GEHT‘S NOCH?
: Armer Charlie Sheen

Der Schauspieler ist HIV-positiv. Und brach nun sein Schweigen. Ein Held unter den infizierten Heteros wird er dennoch nicht

Sehr viele Jahre lebte er vom Ruf, ein Flegel unter den Schauspielern Amerikas zu sein. Ein Säufer sondergleichen, und, was Charlie Sheens öffentlichen Äußerungen angeht, wahrlich kein Sweetheart. Nun wurde durch ihn selbst bekannt, dass er HIV-positiv ist. So weit, so bedauerlich. Jahre schon trägt er das Virus in sich – und outet sich jetzt, nachdem er lange Zeit erpresst wurde, von Leuten, so genau erfahren wir es nicht, aus rotlichten Gegenden.

Bekommt er nun Mitleid? Hat er mit öffentlich formulierten Gefühlen des Trosts zu schaffen? Darf er sich als Held vorkommen? Nein. In Wahrheit wird Sheen nicht zum Helden der HIV-positiven Heteros, weil er viel zu wenig erzählt und sich von angsterfüllten Reflexen der Öffentlichkeit hat jagen lassen.

Weil er etwa nicht Auskunft darüber gibt, ob und seit wann er regelmäßig virusunterdrückende Medikamente nimmt. Denn dann wäre Sex mit ihm für seine Sexualpartnerinnen auch ohne Kondom vollkommen harmlos. Man kann mit HIV steinalt werden, jüngste US-amerikanische Studien prognostizieren gar eine höhere Lebenserwartung als für Nichtinfizierte – sofern man gewissen medizinischen Standards folgt. Doch davon ist bei Charlie Sheen keine Rede. Kein Wort darüber, dass HIV medizinisch betrachtet zu einer unspektakulären Angelegenheit wird, wenn man sich frühzeitig behandeln lässt.

Wie sich nun am Fall Charlie Sheen zeigt, ist die Gesellschaft noch lange nicht so weit. Wollen die alten Reflexe der Angst nicht verschwinden und grassiert die Stigmatisierung. Von einer HIV-infizierten Person sind hier Willensstärke und ein Akt der Selbstbehauptung gefragt, um gegen Stigmatisierungen resistent zu werden und sie nicht noch selbst zu befeuern. Dies hat Charlie Sheen offenkundig bisher nicht geschafft, sich damit selbst erpressbar gemacht und für nichts Geld verfeuert. Schlimmer noch, er ist im US-Frühstücksfernsehen medienwirksam zu Kreuze gekrochen und hat den Skandal bedient, wo aufgeklärte Coolness angebracht gewesen wäre. Hierin liegt sein eigentliches persönliches Versagen. Hey, Charlie Sheen, geht‘s noch?

Manuel Schubert