: Markus Söders heimlicher Triumph
Union Wer wurde hier gedemütigt? Beim CSU-Parteitag in München hält Horst Seehofer der Kanzlerin eine Standpauke, erhält bei seiner Wiederwahl aber eine Watschn. Sein Widersacher genießt das
von dominik baur
Zwei Fernsehkameras waren während der Parteitagsrede ununterbrochen auf ihn gerichtet. Dabei war Markus Söder am Samstagvormittag beim CSU-Parteitag gar nicht der Redner, sondern nur Zuhörer. Nachdem zuvor viel über das angespannte Verhältnis zwischen Parteichef Horst Seehofer und Bayerns Finanzminister spekuliert und geschrieben wurde, blieb Söder während der Rede seines Chefs kein unbeobachteter Moment gestattet. Ob er sich im Ohr kratzte oder sich seinem Smartphone widmete, die Kameras begleiteten ihn.
Es ist wenige Minuten vor zehn Uhr, als Bayerns Ministerpräsident in der Messehalle ans Rednerpult tritt. Rund anderthalb Stunden wird Seehofer nun über die Dinge sprechen, die ihn bewegen: über Bayern, die CSU, über Terroristen, Flüchtlinge, über sich: „Der Staat muss seinen Bürgern geben, was die Terroristen ihnen nehmen wollen“, sagt Seehofer gleich zu Beginn: „Sicherheit!“ Es gehe auch nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern um einen Kampf gegen die Barbarei.
Söder hat indes bei einer der emsigen Messehostessen eine belegte Semmel bestellt. Doch als sie ihm den gewünschten Snack bringt, scheint er nicht so ganz seinen Vorstellungen zu entsprechen. Er klappt das Ding mehrfach auf und zu und lässt es schließlich wieder zurückgehen. Wenig später kommt eine neue Semmel, diesmal wird sie verspeist.
Ein jeder trage, was er kann
CSU-Chef Seehofer legt sich auf dem Podium ins Zeug, um die Delegierten vor seiner Wiederwahl für sich einzunehmen. Man brauche keine Willkommenskultur, so der Ministerpräsident, sondern eine Kultur der Vernunft. Das sei kein Widerspruch zum christlichen Glauben. Denn: „Niemand kann gezwungen werden, mehr zu tragen, als er tragen kann.“ Klingt wie eine Bibelstelle. Stattdessen ist es der aktuelle Bayernkurier, in dem sich das Zitat eines CSU-Veteranen findet.
Söder nimmt einen Schluck aus der Red-Bull-Dose.
Dann kommt Seehofer auf die Finanzpolitik zu sprechen. Bayern habe nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt und zahle Schulden zurück, es sei sogar in der Lage, Rücklagen zu bilden. Pause. „Deshalb, Markus Söder, danke für diese Finanzpolitik.“ Es brandet Applaus auf. Es wird – vom Schlussapplaus einmal abgesehen – der stärkste Beifall während der gesamten Rede bleiben.
Markus Söder schmunzelt.
Seehofer ergreift die Gelegenheit und spricht sein schwieriges Verhältnis zum Finanzminister direkt an. „Ich mach’ Fehler“, sagt er, „Markus Söder macht Fehler. Ich gebe sie zu – manchmal. Markus Söder gibt sie zu – neuerdings.“ Damit hat der CSU-Chef die Lacher auf seiner Seite. Den meisten Delegierten gefällt, dass das Zerwürfnis der beiden Parteigranden zu einem Zank zweier Lausbuben herabgestuft wird.
Rüpelei auf offener Bühne
Über Angela Merkel spricht Seehofer wenig. Nach einer Stunde sagt er: „Wir haben eine erstklassige Bundeskanzlerin.“ Als könnte dieser eine Satz die Demütigung wieder wettmachen, die er seiner Duz-Freundin am Tag zuvor zugefügt hatte: Als Ehrengast war Angela Merkel nach München gekommen, um auf dem Parteitag der Schwesterpartei zu sprechen. Doch nach ihrer Rede hielt ihr Seehofer auf der Bühne statt der üblichen Dankesworte eine viertelstündige Predigt, die sie wie ein Schulmädchen über sich ergehen lassen musste – was nicht nur in der CDU, sondern sogar von der Opposition als rüpelhaftes Verhalten bewertet wurde. Er sei enttäuscht gewesen, wird sich Seehofer später rechtfertigen, dass die Kanzlerin in keinem Satz auf das Anliegen der CSU eingegangen sei, die Flüchtlingszahl per Obergrenze zu senken.
Erst die Kanzlerin vor dem versammelten Parteitag zur Schnecke machen, dann ein paar witzig-versöhnliche Signale an seinen Widersacher Söder aussenden und schließlich den vermeintlich zwangsläufigen Dreiklang Bayern-CSU-Seehofer beschwören – das dürfte soweit in die ganz persönliche Parteitagschoreografie von Horst Seehofer gepasst haben. Damit müsste doch eigentlich die Lufthoheit über den Ortsvereinen wie den Stammtischen wieder gesichert sein.
Doch dann übernehmen plötzlich andere die Regie. Die Delegierten.
87,2 Prozent. Das Ergebnis, von dem nun alle in der CSU sagen, es sei ein gutes, ist Seehofers schlechtestes bisher. Im Direktvergleich zur letzten Wahl 2013 büßte Seehofer sogar 8,1 Prozentpunkte ein. Wir befänden uns eben in schwierigen Zeiten, versucht Markus Söder das Ergebnis kleinzureden – und weiß doch: Die Watschn für seinen Chef ist gleichzeitig sein eigener Sieg.
Nach seiner Rede hatten die Delegierten dem Parteichef noch begeistert applaudiert. Auf einen Denkzettel bei der Wahl deutete nichts hin. Als Seehofer noch während des Beifalls das Podium verlassen will, läuft er zunächst an der Rampe vorbei. Den richtigen Abgang findet er erst beim zweiten Anlauf.
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