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2045Mit dem E-Skateboard zur Arbeit, mit dem Zeppelin nach New York – von der Zukunft ohne Autos und Flugzeuge ent­wirft der Mobilitätsforscher Stephan Rammler konkrete Bilder. Der VW-Skandal könnte Treibstoff für diese Wende sein, sagt er„Wir haben jetzt einen Fukushima-Moment“

Gespräch Ingo Arztund Luise Strothmann

taz.am wochenende: Herr Rammler, reisen wir gemeinsam ins Jahr 2045. An der vierspurigen Kreuzung hier im Süden von Berlin, wie sieht es da aus?

Stephan Rammler: Wir sehen Taxis mit Elektroantrieb, Segways, Elektroskateboards, das eine oder andere selbstfahrende Auto. Aber vor allem wird es auf das Rad hinauslaufen: Pedelecs, also Räder mit elektromotorischer Unterstützung und Fahrradrikschas für Transporte. Das Fahrrad steht am Anfang seiner technologischen Entwicklung.

Also statt schicken Autos haben wir schicke E-Bikes?

Einige der kleinen, wendigen Elektrofahrzeuge könnten im Privatbesitz sein. Aber sonst bewegen wir uns mit einer Mischung aus öffentlichen und kollektiven Verkehrsmitteln: S-Bahn, U-Bahn, Elektrobusse, Carsharing. Der Individualverkehr mit Autos ist zu Ende.

Die Zahlen sprechen gegen Sie. Nichtmal der Absatz von VW bricht gerade ernsthaft ein.

Ich entwickle nicht die Szenarien, die am wahrscheinlichsten sind. Sondern solche, die möglich sind. Heute haben wir 40 Millionen Fahrzeuge in Deutschland, die 22 Stunden am Tag still stehen und durchschnittlich nur von ein bis zwei Personen benutzt werden. Das ist allein schon volkswirtschaftlich eine Dummheit. Technisch haben wir schon seit vielen Jahren alles, was wir brauchen. Wir können Fahrzeuge effektiver nutzen, auch mit einer Art Mitfahrzentrale für die Stadt.

Eine Art smartphonebasiertes Trampen?

Ja. Grundsätzlich wird es wahrscheinlich keine Tickets geben. Wir steigen vom Bus in das Carsharingauto und von der S-Bahn in die Fernbahn. Alles andere regelt eine Software im Hintergrund.

Müssen wir uns überhaupt so viel bewegen?

Nicht, wenn wir wieder kompakter bauen. Mobilität kann man auch als Erreichbarkeit von Einrichtungen verstehen. Es geht vor allem um Stadtplanung: Wenn ich in einer Innenstadt-Gegend wohne und alles in der Nähe ist – mein Arbeitsplatz, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten – ist das eine Strategie der Verkehrsvermeidung.

Stephan Rammler

Leben: Stephan Rammler, 47, ist Politologe, Ökonom und Soziologe. 2007 gründete er das Institut für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, wo er als Professor lehrt. Seine Schwerpunkte sind Mobilitäts- und Zukunftsforschung und Transformationsdesign. Zu diesen Themen berät er auch Politiker und Manager. Rammler hat drei Kinder und lebt in Berlin.

Denken: Ende des vergangenen Jahres erschien Rammlers Buch „Schubumkehr – Die Zukunft der Mobilität“. Es enthält unter anderem Reiseberichte aus der Welt in 30 Jahren. Gemeinsam mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer hat Rammler außerdem den „Futurzwei Zukunftsalmanach 2015/16 – Geschichten vom guten Umgang mit der Welt“ herausgegeben.

Erklären Sie das mal meinem Vater in dem Sechzig-Einwohner-Dorf in Mecklenburg.

Auf dem Land wird das Auto noch eine größere Rolle spielen, aber es wird mit Elektromotoren oder Brennstoffzellen angetrieben.

Wir reden viel von Personenverkehr und selten von Lkw. Kann man Carsharing auf die Industrie übertragen?

Güterverkehr ist der große Wachstumsmarkt der Zukunft und das ist eigentlich unser Hauptproblem. Die Lösung wäre eine Verlagerung auf die Schiene und auf Binnenschifffahrt. Etwa mit autonom fahrenden Katamaranflößen, die sich zu großen Verbünden zusammenfinden können.

Wir standen vorhin eine Weile gemeinsam draußen an der Kreuzung. Sie waren genervt, oder?

Ich liebe Autos. Einerseits. Ich bin auf dem Land groß geworden. Ich weiß sehr wohl, welche Faszination Autos haben. Eine ideologische Verteufelung des Autos führt erst mal zu gar nichts.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Auto?

Ja, klar. Ich war 18, das war ein extrem emanzipatorischer Schritt. Das war einer der Vorläufer vom Polo, ein ganz kleines Auto mit 70 PS. Eine Rakete.

War das eine Zweck- oder Liebesbeziehung?

Aus einer Zweckbeziehung wird ja oft eine Liebesbeziehung. Es hat eine ungeheure Faszination, mit dem Mietwagen Tausende von Kilometern durch die Wüste von Nevada zu fahren. Wir müssen diese emotionale Dimension begreifen, um zu verstehen, warum die Menschen so lange an diesen Fahrzeugen hängen. Hohe Geschwindigkeiten machen Spaß. Aber dieses Flow-Erlebnis sollten sich die Leute gegen Gebühr auf einer Rennstrecke holen. Dann kann man auf den Autobahnen ein Tempolimit einführen und würde eine Menge Energie sparen.

Sie haben noch nicht auf die Frage geantwortet, ob Sie genervt sind.

Ich bin total genervt, von stinkenden Dieselautos und vom Lärm. Es ist einfach einer modernen Gesellschaft in keiner Weise mehr angemessen, mit solchen Fahrzeugen durch die Gegend zu fahren. Das nervt mich, weil wir bessere Möglichkeiten haben. Wir könnten längst alle Elektroautos fahren, wenn wir das nur wollten.

Woran mangelt es dann noch?

Es gibt eine große kognitive Dissonanz, so nennen das Sozialpsychologen: eine Schere zwischen Wissen und Handeln. Eine Abkehr von Autobesitz sehe ich nur bei jüngeren, urbanen Zielgruppen, nicht im Mainstream. Die Leute sagen: Wir möchten saubere Städte, weniger Autos, sauberere Luft, weniger Lärm. Aber wer kauft dann weiterhin diese Dieselfahrzeuge von VW?

Die Aufregung über zu hohe Abgaswerte endet offenbar vor den Türen der Autohäuser.

Für mich gehört der Dieselgate-Skandal zu einer Kette von Dingen, die in den letzten Jahren immer wieder passiert sind. Das ist die Spitze der automobilen Geschwindigkeits- und Beschleunigungskultur, die tief eingegraben ist in unsere Gesellschaft. Dazu gehören Unternehmen, Kunden und die Politik.

Wollen Sie fehlenden Veränderungswillen gleichsetzen mit systematischem Betrug?

Es gab saumäßig kriminelle Machenschaften bei VW, ja. Aber es ist doch so: Kein Automobilkonzern hat bislang radikal umgestellt. Weil die Kundschaft nicht da ist. Die Unternehmen können in einer kapitalistischen Marktwirtschaft gar kein anderes Interesse haben, als große und teure Fahrzeuge zu verkaufen. Wenn es keine Nachfrage nach Öko-Alternativen gibt, muss die Politik die Transformation anschubsen.

Momentan läuft es doch eher so: Merkel ruft in Brüssel an und sagt, wir hätten gern einen höheren Multiplikationsfaktor bei den Stickoxiden, also schlechtere Abgasgrenzwerte, weil unsere Autoindustrie das nicht hinkriegt.

Der VW-Skandal

Der Betrug:Volkswagen hat im großen Stil die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen manipuliert. Wie US-Umweltbehörden im September herausfanden, überschreiten die Stickoxid-Werte die Grenzwerte deutlich. In bis zu elf Millionen Autos war eine Schummel-Software installiert, hat VW nach langem Zögern zugegeben. In dieser Woche hat der Konzern aus Wolfsburg auch eingeräumt, zu niedrige CO2-Werte angesetzt zu haben. Es soll um bis zu 800.000 Fahrzeuge gehen, darunter erstmals auch Benziner.

Die Folgen: Der Abgasskandal wird für VW vor allem eines: sehr teuer. Bisher legte Europas größter Autokonzern 6,7 Milliarden Euro für die Kosten des Stickoxid-Problems zurück. In den USA droht VW eine milliardenschwere Strafe. Auch in Europa sind hohe Strafen und Schadenersatzforderungen zu erwarten. Hier ruft VW 8,5 Millionen Fahrzeuge zurück in die Werkstätten.

Fossile Automobilität wurde über 100 Jahre massiv gefördert. Da ist es doch wahnsinnig anzunehmen, die Unternehmen können innerhalb von fünf Jahren eine Million Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen. Die Politik muss den Rahmen neu setzen.

Was heißt das konkret?

Es bräuchte etwa eine emissionsgekoppelte Kraftfahrzeugsteuer, die viel höher ist als bislang. Und ein Bonus-Malus-System: Käufer eines Elektroautos bekommen einen Bonus und diejenigen, die weiterhin am Verbrennungsmotor festhalten wollen, einen Malus auf den Preis. Man könnte das kostenneutral finanzieren. Das ist ein Eingriff in das Spiel der Marktkräfte, aber wenn man eine so radikale Veränderung möchte, muss man das tun. Es braucht eine mutige Politik.

Die von der Autoindustrie abhängig ist und von dem Wunsch wiedergewählt zu werden.

Ein wichtiger Schritt ist eine Wahlbevölkerung, die bereit ist, Politik zu ermächtigen, radikale Schritte zu gehen. Es gibt Vertreter grüner Positionen, die voller Mitleid sagen: Ich würde ja auch kein Politiker sein, denn wenn ich das und das umsetze, dann werde ich abgewählt. Was ist das denn für ein Politikverständnis?

Also Mut zur harten Regulierung?

Wenn ich so etwas sage, dann steht immer gleich der Vorwurf der Öko-Diktatur im Raum. Totaler Blödsinn. Das sind rein marktwirtschaftliche Prozesse, mit denen sich das umsetzen lässt.

Könnte der VW-Skandal da einen Anschub geben?

Wir können Diesel-Gate für eine Mobilitätswende nutzen. Merkel hat bei der Energiewende die Chance von Fukushima genutzt, auf der Basis einer schon vorhandenen alternativen Energieversorgungsstruktur den Ausstieg zu schaffen. Wir haben jetzt solch einen Fukushima-Moment. Merkel könnte offen sagen: Der Umgang mit unserer Mobilität und die Abhängigkeit von fossilen Energien weltweit ist ein großes Problem, wir müssen da ganz schnell raus.

Merkel sagt, 2035 fahren wir nur noch mit Elektroautos herum. Und alle so: yeah?

Politik ist für mich die einzige Instanz, die denkbar ist, große Transformationen zu begleiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in dem Moment, in dem Menschen mit Bildern konfrontiert werden – je konkreter, desto besser – ein Impuls entsteht. Ich unterrichte ja auch junge Führungskräfte, zum Beispiel bei Volkswagen. Einmal, nach einem Vortrag über eine andere Mobilitätszukunft, kam jemand und sagte, ich hätte gerade sein Weltbild verändert.

Der geht dann zu VW zurück und seine Erleuchtung verschwindet in der untersten Schreibtischschublade.

Ich glaube, dass es genau diese Leute in den Unternehmen braucht. Diese altlinke Haltung, dass die Unternehmen scheiße sind und die Kapitalisten böse, die ist so was von gestrig.

Das Institut in Braunschweig, dass sie gegründet haben, wurde lange Zeit überwiegend von Drittmitteln, auch aus der Autoindustrie finanziert.

Ich habe keine Berührungsängste mit der Industrie. Aber ich habe nie mit Energieversorgern kooperiert, die Atomstrom im Portfolio hatten, und nie mit Rüstungskonzernen. Mit der Autoindustrie haben wir im Bereich Elektromobilität zusammengearbeitet und bei Carsharing-Konzepten. Veränderung wird nur stattfinden, wenn man sich traut, direkt in diese Unternehmen reinzugehen.

Sie unterrichten Transformationsdesign. Wie ändert man eingefahrene Routinen?

Es hat eine unheimliche Macht, wenn Sie anfangen, im Alltag zu experimentieren, Geschichten zu entwickeln. Es gibt einen utopischen Überschuss im Denken eines jeden Menschen.

Was plant Google? "Ein wahrscheinliches Szenario wäre, dass die die Fahrzeuge unentgeltlich fahren lassen und Daten abgreifen"

Sie fliegen seit zehn Jahren nicht mehr. Das klingt jetzt erst mal nach Verzicht. Können Sie es uns so erzählen, dass wir Lust auf Ihr Leben bekommen?

Vorweg: Neben dem Lust-Machen braucht es auch ein Einfordern von Glaubwürdigkeit. Wenn ich diese Bionade-Biedermeier in Berlin-Prenzlauer Berg anschaue, die ein bisschen Carsharing machen, ein bisschen Biofutter kaufen, hier und da mit dem Rad fahren, grün wählen, aber dann drei- oder viermal im Jahr nach Mallorca fliegen, finde ich das verlogen.

Jetzt hauen Sie auch noch auf die Lohas drauf. Die kriegen es immer vorgehalten, wenn sie nicht hundertprozentig perfekt leben. Viel mehr als die Mehrheit, die ein dickes Auto fährt und trotzdem fliegt.

Soll ich sagen, dass alles toll ist, was sie tun? Das Fliegen ist ein Punkt, wo ich mit relativ wenig Aufwand einen großen Effekt erzeugen kann. Diese Leute haben ja das ökonomische, kulturelle und intellektuelle Potenzial, ihren Lebensstil zu ändern. Interessanterweise sind es vor allem die Grünen-Wähler, die am meisten fliegen.

Die Grünen sind aber traumatisiert von Verzichtsdebatten.

Für uns als Familie war das nie ein Verzicht. Wir sind mit drei Kindern oft mit dem Nachtzug gefahren, waren in Süditalien, im ehemaligen Jugoslawien, auch in nordischen Ländern. Es ist manchmal anstrengend und kostet Geld. Aber es ist auf jeden Fall ein Abenteuer. Sie können mit leuchtenden Augen wundervolle Geschichten erzählen.

Hinterher.

Ja, wenn Sie in der Situation sind, sehen sie das manchmal nicht so positiv. Aber das geht einem im Flugzeug nach Mallorca mitunter genauso. Mehrwert entsteht beim Gefühl, was anderes zu machen. In der alternativen Zukunft werden manche Prozesse durch Technologisierung einfacher. Auf der anderen Seite gibt es Aspekte, die ich zwar nicht als Verzicht beschreiben würde, andere aber sehr wohl als Verzicht sehen. Wenn ich zum Beispiel wie morgen mit dem Nachtzug durch halb Europa fahre für einen Vortrag, ist das sicher auch anstrengend.

Wollten Sie uns nicht gerade Lust machen?

Unsere Kinder hatten in der Schule in Sachen demonstrativem Konsum immer einen Pluspunkt. Sie waren die einzigen, die diese Nachtzug-Erfahrung gemacht hatten. Im Gegensatz zu den Freunden, die von klein auf fliegen.

Irgendwann wird Ihre Kinder das Verbot vielleicht reizen, erst recht in ein Flugzeug zu steigen.

Es gibt kein Verbot. Man muss ja nicht ganz aufhören mit dem Fliegen, aber vielleicht weniger und mit mehr Bedacht. Jeder, der sich für grün hält, den würde ich immer fragen, wie er es denn mit dem Fleisch essen und dem Fliegen hält. Das sind die Bereiche, wo man den ökologischen Fußabdruck massiv verringern kann.

Also eine Art Mobilitäts-Flexitarier werden?

Wenn die Mutter im Sterben liegt, dann soll man auch fliegen. Ich will weg von diesen ideologisch bornierten Debatten.

Am Ende geht es um Ideologie: um den Kapitalismus.

Vision und Wirklichkeit

Mist: Als sich 1898 Experten zur ersten internationalen Stadtplanungskonfenz trafen, sprachen sie nur über ein Problem: Pferdemist. Die Times of London schätzte damals, dass wegen der vielen Kutschen die Straßen der Stadt 1950 mit einer fast drei Meter dicken Schicht aus Pferdemist bedeckt sein würden.

Genie: Der italienische Renaissance-Künstler Leonardo da Vinci zeichnete 1478 den Plan für ein dreirädriges Auto mit Aufziehmotor. Lange konnte niemand etwas damit anfangen, mehr als 500 Jahre später bauten Wissenschaftler das Fahrzeug nach. Und siehe da: Es bewegt sich doch.

Klar: Wie kommen wir zu einer Gesellschaft, die sich im ökologischen Gleichgewicht befindet, die nicht mehr wächst, zu einer nicht-expansiven Moderne? Ich habe keine Pauschalantwort. Ich sehe nur, dass wir global betrachtet weiterhin voll auf dem Zug der Expansion sind und dass Menschen in China und Lateinamerika genau das Leben wollen, das wir haben.

Aber sie könnten Fehler auslassen, die hier gemacht wurden.

Ich bin da oft skeptisch. Aber es gibt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Global Player wie Google oder Apple mit einer Regierung in Asien ins Geschäft kommt und dort etwas ausprobiert. Für die Mobilität, die wir heute haben, ist da ohnehin kein Platz mehr.

Müssten Sie nicht als Zukunftsforscher im Bereich Mobilität mindestens in Tokio leben? Dort entsteht doch die Zukunft.

Ich halte es ein bisschen mit Kant. Er saß in Königsberg und war ein sehr engagierter Leser von Reiseberichten. Ich finde es nicht notwendig, überall selbst gewesen zu sein. Das einzige, was wir tun können, ist hier bei uns etwas anders zu machen.

Zurück ins Jahr 2045. Sie beschreiben in Ihren Texten, wie die Digitalisierung das Unterwegssein entschleunigt, weil man auf einer dreitägigen Reise mit dem Luftschiff nach New York ganz gemütlich im Internet arbeiten kann.

Es geht um die Mischung aus Technologie und einer Veränderung des Lebensstils. Drei Tage an Bord eines solchen Luftschiffes zu sein, wäre der Preis dafür, doch noch international reisen zu können. Und für mich wäre das ideal. Mit digitaler Vernetzung könnte ich die Fahrt so gestalten, dass ich überhaupt nicht das Gefühl habe, Zeit zu verlieren.

Warum beleben Sie eine gefühlt gestrige Technologie wie den Zeppelin wieder?

Weil Luftschiffe keine fossilen Brennstoffe brauchen, sondern mit Brennstoffzellen und elektrischem Antrieb fliegen. Vielleicht gibt es irgendwann hochleistungsfähige Batterien. Sie haben in irgendeiner Weise gespeicherte Energie an Bord und nutzen die, um Elektromotoren zu betreiben. Sie können über Grenzen hinweg fliegen ohne große, teure Flughäfen, weil sie mehr oder weniger überall landen können, wo sie Andockstationen haben.

Es gibt aber schon ein Transportmittel, das für den Flug nach New York nur sieben Stunden braucht. Da bräuchten Sie entweder Steuern, die Fliegen wahnsinnig teuer machen. Oder eine kollektive Öko-Erleuchtung.

Sie brauchen beides. Wir werden keine Veränderung haben, wenn wir keine höheren Preise haben. Wir müssen die externen Kosten im Preis berücksichtigen. Das wäre die beste Möglichkeit, ziemlich schnell alle unsere ökologischen Probleme zu lösen.

Was besonders umweltschädlich ist, kostet besonders viel.

Aber das werden wir leider nicht hinbekommen, denn es würde nur global funktionieren. Sonst gäbe es Abwanderungstendenzen. Für eine globale Lösung aber sehe ich die Zeit noch nicht gekommen. Deshalb ist das Erleben und Kommunizieren von Alternativen der einzige Weg. Wir sind Erzähler unserer Zukunft und Erzählungen tragen dazu bei, die Zukunft zu erschaffen.

Was ist 2045 aus VW geworden?

Das Hauptgeschäft wird nicht mehr die Produktion von Fahrzeugen sein, sondern Dienstleistungen in diesem Bereich. Grundlage dafür wäre eine Schnittstelle wie das Smartphone, so etwas wie die Google-Brille oder etwa ein Knopf im Ohr.

In die Richtung gehen Google und Apple schon heute.

Ein wahrscheinliches Szenario wäre, dass die die Fahrzeuge unentgeltlich fahren lassen und die Daten abgreifen, die dabei entstehen. Das Modell des 21. Jahrhunderts ist: Die Fahrzeuge sollen möglichst voll sein und möglichst den ganzen Tag fahren. Dafür brauchen Sie völlig andere Fahrzeuge, die auf Belastung und hohe Betriebszeiten ausgelegt sind.

Die Geschichte vom Silicon Valley zeigt ja einen großen Drang zum Monopol. Kommt das dann auch in diesem Bereich?

Man könnte die ketzerische Frage stellen, ob Monopolstruktur in einigen Bereichen nicht die Probleme lösen könnte. Momentan scheitert ja vieles an der Konkurrenz. Wenn sich nun Google oben drauf setzt, die ohnehin schon alles können, könnten die alle anderen zu Zulieferern machen.

Dann gäbe es die komplette Überwachung.

Vielleicht muss man soweit gehen und sagen: Wenn wir digitale Technologien nutzen, müssen wir einen Faust’schen Pakt eingehen. Transparent werden, unsere Privatsphäre ein Stück weit aufgeben, um ökologische Veränderungen zu realisieren. Aber im Silicon Valley wird auch über physikalische Lösungen diskutiert: Tubes.

Tubes?

Das sind diese Röhren, in denen man mit Hilfe von Vakuumunterdruck mit Geschwindigkeiten bis zu 1.000 Kilometer pro Stunde durch die Röhre geschossen wird. Ein gut funktionierendes Eisenbahnsystem macht so etwas bei uns in Europa unnötig. Aber in den USA, wo das mit dem Zugverkehr nicht so gut ist, könnte das extrem sinnvoll sein. Es bräuchte mutige Unternehmer, die das umsetzen. Für die Rückkehr des Luftschiffes etwa jemanden wie Richard Branson …

legendärer Gründer von Virgin Airlines, der bald auch Flüge in den Weltraum anbieten will

…einen leidenschaftlicher Unternehmer, der Kapital sammelt und einen Prototyp entwickelt. Die Aufenthaltsqualität auf den Schiffen müsste so gut sein, dass die Leute sich gar nicht mehr herunter wünschen. Ich würde es zunächst mit Tourismus versuchen, man könnte über Gegenden fliegen, in die man sonst nie kommen würde, ohne sie zu zerstören.

Branson hat den Billigflieger erfunden, aber aus seinem Versprechen, drei Milliarden Dollar in grüne Energie zu investieren, ist nicht allzu viel geworden. Glauben Sie wirklich an den Visionär aus dem Silicon Valley, der die Welt verändert?

Diese Art von Visionären, die da gerade unterwegs ist, ist extrem gefährlich. Aber als Möglichkeit wäre das denkbar: Ein Mensch, der das Kapital, den Mut und die Risikobereitschaft hat, in so eine alternative Technologie zu investieren.

Statt dem veränderungsfeindlichen Kapitalismus von VW bekommen wir den veränderungsfreundlichen Turbokapitalismus von Unternehmen wie dem Mitfahrservice Uber.

Alles, was ich Ihnen anbiete, sind Kompromisse. Denn ich sehe gerade keinen Weg, den Kapitalismus abzuschaffen.

Die Autorin Naomi Klein sagt sinngemäß: Es wird keine ökologische Transformation geben ohne Systemwechsel.

Da hat sie wahrscheinlich recht. Aber ich muss trotzdem handlungsfähig sein und jetzt Alternativen anzubieten. Die Rahmenbedingungen, unter denen ich als Wissenschaftler arbeite, sind die, die ich gerade vorfinde. Wie oft habe ich den Impuls, Kartoffeln in den Auspuff zu stecken, also Sabotage zu betreiben. Ich habe nicht auf alle Fragen eine Antwort und frage mich jeden zweiten Tag neu: Wie kann das gehen? Das Zukunftsszenario in meinem jüngsten Buch akzeptiert den Rahmen einer kapitalistischen Moderne. Weil ich keine Alternative hatte, als ich es geschrieben habe.

Wenn Sie dann irgendwann alterswütend werden, kommt dann noch das Buch, das das System in Frage stellt?

Vielleicht. Denn ich bin durchaus wütend gerade. Zum Beispiel wütend auf eine Gesellschaft, die so derbe bigott ist, dass sie diese Diesel-Gate-Geschichte auf diese Art und Weise diskutiert.

Auf welche Art?

VW ist jetzt der böse Konzern, der bestraft werden muss. Was ist mit den Konsumenten, die alle wussten, dass das kein Blütenstaub ist, der da hinten raus kommt? Und die weiterhin Dieselautos kaufen. Was ist mit den Prüfbehörden, die alle Augen zudrückten, was mit der Politik, die seit vielen Jahrzehnten automobilfreundliche Politik macht und den immer drastischeren Widerspruch zu den selbst formulierten Klimaschutzzielen nicht herstellt. Was mich auch massiv ärgert ist, dass die Verbindung nicht hergestellt wird zwischen der aktuellen Migrationsfrage und der Tatsache, dass die jahrzehntelange Erdölsicherungspolitik des Westens eine der stärksten Ursachen dafür ist.

Inwiefern?

Das Abkommen, dass nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen von Syrien, Irak, Iran, Ägypten neu gezogen hat, wurde von den geopolitischen Interessen der Siegernationen gesteuert, unabhängig von ethnischen und innerreligiösen Zugehörigkeiten. Es ging um den besten Zugang zu Erdöl, darum dreht sich die Nahostpolitik im Kern bis heute. 90 Prozent der weltweiten Mobilität hängt von fossiler Energie ab, vor allem Erdöl. Wenn wir Friedenspolitik haben wollen, dann müssen wir etwas an unserer Abhängigkeit vom Erdöl ändern.

Weniger Autofahren ist eine Bekämpfung von Fluchtursachen?

Indirekt ja. Hier bin ich bereit, eine schlichte Formulierung zu akzeptieren.

Schaffen wir irgendwie noch einen Schlenker zurück zum Optimismus?

Meine große Hoffnung liegt auf der kommunalen Ebene. Man muss dabei in Länder blicken, die interessanterweise keine Autoindustrie haben. In der dänischen Hauptstadt Kopenhagen etwa wurde der Radverkehr massiv gestärkt und der Autoverkehr Stück für Stück unattraktiver gemacht, zum Beispiel indem man immer weniger Parkplätze anbot. Dort findet mittlerweile 50 Prozent des Berufsverkehrs mit dem Rad statt. 50 Prozent! Und dort regnet es auch häufig, dass kann ja nicht das Argument sein. Den großen Plan entwerfen ist das eine. Etwas erreichen kann man in den Kommunen. Das ist der Weg, den ich im Augenblick sehe.

Ingo Arzt,37, ist taz-Redakteur im Ressort Wirtschaft + Umwelt

Luise Strothmann,30, ist Redakteurin der taz.am wochenende. Beide haben kein Auto, aber jetzt wieder mal ein schlechtes Gewissen, zu viel zu fliegen

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