: Unter der Herrschaft des Bösen
DYSTOPIE Die neue von Amazon produzierte Fernsehserie „The Man in the High Castle“ entwirft düstere Aussichten: Die Japaner und die Nazis haben den Krieg gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt
von Fabian Tietke
Auf den ersten Blick ist es der übliche Aufschwungsenthusiasmus der 1960er Jahre, der Nazi-Spion Joe Blake (Luke Kleintank) von der Leinwand entgegen flimmert: strahlende Gesichter, startende Raketen, fliegende Adler. Erst die Flagge lässt stutzen: Anstelle der „Stars“ auf den „Stripes“ zeigt die amerikanische Fahne ein Hakenkreuz. Ein Mann setzt sich neben Blake und drückt ihm einen Zettel in die Hand mit einer Adresse. Blake läuft los, durch die Nazi-Patrouillen in den Straßen.
Wir befinden uns im Jahr 1962 in New York. Die Stadt ist Teil des erweiterten Reichsgebiets. Deutschland und Japan haben den Krieg gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt. Der östliche Teil der USA ist von Deutschen besetzt, westlich der Rocky Mountains regieren die Japaner. Dazwischen liegt eine große neutrale Zone.
Während Joe Blake durch New York läuft, schweben Magnetbahnen über die Straßen hinweg. Geschichte ist das nicht, eher Science-Fiction, von den 1960er Jahren aus gesehen. „The Man in the High Castle“ basiert auf Philip K. Dicks gleichnamigem Science-Fiction-Klassiker (deutscher Titel: „Das Orakel vom Berge“), geschrieben 1962. Die zehnteilige Serie ist im Auftrag von Amazon Video entstanden, produziert von Ridley Scott, geschrieben vom erfahrenen Fernsehautor Frank Spotnitz („The X-Files“).
Nach seinem konspirativen Treffen mit Angehörigen einer amerikanischen Widerstandsgruppe übernimmt Joe Blake in New York einen Lastwagen mit unbekannter Fracht. Sein Ziel: Canon City in der neutralen Zone. In San Francisco ist Juliana Crain (Alexa Davalos) auf dem Heimweg, als ihre Schwester ihr ein Paket gibt und kurz darauf von der japanischen Polizei erschossen wird. Juliana findet in dem Paket eine Filmrolle mit dem kryptischen Titel „Schwer liegt die Heuschrecke“.
Sie legt die Rolle in einen Projektor und sieht Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg und dessen Ende – so wie es wirklich war: Die Alliierten landen in der Normandie und die Amerikaner gewinnen den Krieg. Die Realität als Fiktion in der Fiktion. Außer der Filmrolle enthält das Paket ein Busticket für den nächsten Morgen, das Ziel: Canon City.
Die Serie ändert die Buchvorlage in zahlreichen Details, bleibt ihrem Geist aber treu. Das gilt auch für die gespenstischen Szenen, die die gesellschaftlichen Veränderungen im Amerika unter deutscher Herrschaft auf den Punkt bringen. Joe Blakes Lastwagen hat auf der Landstraße im Nirgendwo einen Platten. Ein Polizist hilft ihm beim Radwechsel und bietet ihm seine Stullen an. Ein Tattoo zeugt von der Vergangenheit des Polizisten im Krieg („Wir haben den Krieg verloren, nicht wahr? Heute kann ich mich nicht mal mehr daran erinnern, wofür wir gekämpft haben.“)
Dann rieselt Asche vom Himmel. Lapidar kommentiert der Polizist: „Das ist das Krankenhaus. Dienstags verbrennen sie Krüppel.“ In Szenen wie dieser findet die Serie Bilder für die Konfrontation verschiedener Wertesysteme. Die Qualität von Dicks Roman besteht darin, dass er sich nicht auf die Schauder der Fiktion – was wäre, wenn – konzentriert, wie etwa Robert Harris’ Roman „Fatherland“.
Vielmehr gelingt Dick eine Balance zwischen ideologischen Konfrontationen, philosophischen Überlegungen und der für Science-Fiction so prägenden Freude daran, Welten zu entwerfen. Die Serie übersetzt all dies in Narration und beeindruckende Bilder, ohne überladen zu wirken.
Die detailverliebte Ausstattung, die 60er-Jahre-Modernismus mit Nazipomp kombiniert, die omnipräsente Medialität von Radio, Fernsehen und Zeitungen, die Dicks Romane auszeichnen – all das findet sich in der Serie wieder. Scott und Spotnitz ist eine kongeniale Adaption eines der wichtigsten Science-Fiction-Romane des 20. Jahrhunderts gelungen.
Die zehn Folgen sind bei Amazon Instant Video in der englischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln verfügbar. Die deutsche Synchronfassung erscheint am 18. Dezember.
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