: Das war ein Ernstfall
Bombe Acht Stunden lang ist ein Viertel rund um die Lindenstraße in Kreuzberg abgesperrt. Dabei dauert die Entschärfung der Fliegerbombe nur knapp eineinhalb Stunden. Polizei verteidigt die lange Evakuierungszeit
von Plutonia Plarreund Bert Schulz
Stolz wie Bolle präsentierte Polizei-Sprengmeister Matthias Rabe die 250 Kilo schwere Fliegerbombe. Der Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg war am Sonntag von Rabe und drei seiner Kollegen unschädlich gemacht worden. Die eigentliche Entschärfung der zwei Aufschlagzünder dauerte von 16.50 Uhr bis 18.10 Uhr – also knapp eineinhalb Stunden.
Da drängt sich die Frage auf, warum ein ganzes Viertel in einem Radius von 500 Metern um die Fliegerbombe in der Lindenstraße von 9 Uhr morgens bis 18 Uhr abgesperrt war. 11.500 Menschen mussten ihre Wohnungen und Geschäftsräume in dieser Zeit verlassen. Auch die taz, die ihre Redaktion im Sperrgebiet hat, wurde am Sonntag im Exil produziert. Aber warum hat das alles eigentlich so lange gedauert?
Die Polizei wies am Montag jegliche Kritik zurück. „Wir sind immer bemüht, die Belastung der Anwohner und Gewerbetreibenden so gering wie möglich zu halten.“ 400 Polizisten seien eingesetzt gewesen, bei der Evakuierung zu helfen und diese zu überwachen.
Die Sprengmeister würden erst tätig, wenn sichergestellt sei, dass keine Menschen mehr gefährdet seien. Der Sicherheitsbereich werde von den Sprengmeistern in Absprache mit dem Bezirksamt festgelegt. Und das Sperrgebiet richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten. Bei unbebauten Flächen falle der Radius größer aus als bei bebauten Flächen. Denn: Gebäude fungieren als „Splitterschutzwände“.
Um 14.49 Uhr am Sonntag schien Land in Sicht: „Evakuierung gleich beendet“, meldete die Polizei via Twitter. Die Sprecherin fügte in dem Tweet hinzu: „Die Bombenentschärfung in Kreuzberg beginnt in Kürze.“ De facto dauert es noch einmal mehr als zwei Stunden.
Die Anwohner waren durch die Medien und Aushänge an den Hauseingängen aufgefordert worden, ihre Wohnungen innerhalb der Absperrung um 9 Uhr zu verlassen. Tatsächlich wirkte die Gegend um 9.45 Uhr wie ausgestorben. Trotzdem konnten Fußgänger und Radfahrer den Bereich noch betreten und sogar den Sprengexperten bei der Vorbereitung an der Bombenfundstelle gegenüber dem Jüdischen Museum über die Schulter schauen. „Eine Gefahr bestand erst unmittelbar während der Entschärfungsmaßnahme“, sagte die Polizeipressestelle dazu am Montag.
Um 9.45 Uhr am Sonntag konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, dass der Polizeieinsatz noch gar nicht begonnen hatte. Die Beamten mussten kontrollieren, ob alle Wohnungen auch wirklich leer sind. In Kürze würden sie mit der Arbeit beginnen, sagte ein Beamter, der in der Nähe der Bombe Wache schob, auf die Frage, warum die Aktion dann für 9 Uhr angekündigt worden sei – er sprach von einer Besprechung, die zu diesem Zeitpunkt stattgefunden habe.
Es war gegen 16 Uhr, als die Polizei am Sonntag meldete, im Sperrgebiet sei ein Mann in einem Spezialbett entdeckt worden. Ein Spezialtransport müsse angefordert werden. Auf die Frage, warum das nicht früher bekannt gewesen sei, verwies die Polizeipressestelle auf den Katastrophenschutz des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. Der sei für die Beförderung von Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen zuständig und habe das am Sonntag zusammen mit Helfern von Feuerwehr und DRK koordiniert.
Und was wäre bei einem Katastrophen-Ernstfall gewesen? Hätte die Evakuierung da auch acht Stunden gedauert? Die Antwort der Polizeipressestelle ist zugegebenermaßen verblüffend: „Die Entschärfung dieser 250-kg-Bombe war ein Ernstfall.“.
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