: Ein sexuell gehemmter Schelm
Biopic 1 Regisseur Peter Greenaway begleitet einen Kollegen nach Mexiko: „Eisenstein in Guanajuato“
Sex und Tod seien der Stoff, aus dem das Kino gemacht ist, heißt es immer wieder. Es sind große Worte, mit der sich bestens jede Filmdiskussion zerschlagen lässt. „Sex und Tod und Eisenstein“ wäre eigentlich ein guter Alternativtitel für Peter Greenaways „Eisenstein in Guanajuato“. Nur dass Greenaway das Thema in etwa folgendermaßen herunterbricht: Sergei Eisenstein (Elmer Bäck) fährt 1931, nach dem Scheitern all seiner Projekte in Hollywood, nach Mexiko und erlebt dort, als 33-Jähriger, seine Entjungferung.
„Zehn Tage, die Eisenstein erschütterten“ – für alle, die eine Anspielung verstehen. Wobei Greenaway in seinem von wahren Ereignissen inspirierten filmischen Traktat weitgehend auslässt, was Eisenstein eigentlich nach Mexiko brachte: ein Filmvorhaben selbstverständlich. 50.000 bis 70.000 Meter Film (30–50 Stunden) soll Eisenstein von 1930 bis 1932 in Mexiko verschossen haben, Material, das ihm von seinem Produzenten Upton Sinclair nach Abbruch der Dreharbeiten aus der Hand genommen wurde.
Greenaway schildert zu Beginn des Films zwar per Voice-over die Hintergründe, aber kaum dass er Eisenstein in Mexiko ankommen lässt – stilvoll begrüßt von Diego Riviera und Frieda Kahlo – verkommt das Filmprojekt zum bloßen Hintergrund seiner Erzählung über die späte sexuelle Erweckung des „Panzerkreuzer Potemkin“-Regisseurs. Statt ihn bei Dreharbeiten zu zeigen, lässt Greenaway seinen Eisenstein sich unter der Dusche entblößen, wo er Zwiegespräche mit seinem Penis („Senor Dick, behave!“) hält. Später, als, wie soll man sagen, die Tat vollbracht ist, und Sergei durch seinen mexikanischen Reiseführer Palomino (Luis Alberti) um seine sexuelle Unschuld gebracht wurde, sieht man ihn bäuchlings auf dem Bett liegen, während aus seinem blutenden Hintern ein sowjetisches Fähnchen ragt.
Mit solchen Bildern kriegt man noch die größten Worte klein. „Eisenstein in Guanajuato“ ist ein Film wie aus der Zeit gefallen. Technisch zwar absolut modern, mit seinen Splitscreens, Doppelprojektionen, Trackingshots und seiner Digitalbastelei, zeugt der Geist dahinter aber, dauerschwafelnd, mäandernd, thesenstark und den Beweis stets schuldig bleibend, von einer anderen, wikipedialosen Epoche.
Wobei man Greenaway nicht etwa verübeln mag, dass er sich nur wenig an die verbürgten historischen Details hält. Im Gegenteil, das unmissverständliche „Outen“ von Eisenstein scheint angesichts der in Russland grassierenden Homophobie höchst angemessen, wie kompliziert die private Wahrheit dahinter auch immer gewesen sein mag.
Enttäuschend ist vielmehr, was Greenaway mit all seiner künstlerischen Fantasie aus Eisenstein macht: einen stolpernden, provinziellen, sexuell gehemmten Schelm, den das Wunder sanitärer Technik zum Staunen bringt und die Hitze Mexikos an den Rand des Selbstvergessens. Zwar verfügt auch dieser Eisenstein dank der intelligenten Darstellung des Finnen Elmer Bäck über einigen Charme. Aber weshalb Eisenstein bis heute an den Filmschulen dieser Welt als großer Regisseur und Theoretiker gehandelt wird, das könnte man angesichts von „Eisenstein in Guanajuato“ keiner Schulklasse erklären.
Die Reize von Greenaways Film liegen woanders. In der schieren Freude am Bildaufbau etwa, bei der Greenaway die verschiedensten Techniken mischt. Mal setzt er per Bildaufteilung historisches Material zum eigenen in ein Verhältnis, mal bannt er die Ungleichzeitigkeit der Existenz in eine einzige Kamerafahrt durch einen Raum. Und nie geht es ihm ums reine Erzählen. Das Reflektieren ist immer schon mit in den Bildern vorhanden. Hinzu kommt der quasselnde, kommentierende Eisenstein. Es ist alles ein bisschen viel, aber auch nie völlig uninteressant. Barbara Schweizerhof
„Eisenstein in Guanajuato“. Regie: Peter Greenaway. Mit Elmer Bäck, Luis Alberti u. a. Niederlande u. a. 2015, 105 Min.
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