: Der schmutzige Kampf um die Macht
Brasilien Die Opposition will Präsidentin Dilma Rousseff lieber heute als morgen stürzen. Die Regierung konterkariert mit faulen Kompromissen zum Machterhalt die eigene Politik. Der Kongress driftet nach rechts und die Wirtschaft kriselt unvermindert weiter
Aus Rio de Janeiro Andreas Behn
Die politische Krise in Brasilien nimmt immer skurrilere Züge an. Im Poker um die Macht setzen Regierung wie Opposition auf schamlose Allianzen. Derweil geht der Rechtsruck im Kongress weiter, und im Zuge der Wirtschaftskrise werden soziale Errungenschaften abgebaut.
Im Mittelpunkt des Tauziehens steht der mächtige Parlamentspräsident Eduardo Cunha. Er gehört zum wichtigsten Koalitionspartner der Regierung, der Zentrumspartei PMDB, hat sich aber schon vor Monaten von Präsidentin Dilma Rousseff losgesagt und macht offensive Oppositionspolitik. Der evangelikale Hardliner wurde so zum Lieblingskind der konservativen Opposition, die alles daran setzt, die Mitte-links-Regierung der Arbeiterpartei PT zu stürzen. Dass Cunha einer der 50 ranghohen Koalitionspolitiker ist, gegen die im Rahmen des Korruptionsskandals um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras und ein Kartell von Baufirmen ermitteln wird, stört die Konservativen nicht. Denn bei ihrem Versuch, die Regierung Rousseff zu Fall zu bringen, sind Cunha und seine Hausmacht im Parlament unverzichtbar.
Zudem macht Cunha der Regierung das Leben schwer, indem er Gesetzesvorhaben vorantreibt, die nach Meinung der PT auf das Prinzip „Je schlechter, desto besser“ setzen – also populistische Maßnahmen, die die angespannte Finanzlage des Landes weiter verschärfen. Nur mit äußerst knapper Mehrheit gelang es Rousseff vergangene Woche, mehrere solcher Initiativen per Veto abzuschmettern, die den Staat beispielsweise mit milliardenschweren Gehaltserhöhungen von Justizangestellten an den Rand des Bankrotts gebracht hätten.
Cunhas Allmacht – einige sahen in ihm schon den nächsten Präsidenten – bröckelt jedoch rapide, seitdem die Schweizer Justiz im Oktober nachwies, dass er illegale Konten mit mehreren Millionen US-Dollar in der Alpenrepublik unterhielt. Obwohl Cunha alles abstreitet, muss er sich nun vor der Ethikkommission des Parlaments verantworten und bangt um sein Amt. Vergangene Woche gelang es ihm nur mit schmutzigen Tricks, die Arbeit der Kommission zu verzögern. Doch plötzlich ist es die Regierung, die ihm die Stange hält: Da Cunha immer noch die Macht besitzt, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff einzuleiten, stehen einflussreiche Teile der PT hinter ihm.
Das Schmierentheater rund um Cunha ist nur der Höhepunkt eines Politschauspiels, das die Brasilianer seit Rousseffs Wiederwahl im Oktober 2014 ertragen müssen. Seitdem setzt die Opposition auf den sogenannten dritten Wahlgang, indem sie die PT-Regierung sowohl für den Korruptionsskandal als auch für die Wirtschaftskrise verantwortlich macht. Statt eigene Inhalte zu vertreten, boykottiert sie die Regierungsarbeit und trägt damit zur ökonomischen Stagnation bei. Mit mehreren Gerichtsverfahren und unterstützt von rechten Demonstranten versucht sie, Rousseff aus dem Amt zu drängen.
Die PT kritisiert diese von allen Massenmedien getragene Kampagne als „Putschversuch“. Doch statt eine konstruktive, soziale Politik im Sinne ihrer Wahlkampfversprechen zu machen, setzt die PT alles daran, mit faulen Kompromissen und fragwürdigen Personalentscheidungen ihre zerfledderte Basis im Kongress zu kitten. Und trotz erfolgreicher Wirtschafts- und Sozialpolitik setzt die PT-Spitze jetzt plötzlich auf neoliberale Konzepte. Sozialprogramme werden gekürzt und die Rechte von Arbeitnehmern eingeschränkt. Zu Recht moniert die Opposition, dass Rousseff ihre Wirtschaftspolitik von den Konservativen abgeguckt hat.
Die Lähmung der Exekutive nutzt der konservative Kongress derweil, den angekündigten Rechtsruck umzusetzen. Das Paket ist ein Rollback auf ganzer Linie: Verschärfung des Abtreibungsverbots, weniger Auflagen für Waffenbesitz, mehr Rechte für religiöse Gruppierungen, Offensive gegen Lesben und Schwule, Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters und Entrechtung indigener Gruppen zum Wohl der Großgrundbesitzer. All diese Gesetzesinitiativen haben erste parlamentarische Hürden genommen und immerhin einen gewissen Widerstand der immer noch konsternierten sozialen Bewegungen hervorgerufen. Für den Rechtsaußen Cunha scheint das Kalkül: Solange die Abgeordneten mit hitzigen Debatten beschäftigt sind, so langen werden sie ihn nicht aus dem Amt feuern..
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