: Am Ende fehlt die Kraft
Arbeitsrecht Wenn sich Arbeitnehmer öffentlich gegen vermeintliches Unrecht wehren, endet es selten glorreich – so wie im Fall eines Obdachlosenprojekts
Anwalt Benedikt Hopmann
von Manuela Heim
Vor einem Café in Neukölln sitzen die zwei Männer, die bis vor Kurzem noch zu dritt waren. Werner Neske, ehemaliger Leiter eines Wohnprojekts für obdachlose Alkoholiker, ist ihr Wortführer. Neske ist knapp 60, er sieht müde aus und ist es auch. Dietrich Freitag, einst der Buchhalter des Projekts, hält sich an seinen Unterlagen fest. In einem Beutel auf seinem Schoß steckt das ganze Ausmaß eines hässlichen Streits zwischen dem kirchlichen Träger des Obdachlosenheims auf der einen Seite und den Männern hier auf der anderen. Der Dritte im Bunde, Sozialarbeiter Thomas Deiß, wie Neske Mitbegründer des Wohnheims, ist tot. Gestorben an Gram, sagt Neske.
Die taz hat schon mehrfach über den Fall berichtet; über den seit Jahren andauernden Streit zwischen den Männern und ihrem Arbeitgeber, der Kirchenleitung der Heilig-Kreuz-Passions-Gemeinde. Neske und seine Mitstreiter behaupten, die Kirchenleitung habe öffentliche Gelder aus dem 1998 in Kreuzberg gegründeten Obdachlosenprojekt abgezogen, es so in finanzielle Schieflage gebracht.
Der verantwortliche Pfarrer verwehrt sich gegen die Anschuldigungen, spricht gegenüber der taz von einem zerrütteten Verhältnis und wirft Neske und den anderen vor, sie hätten selbst schlecht gewirtschaftet, sich wiederholt Anweisungen widersetzt. Wer im Recht ist, lässt sich von außen nicht beurteilen.
Jedenfalls hat Neske mit fast 60 seinen Job verloren. Zuvor hatte es schon Abmahnungen und Hausverbote für Neske, Deiß und Freitag gehagelt. Doch Neske wollte kämpfen. Wenn er seinen und den Ruf seiner Freunde nicht wiederherstelle, „dann würde ich das ein Leben lang mit mir rumschleppen“, hatte er noch vor wenigen Monaten gesagt.
Aufreibender Streit
Damals war gerade Sozialarbeiter Thomas Deiß an Magenkrebs gestorben, mit Mitte 50. Sein Arzt legt einen Zusammenhang mit der aufreibenden Auseinandersetzung nahe. Auch Neske hatte schon zwei Herzinfarkte, im Dezember letzten Jahres kam die Diagnose Prostatakrebs dazu. Buchhalter Dietrich Freitag, eigentlich schon verrentet, ist wegen psychosomatischer Erkrankungen in Behandlung.
Anwalt Benedikt Hopmann begleitet den Fall seit mehr als zwei Jahren. „Es gibt nur wenige, die einen solchen Kampf durchhalten“, sagt er und fordert, dass Arbeitnehmer bei kritischen Äußerungen besser vor Kündigung geschützt werden.
Vor einigen Jahren hatte Hopmann auch die Altenpflegerin Brigitte Heinisch vertreten. Ihr war 2005 gekündigt worden, nachdem sie Pflegemissstände beim Berliner Unternehmen Vivantes angezeigt hatte. Sieben lange Jahre klagte sie mit Hopmann durch alle Instanzen, verlor immer wieder vor deutschen Richtern. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war es schließlich, der 2011 entschied: Arbeitnehmern, die Skandale in Unternehmen oder Behörden anprangern, darf nicht einfach gekündigt werden. Das sei eine Verletzung der Meinungsfreiheit. Heinisch bekam Schadenersatz zugesprochen.
Wie es sich denn anfühle, nun gewonnen zu haben, fragten Journalisten die Altenpflegerin damals. „Ich habe nicht gewonnen“, antwortete Brigitte Heinisch. „Ich habe meine physische und psychische Gesundheit verloren.“ Mehrere Preise hat sie seitdem für ihr Engagement und ihren Mut bekommen. Aber noch heute ist die 54-Jährige arbeitsunfähig.
Vielleicht hätte auch Neske irgendwann Recht bekommen. Aber es war längst klar, dass er als Wohnheimleiter nicht wieder eingesetzt werden würde: Längst führt ein anderer das Haus, allem Anschein nach gut und mit viel Idealismus – so wie einst Werner Neske. „Am Ende ist jeder ersetzbar“, sagt einer der langjährigen Mitarbeiter.
„Ich konnte nicht mehr“
Neske hätte wieder streiten müssen, wieder Anwaltskosten, wieder Ungewissheit. Doch am Ende fehlte die Kraft. „Es ist vorbei, ich konnte nicht mehr“, sagt Neske bei dem letzten Treffen im Neuköllner Café. Er erzählt von Schlafstörungen und einem Zusammenbruch.
Anwalt Hopmann hat für seinen Mandanten nun einen Vergleich mit der Gemeinde ausgehandelt. „Der deckt zumindest meine Schulden“, so Werner Neske. Er wolle noch einmal etwas Neues anfangen, sagt er. Und: „Es ist besser so“, mehr zu sich selbst.
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