: Unterhalten und gleichzeitig anecken
GEDRUCKT Unabhängig sein, alles selbst in die Hand nehmen: Katharina Holzmann, Sascha Ehlert und David Rabolt haben den Kleinverlag „Korbinian“ gegründet – benannt ist er nach einem Widerständler und Apfelfreund
von Julika Bickel
Korbinian Aigner liebte Äpfel und Birnen. Der im Jahr 1885 geborene Theologe züchtete leidenschaftlich Obst, weshalb man ihn den Apfelpfarrer nannte. Die Nazis verachtete er. Seit den frühen 1920ern wetterte der katholische Pfarrer gegen ihre Ideologie. Nach dem Elser-Attentat 1939 sprach Aigner im Religionsunterricht über das fünfte Gebot ,Du sollst nicht töten‘: „Ich weiß nicht, ob das Sünde ist, was der Attentäter im Sinn hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden.“ Eine Kollegin meldete das Zitat, die Nazis sperrten Aigner ein. 1941 deportierten sie ihn ins KZ Dachau. Dort züchtete Aigner heimlich vier Apfelsorten – KZ 1 bis KZ 4. KZ 3 gibt es noch heute als „Korbiniansapfel“. Während eines Todesmarschs im Jahr 1945 gelang Aigner die Flucht.
Diese Geschichte ist es, die bei einer Verlagsgründung im Mai 2015 dafür sorgt, dass dieser den Namen Korbinian erhält. Katharina Holzmann, Sascha Ehlert und David Rabolt haben den Kleinverlag in Berlin gegründet und ihn nach dem Apfelpfarrer benannt. Zwei Apfelkerne – dargestellt durch zwei Anführungszeichen – bilden das Logo des Korbinian Verlags. „Die Art von Widerstand, die Korbinian Aigner geleistet hat, ist uns sympathisch“, sagt Ehlert. „Dass man im Kleinen für seine Ideale kämpft.“ Der unabhängige Verlag startete Mitte Oktober mit dem Buch „Das Nirvana Baby“ von Juri Sternburg. Es handelt von einem Mann, der Amok laufen will.
Die 28-jährigen Verlegerinnen und Verleger orientieren sich an der Publikationsweise der Weimarer Republik. „Uns gefällt, wie lebendig die damalige Verlagswelt war. Es gab kein strenges System“, sagt Holzmann. Viele Verleger hätten eine Doppelfunktion eingenommen. Karl Kraus, der die Satirezeitschrift Die Fackel herausbrachte, war zugleich Schriftsteller. Der Buchmarkt war eng mit der Magazinwelt verknüpft. Ernst Rowohlt zum Beispiel pflegte Kontakte zu den expressionistischen Zirkeln um die Zeitschriften Der Sturm und Die Aktion. Die Nähe zu Magazinen und das Interesse an aktuellen Themen trifft auch auf den Korbinian Verlag zu. Rabolt ist Politikwissenschaftler. Ehlert schrieb für das Hip-Hop-Magazin Juice und gründete vor zwei Jahren die Zeitschrift Das Wetter. Holzmann, die Germanistik und Philosophie studiert, arbeitet auch für Ehlerts Magazin.
Angelehnt an die Neue Sachlichkeit – einer Literaturströmung in den zwanziger Jahren, die sich durch Nüchternheit und Realismus auszeichnete – will der Korbinian Verlag Geschichten veröffentlichen, die unterhalten und gleichzeitig anecken. Ehlert sagt, dass Literatur nicht unbedingt gefallen wollen müsse. Wichtig sei sie zweifelsohne nach wie vor „Beim Lesen findet viel mehr eigenes Denken statt als zum Beispiel beim Konsumieren von TV-Serien, die fertige Bilder in einen hineinprojizieren.“ Ihre Bücher sollen sich an jeden richten. Holzmann erklärt: „Mit einer jungen Sprache wollen wir Leserinnen und Leser erreichen, die nicht zum Stammpublikum des Literaturbetriebs gehören.“
Verlagsgründer Ehlert über Namenspatron Korbinian Aigner
Als die drei Verleger mit ihrem Projekt auf den Autoren und Dramatiker Juri Sternburg zugingen, sagte er sofort zu. Geld spielte für ihn keine große Rolle. Es müssten nur zwei seiner drei Kriterien erfüllt sein, damit er mit jemandem zusammenarbeite, erklärt er. „Eine gutes Thema, nette Leute, viel Geld.“ Der 32-jährige Berliner schreibt für die taz und verschiedene Magazine, darunter Juice und Das Wetter. In seinem Theaterstück „der penner ist jetzt schon wieder woanders“, das 2012 am Maxim-Gorki-Theater Premiere feierte, töten zwei Männer in einer U-Bahn einen Fahrgast nach dem anderen. „Fragen zu Militanz und Gewalt beschäftigen mich sehr“, sagt er. In einer aggressiven und doch gewählten Sprache erzählt „Das Nirvana Baby“ die Geschichte von einem Mann, der versucht, ein Bekennerschreiben zu formulieren. Schimpfwörter prasseln auf die LeserInnen ein. Sternburg will in seinem Buch vor allem Widersprüche aufzeigen. Er wechselt ständig die Erzählperspektiven. Ein abgründiger Humor durchzieht die gesamte Novelle. „Einen Amoklauf planen, das bedeutet Stress – Stress pur.“
Bereits geschriebene Kurzgeschichten bildeten den Ausgangspunkt für die rund 80-seitige Novelle, die Sternburg innerhalb zweier Monate schrieb. Die drei Verleger übernahmen gemeinsam das Lektorat. Manchmal diskutierten sie mit ihm drei Tage lang über einen Satz. „Sie waren generös mit mir. Ich verhalte mich bei meinen Texten ab und zu wie eine Diva“, sagt Sternburg. Sich ständig mit ihrem Autor auszutauschen und ihm viel Freiheit zu geben, war den Verlagsgründern wichtig. „Manchmal setzte er sich durch, manchmal wir“, sagt Rabolt. Die einzig wirkliche Beschränkung war die Seitenzahl – aus Kostengründen. Die Gewerbeanmeldung, die ISBN-Nummer, der Eintrag ins Verzeichnis lieferbarer Bücher, der Druck, die Arbeitszeit, all das finanzierten sie von ihrem Ersparten, sagt Rabolt. Sie planen eine Novellenreihe, aber es darf auch mal ein Kinderbuch sein.
Zurzeit laufen sie von einer Buchhandlung zur nächsten. Bei etwa 15 Berliner Läden waren sie bereits, von denen die meisten ihr Buch aufnahmen. „Das hat uns erstaunt“, sagt Holzmann. „Weil es schließlich auch unseriös wirken kann, wenn man einfach so hereinspaziert.“ Ein Drittel der 750 Exemplare haben sie bisher verkauft. Besonders gefreut haben sie sich, als die Tucholsky-Buchhandlung in Mitte sich bereit erklärte, „Das Nirvana Baby“ zu verkaufen. „Kurt Tucholsky passt so gut zu uns“, findet Holzmann. Denn Tucholsky warnte schließlich auch eindringlich vor den Nazis.
Juri Sternburg: „Das Nirvana-Baby“. Korbinian Verlag, 80 Seiten, 10 Euro
www.korbinian-verlag.de
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