: Hasserfüllt bis konziliant
Kirche Bei der Bischofssynode in Rom wurde verbissen um kleinste Formulierungen gefeilscht. Am Ende wurde enttäuscht, wer sich konkrete Lösungen erhofft hatte
Aus Rom Philipp Gessler
Die Realität der Familie brach kurz ein in die Synode, als am Freitagmorgen ein Baby schrie. Das im weißen Strampler herausgeputzte Mädchen, etwa ein halbes Jahr alt, fühlte sich offenbar unwohl auf dem Schoß des Vaters. Der blickte zur Stirnseite des düsteren, engen Hörsaals, in den gleich der Heilige Vater kommen sollte. Kein Wunder, denn neben Papa und Kind saßen über 250 alte Männer in Talaren mit violetten oder purpurroten Kopfbedeckungen. Vielleicht etwas zu viele Weihnachtsmänner. Der junge Vater schien überfordert und hob die schreiende Süße auf den Schoß seiner Frau. Leicht genervt schaute die Gemahlin den gescheiterten Vater an. Das Baby aber war beruhigt. Familienleben im Jahr 2015 – Familie, wie sie eben so ist und vielleicht seit Adam und Eva immer war.
Darüber gibt es viel zu sagen, und wenig – die katholischen Bischöfe der Welt haben sich für Ersteres entschieden. Auf Einladung des Papstes haben sie bis zum Samstagabend vergangener Woche drei lange Wochen im ersten Stock der Audienzhalle am Petersdom in Rom über das Thema Familie gesprochen. Das ist auf den ersten Blick nicht das heißeste Thema des Globus, zumal die Bischöfe und der Papst nur für etwa 1,2 Milliarden Menschen reden können. Auf den zweiten Blick aber stecken in der Familienkiste tatsächlich viele der derzeit großen Fragen der Menschheitsfamilie: Was macht große Armut mit Familien? Wie überleben Familien Flucht und Vertreibung? Zerreißt nicht der globalisierte Kapitalismus alle Familienbande? Und so weiter.Als der umtriebige Papst Franziskus vor etwa zwei Jahren das Thema „Familie“ aufs Trapez setzte, dämmerte vielen Bischöfen und dem Kirchenvolk die auch innerkirchliche Brisanz dieses Vorstoßes nicht sofort. Das änderte sich, als das Verfahren dieses von oben angeregten Diskussionsprozesses deutlich wurde: Eine erste weltweite Befragung der Gläubigen über ihre Sicht zur Familie, dann eine erste mehrwöchige Vorsynode in Rom vor gut einem Jahr, dann eine weitere Befragung der katholischen Laien, schließlich die zweite Synode seit Anfang Oktober. Fast so etwas wie ein demokratischer Prozess, ganz ungewohnt für Katholiken!
Und dazu die Einsicht: Wenn man über Familie redet, muss man auch über Sex reden, über Patchwork-Familien, über Gewalt an Frauen in der Ehe – und über homosexuelle Partnerschaften. Die deutsche Diskussion spitzte sich bald vor allem darauf zu: Sagt die katholische Kirche etwas Neues zu Homosexuellen, also zu rund 100 Millionen schwulen und lesbischen Katholikinnen und Katholiken weltweit (geht man von einer üblichen Quote von mindestens 10 Prozent gleichgeschlechtlich Liebenden in einer durchschnittlichen Bevölkerungsgruppe aus)? Und wie sieht das eigentlich aus mit den katholischen Eheleuten, die sich haben scheiden lassen, aber in ziviler Ehe wieder geheiratet haben: Dürfen sie zur Kommunion gehen, obwohl sie in einem Status der „Sünde“ leben?
Es mag absurd sein, dass zur Enthaltsamkeit verpflichtete Männer über Kinder, Sex und Ehe reden – also Themen, bei denen sie nicht per se Experten sind. Das hinderte die katholischen Bischöfe der Welt nicht daran, sich bei der Vorsynode 2014 vor allem über die Homo- und Kommunionsfrage für die Geschiedenen so zu fetzen, dass das Treffen kurz vor dem Scheitern stand. Zeitweise fast hasserfüllt standen sich bei der Kommunionsfrage die Anhänger der beiden Flügel der Kirche gegenüber: die Fans des reformorientierten Kardinals Walter Kasper und die des doktrinären Kardinals Gerhard Ludwig Müller, der als Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan so etwas wie der Lordsiegelbewahrer der katholischen Lehre ist.
Papst Franziskus ließ die Debatte laufen – er wollte ausdrücklich Bewegung, ja Diskussion in der Kirche. Mal gab er den Kasper-Leuten positive Signale, dann wieder dem Müller-Gefolge. Wo aber sein Herz schlug, wurde deutlich: Kaspers Ansatz bei der Kommunionsfrage lobte er überschwänglich – und bei der Homo-Frage setzte er öffentlich eindeutige Zeichen: Papst Franziskus empfing einen transsexuellen Spanier, der früher eine Frau gewesen war – mit dessen Verlobten. Bei seiner jüngsten USA-Reise traf sich der Pontifex maximus zudem mit einem ehemaligen Studenten, der mit seinem schwulen Freund gekommen war. Im Sumpf der erzkatholischen Websites gab es weltweit ein empörtes Aufheulen.
Apropos Heulen: Vatikan-Experte Marco Politi hat gerade sein Buch „Franziskus unter Wölfen: Der Papst und seine Feinde“ auf Deutsch vorgelegt: Wer auch nur einen Teil der vergangenen drei Synoden-Wochen in Rom verbracht hat, wird den Titel eher für untertrieben halten. Denn gerade die Konservativen schossen gegen die Reformer aus allen publizistischen Rohren, und, in Andeutungen, auch gegen den Papst. Nicht zufällig kam das sofort dementierte Gerücht auf, Franziskus habe einen Hirntumor. Der Subtext: Ihm zuliebe muss man nichts ändern, der ist eh bald weg. „Das ist doch nur ein tölpelhafter Versuch, die Arbeiten der Synode zu beeinflussen“, erklärte Kasper italienischen Zeitungen. Wer Zweifel an der Gesundheit des Papstes streue, habe in Wirklichkeit andere Motive. „Manche Personen sind nervös angesichts des zu erwartenden Ergebnisses der Synode“, außerhalb wie innerhalb der Kirche. „Übrigens passt dieser Papst einigen nicht.“
Aber was waren nun die Ergebnisses der Synode? Nun, berauschend für die Reformer sind sie nicht: Das Wort Kommunion für die Wiederverheirateten taucht im 33-seitigen Abschlussdokument nicht auf – aber die Formulierungen in dem Absatz über die Geschiedenen sind so vage und zugleich wohlwollend, dass die reformorientierten Bischöfe meinen: Da kann man im Alltag und vor Ort – „pastoral“ genannt – doch einiges machen. So erklärte es etwas Kardinal Reinhard Marx aus München, der zugleich der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz ist. Auf einer Pressekonferenz der deutschsprachigen Bischöfe betonte er Samstagnacht, auf den ersten Blick scheine das „relativ wenig“ zu sein. Für die Kirche aber sei das ein „riesiger Schritt“.
Damals: Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) kann der Papst die Bischöfe der katholischen Welt zu verschiedenen Themen einladen. Diese Synoden waren in der vergangenen Jahren zu Vorlese-Marathons von vorgefertigten Texten der Synodenväter verkommen.
Heute: Bei der diesjährigen Synode zum Thema Ehe und Familie wurde viel in Kleingruppen diskutiert, aufgeteilt nach den wichtigen Sprachen.
Ergebnis: Zum Abschluss haben die 270 Synodenväter über jeden der insgesamt 94 Absätze ihres Abschlussdokuments einzeln abgestimmt. Alle Absätze erhielten die nötige Zweidrittelmehrheit – nur beim 85. war es knapp: Er handelt von den wieder verheirateten Geschiedenen. (ges)
Politisch untragbar
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn argumentierte ähnlich bei der Homosexuellen-Frage: An der kirchlichen Lehre in dieser Frage soll sich nichts ändern, also: Respekt für Schwulen und Lesben, aber keine Akzeptanz ihrer sexuellen Praxis und keine rechtlichen Gleichstellung ihrer Partnerschaft mit der Ehe von Mann und Frau. Aber die Bischofsversammlung habe das Thema eigentlich nicht wirklich verhandelt. Auch weil das im Rund der Bischöfe aus aller Welt schlicht nicht durchsetzbar gewesen sei. Denn gerade in den Staaten des Südens der Welt seien homosexuelle Partnerschaften derzeit politisch „praktisch untragbar“.
In der deutschsprachigen Diskussionsrunde war während der Synode jedenfalls etwas Erstaunliches passiert: Die Kardinäle Müller und Kasper, Duzfreunde übrigens, konnten sich auf gemeinsame Entwürfe für das Abschlussdokument der Synode einigen. Nur die Gesamtsynode hat höchstens Spurenelemente davon übernommen. Aber am Ende ist das auch egal. Denn der Papst muss sich an keine der Empfehlungen seiner Synodenväter halten. Das fürchten einige. Und andere hoffen darauf.
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