Energiewende rückwärts

Kohlekraft Der Chemiekonzern Dow Chemical will in Stade ein privates Kohlekraftwerk bauen. Umweltorganisationen klagen dagegen. Sie fürchten den hohen Schadstoffausstoß und kritisieren, dass Dow trotz des Klimawandels noch auf diese Technik setzt

Leuchtet bei Nacht: Stromfresser Dow Chemical möchte sein eigenes Kohlekraftwerk bauen  Foto: Dow Chemical

von Sven-Michael Veit

Stefan Ott fühlt sich an Jurassic Park erinnert. „Wir reden hier über den letzten Dinosaurier der Kohle-Ära in Deutschland“, sagt der Energieexperte des BUND Niedersachsen über das geplante Kohlekraftwerk in Stade an der Unterelbe. Der Meiler werde „den Klimaschutz unterlaufen“, fürchtet auch Holger Becker von Greenpeace. Beide Verbände ziehen deshalb zusammen mit dem Naturschutzbund (Nabu) und mehreren Bürgeri­nitiativen vor Gericht.

Inhaltlich richtet sich ihre Klage gegen das Kraftwerk, das der Chemiekonzern Dow Chemical am Ufer der Elbe errichten will, formal aber gegen den Bebauungsplan der Stadt Stade. Dieser verstoße gegen die übergeordneten Raumordnungsprogramme des Landes Niedersachsen und des Landkreises Stade, legt der Rechtsprofessor Martin Schulte von der Universität Dresden in einem Gutachten dar. Dort sei das Areal als „Vorrangfläche für hafenorientierte wirtschaftliche Anlagen“ festgeschrieben. Deshalb könne da nicht einfach ein Großkraftwerk „in vorrangig privatwirtschaftlichem Interesse eines einzelnen Betreiberunternehmens“ genehmigt werden. Deshalb sei das Vorhaben „planungsrechtlich nicht zulässig“. „Ich halte den Bebauungsplan für rechtswidrig“, sagt Schulte.

Mit dem Kraftwerk will Dow vor allem sein eigenes Chemiewerk in Stade-Bützfleth versorgen, den größten Arbeitgeber in der Region. Der Konzern schwärmt von einem „integrierten Energiekonzept“, zu dem neben dem Kohlekraftwerk auch ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) mit 160 Megawatt gehört, das seit November 2013 in Betrieb ist. „Mit seinen vier möglichen Brennstoffen – Erdgas, Wasserstoff, Steinkohle und Biomasse – bildet das Kraftwerk ein flexibles Energiekonzept mit signifikanter Kraftwärmekopplung“, sagt Stefan Roth, Sprecher von Dow in Stade. „Mit diesem Konzept wird eine hohe Betriebsflexibilität und hohe Energieeffizienz erreicht und eine langfristige Konkurrenzfähigkeit für den Industrie-Standort hier an der Elbe ermöglicht.“

Denn das Kohlekraftwerk soll auch zu jeweils etwa zehn Prozent mit Holzschnitzeln und Wasserstoff betrieben werden, der bei der Chlorelektrolyse abfällt. Ebenso wie das GuD soll es 300 Megawatt Abwärme für das Chemiewerk erzeugen. Dadurch werde der Kraftwerkspark die im Brennstoff enthaltene Energie zu 60 Prozent ausnutzen – für Kohlekraftwerke ein guter Wert. Das in Hamburg-Moorburg kommt auf einen Wirkungsgrad von 46,5 Prozent.

Diese beiden werden nach Einschätzung von Umweltschützern die letzten Kohlekraftwerke in Deutschland sein. Die Pläne für zwei weitere Meiler in Stade haben sich zerschlagen, auch in Brunsbüttel, Kiel, Emden, Bremen und Dörpen sind ähnliche Vorhaben begraben worden. Nur in Wilhelmshaven und Moorburg wurde noch gebaut.

Weltweit beschäftigt Dow 52.000 Mitarbeiter und setzt jährlich 45 Milliarden Euro um.

Im Stader Werk arbeiten 1.500 Menschen.

Das Werk braucht 600 Megawatt Strom und 300 Megawatt Wärme.

Mit seiner „integrierten Energieversorgung“ würde es 1.000 Megawatt Strom und 300 Megawatt Wärme erzeugen können bei einem „Brennstoffausnutzungsgrad“ von 60 Prozent.

„Es wird sicher ein modernes Kohlekraftwerk – das ist unbestritten“, sagt Silke Hemke vom BUND in Stade. Trotzdem werde es jedes Jahr rund 5,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) ausstoßen und damit den Klimawandel vorantreiben. „Mindestens“, sagt Hemke. Sie hält die Kombination Steinkohle mit Holzschnitzeln und Wasserstoff „für reine Deko“. Würde der Meiler vollständig mit Kohle befeuert, würden auch die Emissionen ansteigen, fürchtet Helmke.

Nach Einschätzung des Konzerns sind die Schadstoffmengen „ausgesprochen konservativ und stellen nur den worst case dar“, so steht es in der Begründung zum Bebauungsplanverfahren. Der CO2-Ausstoß werde „um 40 Prozent unter den Durchschnittswerten der heute in Deutschland arbeitenden Steinkohlekraftwerke liegen“, sagt Roth – angesichts etlicher Dreckschleudern ist das nur bedingt aussagekräftig.

Die Lungenfachärztin Gabriele Brockhausen von der Bürgerinitiative Stade – Altes Land warnt: „Es gibt keine ungefährlichen Grenzwerte für Quecksilber, Blei oder Feinstäube, da diese Stoffe sich im Körper anreichern.“ Die geltenden Grenzwerte seien zu hoch und würden wegen des vorherrschenden Winds „die schleswig-holsteinische Elbseite besonders stark betreffen“, sagt Wolfgang Werther von der Bürgerinitiative Haseldorfer Marsch auf dem Nordufer des Flusses: „Das ist nicht verantwortbar.“