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"Stress ist nicht gleich Schmerz"

Tierleid Würde Fischen ein Schmerzempfinden nachgewiesen, hätte das massive Auswirkungen, sagt der Biologe Reinhold Hanel

Foto: privat
Reinhold Hanel

45, leitet den Fachbereich für Fischereiökologie des Von-Thünen-Instituts in Hamburg. Der Biologe hat in Innsbruck promoviert und einen Abschluss in Fischerei und Aquakultur.

taz: Herr Hanel, tut es einer Forelle weh, wenn sich ein Haken durch ihr Maul bohrt?

Reinhold Hanel: Das weiß man nicht. Es ist bis heute unklar, ob Fische in ähnlicher Form Schmerzen spüren wie Menschen und höhere Wirbeltiere. Der Begriff „weh tun“ ist aber in jedem Fall auf den Menschen bezogen.Aber falls eine Forelle keinen Schmerz empfindet, warum zappelt sie dann?

Das kann ein reines Abwehrverhalten sein, eine physiologische Reaktion auf einen Reiz – in diesem Fall den Haken. Das ist nicht unbedingt dasselbe wie Schmerz.

Was ist überhaupt Schmerz?

Rein naturwissenschaftlich ist Schmerz schwer zu erklären. Ein Leiden können Lebewesen nur wahrnehmen, wenn sie eine gewisse Form des Bewusstseins besitzen, da es sich um eine komplexe subjektive Wahrnehmung handelt. Das gesteht der Mainstream der Wissenschaft Fischen nicht zu.

Warum nicht?

Die Hirnbereiche, die beim Menschen aktiv sind, wenn wir Schmerz spüren, gibt es bei Fischen nicht. Zudem ist umstritten, ob Schmerzrezeptoren, die bei höheren Wirbeltieren den Schmerz wahrnehmen, sogenannte Nozizeptoren, bei Fischen überhaupt oder im selben Ausmaß vorhanden sind.

Wie misst man Schmerz bei Fischen?

Genau das ist der Punkt. Man kann es nicht direkt messen. Man müsste entsprechende Nervenbahnen finden und konkret dem Schmerzempfinden zuordnen.

Könnte man nicht auch einen erhöhten Herzschlag feststellen und den Stress, dem das Tier ausgesetzt ist?

Nein. Stress ist eine physiologische Reaktion. Die Frage ist, ob mehr als ein Abwehr- oder Fluchtverhalten dahinter steckt.

Vögel benutzen andere Areale im Hirn als Wirbeltiere, um sehen zu können. Ist dann auszuschließen, dass Fische auch andere Hirn­areale nutzen, um Schmerz zu spüren?

Nein, es sind weitere Untersuchungen notwendig, um die Frage zu klären. Aber es gibt Ergebnisse, die zeigen, dass Fische, wenn ihnen große körperliche Beeinträchtigungen zugefügt werden, schnell zu normalem Verhalten zurückkehren und etwa wieder anfangen zu fressen. Viele Forscher schließen daraus, dass die Fische keinen Schmerz spüren.

Die Forscherin Lynne Sneddon hat Forellen Essigsäure ins Maul gespritzt. Die Tiere haben ihre Mäuler an Glasscheiben gerieben, das Fressen eingestellt und sich am Boden des Beckens gewogen.

Ich kenne den Versuch. Genauso gibt es aber Versuche, die davon ausgehen, dass es eben kein Schmerzempfinden gibt.

Stecken hinter der Einschätzung nicht auch wirtschaftliche Interessen?

Ich möchte keinem Wissenschaftler unterstellen, dass er seine Versuche in eine Richtung beeinflusst. Wenn aber ein Schmerzempfinden bei Fischen zweifelsfrei nachgewiesen würde, hätte das massive Auswirkungen auf den täglichen Umgang mit den Tieren – ob im Angelverein, in Aquakulturen oder der Fischerei. Schmerz kann aber nicht der einzige Grund sein, um mit Fischen gut umzugehen, sondern auch die Vermeidung von Stress für die Tiere.

Es ist also auch Tierquälerei, wenn Angler die Fische unsachgemäß töten – auch wenn das nur Stress und keinen Schmerz auslöst?

Ja. Da gibt es in der Tierschutzschlachtverordnung und den Fischereigesetzen der Länder ganz klare Vorgaben.

Wie sollten Angler ihre Fische töten, um behutsam vorzugehen?

Vor dem Schlachten müssen die Fische mit einem stumpfen Schlag auf den Kopf betäubt werden. Dann müssen sie sofort durch einen Herzstich getötet werden.

INTERVIEW: Andrea Scharpen

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