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Wie im Kindergarten

Flüchtlinge Julia Weßel organisiert ein Programm zur Kinderbetreuung in der Notunterkunft in Bergedorf. Dort schaffen Freiwillige Entspannung für die Eltern – und Abwechslung für die Kinder

von Albert Wenzel

„Das Kinderlachen entschädigt für alles.“ So kitschig das klinge, sei es doch wahr, sagt Julia Weßel. Gerade hat sie ein aufziehbares Auto wegfahren lassen und ein vier- oder fünfjähriges Mädchen hat es begeistert zurückgeholt, um es ihr dann direkt wiederzugeben. Die 23-jährige Studentin leitet die Kinderbetreuung für Flüchtlingskinder in Bergedorf.

In der Begegnungsstätte „Haus im Park“ der Körber-Stiftung gibt es jeden Dienstag eine Strickgruppe für Frauen aus der Notunterkunft im ehemaligen Max Bahr-Baumarkt. Mona, Liesa und Julia betreuen die Kinder dieser Frauen, damit sie sich etwas entspannen können und die Kinder sich nicht langweilen. Dazu haben sie einen langen Tisch mit Malsachen aufgebaut und auf dem Boden Spielzeug ausgebreitet. „Das ist hier natürlich kleiner als in der Notunterkunft“, erklärt Julia.

Die Betreuung ist normalerweise neben dem Baumarkt untergebracht. In zwei verbundenen Kuppelzelten können die Betreuerinnen die Kinder aus der Unterkunft herausholen. Mittlerweile ist der Bereich auch mit Zäunen gesichert. „Vorher wurde da auch mal geklaut oder sogar reingemacht“, beklagt Julia. Im Moment fehlt es an Licht und die Zelte sind auch noch nicht winterfest.

Gegründet wurde die Kinderbetreuung, als die Flüchtlinge noch in den Hamburger Messehallen waren. Die Gruppe möchte den Kindern Abwechslung und den anderen Bewohnern Entspannung bieten. Mittlerweile sind die Flüchtlinge nicht mehr in den Messehallen. Ungefähr 100 Helferinnen und Helfer betreuen die Flüchtlingskinder deshalb inzwischen an acht Standorten.

Auch Julia begann ihre Arbeit Anfang August in den Messehallen. Von der Kleiderkammer kam sie über die Facebook-Seite der Kinderbetreuung dazu. Sie kam immer wieder und übernahm schließlich auch organisatorische Aufgaben. Nach dem Umzug nach Bergedorf hat sie dort die Leitung übernommen.

Im richtigen Leben studiert die 23-Jährige BWL: „Etwas langweilig, ich weiß.“ Gerade drücke sie sich vor ihrer Bachelor-Arbeit und habe mit der Kinderbetreuung eine wunderbare Variante dafür gefunden. Ihr Leben finanziert sie hauptsächlich über einen Vertreterjob. Die Kinderbetreuung kostet viel Zeit: Nach neun bis zwölf Stunden in der Unterkunft kommen abends oft noch einmal anderthalb Stunden Organisation dazu.

In Bergedorf engagieren sich etwa 15 Frauen und auch ein Mann. Im Gegensatz zur Kleiderkammer kann dort niemand einfach vorbeikommen: Die Helferinnen müssen ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und einen Ehrenamtsvertrag mit dem Betreiber der Unterkunft Fördern und Wohnen abschließen. „Das verlangt natürlich eine gewisse Regelmäßigkeit“, sagt Julia. Deshalb sei es etwas schwieriger, Leute zu finden. Die Freiwilligen können im Moment an vier Tagen in der Woche jeweils zwölf Stunden Betreuung gewährleisten.

Ein kleines Mädchen sitzt sehr still am Tisch und malt vor sich hin. „Die Kinder sind oft sehr schüchtern“, erklärt Julia. Es brauche ein bisschen bis sie auftauen. Das Mädchen habe am Anfang nur in der Ecke gesessen und still in die Gegend geblickt; dass sie male, sei ein echter Fortschritt. Julia wünscht sich in solchen Situationen manchmal eine fachliche Ausbildung. Besonders, wenn Jungs mal randalierten, fühle sie sich überfordert. Nur eine der Helferinnen ist ausgebildete Pädagogin.

Mit den Kindern malen sie, singen, spielen oder tanzen. „Ein bisschen wie ein Kindergarten“, beschreibt es Julia. Die meisten Kinder können weder Deutsch noch Englisch. „Ich quatsche die dann immer auf Deutsch zu“, sagt sie. Wenn es wichtig wird, wechselt sie ins Englische: Bei „Five minutes!“ müssen die Kinder noch ein wenig warten, bei „Finish!“ ist das Spielen gleich vorbei.

Julia arbeitet neun bis zwölf Stunden in der Kinderbetreuung in Bergedorf. Dazu kommen danach oft noch anderthalb StundenOrganisatorisches. Noch zwei Jahre, schätzt sie, könne sie das durchhalten

Privat kümmert sich Julia auch noch um eine sechsköpfige syrische Familie. Sie fährt mit den kranken Kindern zum Arzt und begleitet die Familie zur Anhörung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Familie lebt in der Unterkunft in der Oktaviostraße in Marienthal. Julia hilft ihnen, seit sie ein Facebook-Post von einem Unterstützer aus Berlin gelesen hat, wo die Familie zuerst war. Auch hier läuft die Verständigung „mit Händen und Füßen“. Nachts unterstützt Julia Weßel dann noch manchmal die Helferinnen und Helfer am Hauptbahnhof.

Zwar möchte sie ihr ganzes Leben etwas mit Kindern zu tun haben, aber ihr BWL-Studium will sie trotzdem fortsetzen. „Irgendwann muss ich ja auch mal Geld verdienen“, sagt sie lachend. Noch könne sie die Arbeit aber eine Weile weitermachen, zwei Jahre vielleicht.

Auch grundsätzlich sieht sie für die ehrenamtliche Kinderbetreuung eine Perspektive. Für die Organisation der Kinderprogramme in den Hamburger Erstaufnahmen benötige die Gruppe jedoch ein bis zwei feste Stellen. „Das dauert alles unglaublich lange“, stellt Julia ernüchtert fest. Die bürokratischen Hürden seien sehr hoch, wenn auch, wie bei den Ehrenamtsverträgen, teilweise zu Recht. Schließlich müsse man auf die Sicherheit der Kinder achten. Von der Stadt wünscht Julia sich neben der organisatorischen Stelle vor allem ein qualifiziertes Angebot zum Deutschlernen für die Kinder.

Neben den winterfesten Zelten versucht die Gruppe gerade, zu Weihnachten Geschenke für die Kinder zu organisieren. „Geschenke im Schuhkarton“ heißt die Aktion. Dazu werden in Grundschulen und Kindergärten Sammelaktionen gestartet. Aber auch Privatpersonen können mitmachen.

Aktion „Geschenke im Schuhkarton“ für Flüchtlingskinder in den Erstaufnahmen: bis 4.12., Infos über: geschenkaktion.kinderprogramm@gmail.com

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