piwik no script img

„Nicht die Moralkeule schwingen“

Auto und Kirche Der neue Wolfsburger Industrieseelsorger Dirk Wagner wird vor allem frustrierte VW-Mitarbeiter begleiten

Dirk Wagner

55, studierte nach 24 Jahren als Ingenieur in der Baubranche Theologie und wird am 15. November Industrieseelsorger in Wolfsburg.

taz: Herr Wagner, Sie werden am Sonntag Industrieseelsorger in Wolfsburg. Was machen Sie da eigentlich?

Dirk Wagner: Es ist auch für mich ein neues Arbeitsfeld. Deshalb wird meine erste Aufgabe darin bestehen, auf die Menschen zuzugehen und bekannt zu werden.

Ist das Amt eine neue Erfindung?

Nein, das gibt es schon länger an größeren Industriestandorten. Auch bei VW gibt es das schon länger. Da will ich anknüpfen und niedrigschwellig mit Menschen in Kontakt kommen. Bei Mitarbeiterstammtischen erfährt man zum Beispiel am ehesten, wo der Schuh drückt.

Bei VW muss man nicht lange suchen. Haben Sie wirklich Lust, wütende Mitarbeiter zu coachen, die die Abgas-Manipulationen ihrer Chefs vielleicht mit dem eigenen Job bezahlen müssen?

Da wird es sicher meine Aufgabe sein, ein offenes Ohr und einen geschützten Raum zu bieten.

Wie erklären Sie einem Arbeitnehmer aus christlicher Sicht, dass er für Betrügereien seiner Chefs büßen muss?

Man muss genau zuhören, denn es geht es ja auch um die Frage: Wo ist jemand wirklich schuldig –und wo hat er nur Schuldgefühle?

Sprechen Sie jetzt von den Managern?

Nicht nur. Auch wenn ein Mitarbeiter eine Anweisung bekommt, stellt sich die Frage: Tue ich, was man mir sagt ...

... und baue Software ein, die die Abgaswerte manipuliert?

Ja. Und weiß ich, was das bedeutet oder nicht?

Wird bloßes Zuhören immer reichen?

Das wird man sehen. Ich schließe auch nicht aus, dass ich notfalls mal als Mediator auftrete.

„Industrieseelsorger“, das klingt nach „Militärseelsorger“. Der sorgt dafür, dass der Soldat im System Krieg funktioniert. Helfen Sie also, dass das System VW weiter funktioniert?

Meine Aufgabe ist zunächst nicht, die Moralkeule zu schwingen. Aber natürlich habe ich eine Botschaft, und die hat mit Nachhaltigkeit und Ehrlichkeit zu tun. Den moralischen Anspruch der Zehn Gebote werde ich nicht verschweigen.

Würden Sie den VW-Managern die Zehn Gebote auch öffentlich um die Ohren hauen?

Das schließe ich nicht aus. Deshalb werde ich auch Kontakt zur Vorstandsebene suchen.

Ist der VW-Skandal nicht auch Ausdruck einer Krise des Fetischs „Auto“?

In der Tat wird der Kult um das Auto teils fast religiös überhöht. Andererseits ebnet Mobilität Wege von Mensch zu Mensch. Auch was die Autobauer tun –das Entwickeln von Autos, die Verbesserung des Komforts –, hat ja einen Wert. Das ist ein Ausschöpfen des in der Schöpfung angelegen Potenzials. Und was gibt es Schlimmeres, als plötzlich zu sehen: All das steht auf einmal unter Betrugsverdacht?

Sie waren lange Jahre selbst Ingenieur bei VW. Sind Sie da nicht befangen?

Nein. Die Firma, bei der ich gearbeitet habe, hat Bauleistungen für VW erbracht. Wir haben Straßen, Infrastrukturen gebaut, Industriefußböden saniert. Da habe ich die VW-Firmenstrukturen kaum kennengelernt.

Warum sind Sie nicht mehr Ingenieur?

Weil ich irgendwann das Bedürfnis hatte, mein Hobby zum Beruf zu machen. Ich bin immer gern Ingenieur gewesen, habe aber auch viele Jahre mit der Theologie geliebäugelt. Als ich vor ein paar Jahren hörte, dass es einen berufsbegleitenden Studiengang gab, habe ich zugegriffen.

War der Ingenieursberuf ein Umweg?

Nein. Die Erfahrung macht mich vollständiger in dem, was ich verkündige.

Sie haben mal gesagt, Arbeit sei Teilhabe am Schöpfungswirken Gottes. Gilt das auch, sagen wir: für Waffenhändler?

Ich habe mich lange mit der Frage befasst, ob es Berufe gibt, die man als Christ nicht ausüben darf. Grundsätzlich würde ich aber sagen: Es kommt auf den Kontext an. Auch Waffen werden gebraucht – etwa, um Landesgrenzen zu verteidigen. Es gibt keinen Beruf, der per se an den Pranger gehört.INTERVIEW: PS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen