Jede Menge guter Wille

LESUNG Die Akademie der Künste widmete sich in einer „Langen Nacht“ Flucht und Vertreibung und blieb dem Thema doch fern, obwohl gerade die Deutschen eine Menge über Flucht und Vertreibung wissen sollten

Heinrich Mann während seines Exils in den USA vor seinem Haus in Santa Monica, Kalifornien Foto: SZ Photo

von Katharina Granzin

Ein Nachhall der Detonationen von Paris ist auch am Samstagabend noch in der Berliner Akademie der Künste zu spüren. Zu Beginn eines langen Veranstaltungsabends, der den Themen Flucht und Vertreibung gewidmet ist, verliest Jeanine Meerapfel, die Präsidentin der Akademie, einen offenen Brief. Die Akademiemitglieder bekunden darin ihren Abscheu vor dem Terror, um gleichzeitig dezidiert Stellung zu beziehen für eine offene Flüchtlingspolitik.

Diesen Brief habe man am Nachmittag gemeinsam, so Meerapfel, zur französischen Botschaft gebracht und dort zu den Blumen gelegt. Die rührende und gleichzeitig hilflose Symbolik dieser Geste ist irgendwie kennzeichnend für den gesamten Abend, der auf jeden Fall von einer Menge gutem Willen begleitet wird.

„Fluchtpunkte“ nennt man die „Lange Nacht am Hanseatenweg“, die zu kuratieren man sich anlässlich der jährlichen Herbsttagung der Akademie angeschickt hatte. Da sich also eine Menge Akademiemitglieder bereits ohnehin vor Ort befinden, ist ein Großteil des Publikums schon einmal gegeben. Die überwiegend gediegene Silberhaarigkeit der anwesenden Menge scheint überdies darauf hinzuweisen, dass man auch weitgehend unter sich bleibt. Letztendlich ist das vielleicht gar nicht so verkehrt, denn möglicherweise verfolgt man ja mit dem Programm auch eine Strategie der nach innen gerichteten Bewusstmachung.

Anders als der langjährige Akademiepräsident Klaus Staeck, der auf dem Podium davon erzählt, wie er vor drei Jahren auf dem Weg zur Akademiearbeit praktisch über jene Asylbewerber stolperte, die auf dem Pariser Platz für bessere Aufenthaltsbedingungen demonstrierten, und sich damit zur tätigen Mithilfe verpflichtet fühlte, dürfte die Mehrheit der Anwesenden mit einem solchen Ausmaß existenzieller Not bisher eher weniger in Berührung gekommen sein.

Die Tatsache, dass während der Veranstaltung im Saal wiederholt irgendwelche Handys klingeln (und einer der Silberhaarigen sich gar nicht erst aus dem Saal bemüht, um das darauf folgende Gespräch zu führen), zeigt zudem, dass es um die Ernsthaftigkeit, mit der man das Thema verfolgt, nicht bei allen gleich gut bestellt ist.

Dieser Publikumskritik entgegenhalten ließe sich, dass der Verlauf des Abends ein klein wenig zu handgestrickt erscheint, als dass man ihm dieselbe Aufmerksamkeit widmen könnte wie, sagen wir, einem Konzert der Berliner Philharmoniker. Ja, schon. Aber trotzdem. Jeanine Meerapfel ist vielleicht nicht die weltbeste Vorleserin, aber der Abschnitt aus Heinrich Manns Memoiren, „Ein Zeitalter wird besichtigt“,, den sie einleitend darbietet, ist klug gewählt und erinnert unaufdringlich daran, dass gerade die Deutschen eine Menge über Flucht und Vertreibung wissen sollten.

Der immer wieder so gerühmte Hanns Zischler ist anschließend nicht in der Lage, beim Verlesen von Uwe Timms dokumentarischem Text „Am Ende einer langen Reise“, seinen sonor bedeutungsschwangeren Vorlesetonfall abzulegen, sodass dem erschütternden Bericht ­einer jungen Kongolesin über das Martyrium von Misshandlung und Verfolgung, das sie durchlitten hat, eine unpassend theatralische Note beigemischt bleibt. (“Ich will das nicht hören“, raunt der alte Herr hinter mir in Zimmerlautstärke seiner Begleiterin zu, „ich geh schon mal.“ Unklar bleibt, ob er sich am Inhalt oder am Ausdruck stört.)

Die gediegene Silberhaarigkeit zeigt: Man bleibt weit­gehend unter sich

Das Theaterstück der Truppe, „Refugee Club Impulse“, ist weniger ein Stück als das halbgare Ergebnis eines Laienworkshops. Aber die AkteurInnen beweisen große körperliche Präsenz; außerdem gibt es gute Musik dazu. Na ja, und Jenny Erpenbecks „Gehen, ging, gegangen“ dürften inzwischen die meisten im Saal gelesen haben (übrigens ist Erpenbeck gerade als neues Akademiemitglied aufgenommen worden), trotzdem ist es schön, die Autorin in ihrem angenehm nüchternen Duktus noch einmal einen Abschnitt lesen zu hören.

Bleibt nur die Frage, was Ingo Schulze in seinen einleitenden Worten bewog, den Roman als „Abfallprodukt“ von Erpenbecks Engagement für die Flüchtlinge vom Oranienplatz zu deklarieren. In Wirklichkeit war es nämlich umgekehrt; und so herum ist es doch eigentlich erst recht großartig, wenn aus der inhaltlich orientierten Beschäftigung mit einem Thema oder aus einem Kunstwollen menschliche Beteiligung erwächst.

Wer nach all den Bühnenbeiträgen noch Muße hatte, sich in den Nebengelassen der Akademie umzutun, konnte im Filmraum gerade noch das Ende von Anna Thommens wunderbarem Dokumentarfilm „Neuland“ über eine Integrationsklasse in der Schweiz sehen. Der bedeutete natürlich gewissermaßen das wünschenswerte Happy End aller anderen Beiträge. Wenn nur nicht die meisten geflüchteten Menschen so furchtbar lange warten müssten auf das Recht, sich zu integrieren.