
Infos unter: www.roofwaterfarm.com und www.aquaponics-deutschland.de
Abwasser verwandeln
Ein Holzhaus, ein Gewächshaus und drum herum Schilf – das ist kein typischer Hinterhofanblick. Schon seit den 80er Jahren wird hier versucht, aus Abwasser Betriebswasser zu machen. Umweltingenieur Erwin Nolde war damals wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Hygiene der TU und Teil des Teams, das zeigen wollte, dass es Möglichkeiten gibt, Abwasser und Regenwasser zu nutzen.
Das Forschungsprojekt startete ohne Gewächshaus, ohne Fischzucht. Doch die Grundlagen wurden damals schon gelegt: ein doppeltes Abwasserleitungssystem, sodass das Grau- und das Schwarzwasser von 250 Haushalten getrennt gesammelt werden kann. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des Wasserrecyclings. „Aber in den meisten Wohnhäusern hierzulande kein Standard, obwohl es keine nennenswerten Mehrkosten verursachen würde“, sagt Nolde, der noch heute als selbstständiger Ingenieur an der Roof-Water-Farm mitarbeitet.
In der ersten Projektphase wurde das Grauwasser so aufbereitet, dass es für die Klospülung wieder genutzt werden konnte. Das Schwarzwasser war dagegen unbrauchbar. Heute kommt beides hygienisch sicher zum Einsatz. Zusätzlich versuchen die Ingenieure, aus der Wärme des Abwassers Energie zu gewinnen. Das in Wasser stehende Schilf rund um das Gewächshaus bekam eine neue Rolle: Statt zur Grauwasseraufbereitung dient es heute zum Auffangen des Regenwassers. Und die Verdunstung über die Pflanzen kühlt den Innenhof.
Bakterien helfen
Im Holzhaus übernehmen Bakterien, die im Abwasser sowieso enthalten sind, die Grauwasserreinigung. Nachdem ein grobes Sieb Störstoffe entfernt hat, wird das Wasser in großen, grauen Bottichen gesammelt. Darin schwimmen kleine Schwämmchen. Auf diesen können sich die Bakterien vermehren und dann die Stoffe auffressen, die das Wasser verunreinigen. Übrig bleibt ein wenig Schlamm. Am Ende durchläuft alles nochmals einen Sandfilter und wird mit UV-Licht desinfiziert.
Das gefilterte Grauwasser ist nach Aussage von Nolde dann deutlich sauberer als das Wasser aus herkömmlichen Kläranlagen. Trotzdem will er keinen falschen Eindruck erwecken und spricht nicht von Trinkwasser oder probiert gar das Wasser, das er am Ende der Filteranlage aus einem Hahn lässt. Sowohl das geklärte Grau- als auch das Schwarzwasser ist jetzt einsatzbereit und fließt direkt weiter ins Gewächshaus nebenan.
Hier stehen große Bottiche mit Wasser, oben offen und mit Netzen abgedeckt. Leider kann man nicht erkennen, was sich auf dem Grund befindet, denn das Wasser ist trüb wie in der Natur. In einem der Bottiche schwimmen afrikanische Welse und im anderen Schleie – klassische Speisefische.
Vor den Fischbecken plätschert in langen Reihen Wasser durch breite Metallschienen. Darauf wächst auf Mineralwollballen Salat. Kleine hellgrüne Pflänzchen, die dank der guten Bewässerung und des guten Düngers schnell gedeihen. Als Dünger dienen die ammoniakhaltigen Ausscheidungen der Fische, deren Stoffe direkt, im Gießwasser gelöst, bei den Pflanzen ankommen. Was nicht verdunstet, gelangt über Schläuche wieder zurück in das Fischbecken.
Salat zum Testen
Die dünnen Salatblätter lassen sich sehr einfach von den Wissenschaftlern auf Rückstände und ihre Produktqualität untersuchen, deshalb wächst hier im Gewächshaus derzeit kein anderes Gemüse. Möglich ist es aber – auch Aubergine, Paprika, Erdbeeren, Pak Choi wurden getestet.
„Jedes Gemüse, das nach oben wächst“, lasse sich hier anbauen, sagt Anja Steglich, die an der TU Berlin im Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen arbeitet. Die ersten Erfahrungen und Hochrechnungen anhand der Forschungsergebnisse zeigen, dass bei einem fünfstöckigen Gebäude mit einer Gewächshausgrundfläche von 400 m[2]mit einer Aquaponikanlage 70 Prozent des Fisch- und 80 Prozent des Gemüsebedarfs der Einwohner dieses Hauses gedeckt werden könnten. Bei Anbau in Hydroponik ließen sich bis zu 90 Prozent des Pro-Kopf-Gemüsebedarfs decken.
Als Wachstumsgrundlage kann man dabei nur Mineralwolle oder eine ähnliche Unterlage und kein Erdboden verwenden. Das ist der Grund, warum derartige Anlagen bislang nicht biozertifiziert werden können. Zudem steht der Ansatz der Forscher, Aquaponik möglichst auf Dächern zu etablieren, dem Wirtschaften nahe dem Erdboden entgegen. Eine Pflanzunterlage aus Erde ergäbe möglicherweise auch ein statisches Problem für viele Hausdächer.
Steglich findet das nicht weiter schlimm und lobt die strengen Biokriterien. Sie glaubt, dass derart nachhaltige Anlagen wie in der Roof-Water-Farm ein ähnliches Image bekommen könnten, wie es Stadthonig in den vergangenen Jahren erlangt hat. „Ich kann mir gut vorstellen, dass Verbraucher, die meist Bio kaufen, auch den regionalen ,Stadtfisch‘ anerkennen“, sagt sie.
Grauwasser ist gering verschmutztes, insbesondere fäkalienfreies Abwasser aus dem Haushalt, etwa aus Dusche, Badewanne und Handwaschbecken. Es kann zusätzlich aber auch eher hoch belaste Anteile aus Waschmaschinen- und Küchenabwasser enthalten.
Schwarzwasser bezeichnet das urin- und fäkalienhaltige Abwasser aus den Toiletten inklusive des Spülwassers.
Mit Goldwasser gedüngt
Im Gewächshaus des Kreuzberger Hinterhofs stehen allerdings noch einige weitere Pflanztische, die nicht an Fischbecken angeschlossen sind. Auf flutbaren Tischen wachsen weitere Salatpflanzen. Allein per Hydroponik und durch sogenanntes Goldwasser gedüngt sollen sie gedeihen. Das Goldwasser ist das ursprüngliche Schwarzwasser, das aufbereitet und gefiltert nun dem Gemüseanbau dient.
Den „vergoldeten“ Namen trägt das Wasser, weil es viel Phosphor, Stickstoff und Kalium enthält. Wir alle scheiden diese Stoffe täglich mit dem Urin aus. „Diese wichtigen Ressourcen nicht zu recyceln wäre reine Verschwendung“, sagt Erwin Nolde – vor allem in Bezug auf den Phosphor. Der ist ein endlicher Rohstoff, ohne den die Landwirtschaft ein großes Anbauproblem bekommt. Alternativen zu finden ist auch hier nötig – Abwasserrecycling wäre eine mögliche.
Eine spannende Frage, die die Forscher beantworten wollen, ist zudem die der Produktqualität. Für Grauwasser, das durch die Aquaponikanlage fließt, kennen sie die Antwort bereits. Sowohl im Fisch als auch im Salat haben die Forscher keine Chemikalien aus den Haushalten gefunden. Nolde hätte das Glas Wasser wohl doch bedenkenlos trinken können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen