: "Gefangene, die wie Tote aussahen"
Zwangsarbeit Die Baracken in Farge wurden Männervernichtungslager genannt, erinnert sich Antonio Karl-Heinz Thermer. Viele der Gefangenen verhungerten
wurde 1943 als „Halbjude“ von der Gestapo verhaftet und ins „Arbeitserziehungslager“ Farge eingeliefert – eines von sieben Lagern, in denen Arbeitskräfte für den Bunkerbau gefangen gehalten wurden. Der vorstehende Text basiert auf einem Interview, das Christel Trouve vom „Denkort Bunker Valentin“ im Mai 2011, ein Jahr vor dessen Tod, mit Thermer führte. Nachdruck nur mit Genehmigung des „Denkorts Bunker Valentin“.
Der Tag in Farge begann morgens 4 Uhr mit dem Appell. Mit Zählen der Lagerinsassen, die große Schwierigkeiten machten. Das Zählen. Eben wegen der Sprachverhältnisse. Die Kapo gingen dann auf Geheiß der SS mit ihren Gummiknüppeln und Knüppeln, die sie in der Hand hatten, auf die Gefangenen los und schlugen sie, so dass manch einer dort am Appellplatz zusammenbrach.
Nach dem Zählappell – ich schätze mal halb sechs, sieben, morgens – wurde dann essen fassen gemacht. Das heißt, so eine kleine Bude stand dort, wo vier oder fünf Gefangene drin waren, die das Essen ausgaben, für circa 1.000 bis 1.200 Leute. Dann begann der Ausmarsch auf die Baustellen. Nach Schwanewede und nach Farge, U-Boot-Bunker.
Der erste Eindruck, den ich bekam, war: „Du bist in der Hölle.“ Als uns die Barackenstube zugewiesen wurde kamen wir durch eine Menge von Gefangenen, die wie Tote aussahen. Ausgemergelt von Hunger, eingefallene Wangen, Ärmchen, praktisch nur noch die Knochen zu sehen. Und wenn sie dann ihren Kittel aus hatten, (...), konnte man die Rippen sehen, die so durchscheuerten, wie Skelette. (...)
Die Essensrationen, die wir mitkriegten, waren ein Stück Brot mit einem Klacks Margarine drauf und das musste bis abends sieben Uhr bei Einmarsch reichen. (...) Und dann wurde die nächste Essenschale ausgegeben. Wir haben das Kapuszta genannt. Das war also eine Kohlsuppe. Einfach so mit Wasser gekocht und dann Ende.
Es ist so manchmal vorgegangen, dass manche Gefangene gar nichts mehr abgekriegt haben. (...) Dann mussten diese Leute hungrig in die Baracke gehen. Und da kann man sich ja vorstellen, warum man also Farge das Männervernichtungslager nannte. Die meisten Menschen sind an Hunger gestorben. (...)
Und dann habe ich miterlebt, der Appellplatz musste antreten. Was der Kamerad gemacht hat, weiß ich heute noch nicht. Jedenfalls kam der auf den Bock. Aber kriegte keine 25 Schläge. Sondern nur 15. Und das war schon genug. (...) Und der schlagende Mann, das war kein Kapo, das war ein SS-Mann, der schlug immer gezielt auf ihn nieder. (...) Am anderen Morgen musste ich die Kohle bei den SS-Baracken reinschleppen. Und musste vom Kohleplatz also die Kohle holen. Da lag dieser Mann da auf den Kohlenhaufen. Ich bin dann noch hingegangen, der hat aber nur noch gemurmelt. (...) Und dann bin ich weggelaufen, weil ich Angst hatte. Ich habe ja noch nie einen Toten gesehen, oder einen Sterbenden.
Dann begann, wo ich eingeteilt wurde zum Bunker. Da musste ich mit einer Karre Zement rauffahren. Nach, ich mein, vier bis fünf Meter hoch auf einem schmalen Steg, umkippen, dann in einem Sperrdings, wie man so was nennt, wenn man Wände hochzieht, wo der Beton dann reinkommt. (...)
Ich hatte immer den Gedanken, in die Hochspannung zu springen. Aber eine innere Stimme hat wohl gesagt, lass mal nach, du kriegst wohl noch bessere Zeiten, nehme ich mal an, ich weiß es nicht mehr genau. (...) Und dann habe ich mir aber gedacht, am Hochspannungszaun waren ja die Wachstände, wo die SS saß, wenn sich einer zu sehr an den Hochspannungszaun näherte, dann haben die sofort geschossen. (…)
Und als wir dann wieder reinkamen ins Lager, da musste man sich hinstellen, weiss jetzt nicht mehr meine Nummer… 7002, sowas war das. Musste mich hinstellen, nachher Hut abnehmen, und sagen: „Der Gefangene bittet darum, wieder eintreten zu dürfen ins Lager. (…) Die dänischen Wachleute waren SS-Verbrecher. Die haben drauf losgeprügelt. Dänische, die holländische und die flämische SS. Wo sie prügeln konnten, haben sie geprügelt. (...) Mit ihren Reitpeitschen oder diesen Gurten, die sie hatten (...)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen