: Sweet Dreams are made of this
Konzert Eine musikalische Begehung des Kinderzimmers: Sweet spielen im Huxleys den Soundtrack der Babyboomer
von Thomas Mauch
Das Vorspiel: Da war dieser Sänger, der fragte in die Runde, are you ready Steve, er fragte Andy und schließlich Mick, und dann schrie der Sänger, Brian Connolly, alright, let’s go, und los ging es mit dem „Ballroom Blitz“. Und natürlich war man dafür bereit, endlich loszulegen, in den Kinderzimmern.
Hier hatten die Lieder von Sweet ihren ganz besonderen Resonanzboden, gerade in Deutschland, wo die britische Band Anfang der siebziger Jahre eine unglaubliche Serie an Nummer-eins-Hits hatte. Prächtig nach vorn preschende Songs, meist geschrieben von Mike Chapman und Nicky Chinn, die Lennon/McCartney des Teenpop in den Siebzigern. Sie schrieben den Soundtrack für die Babyboomer. Alle, die um 1960 herum geboren wurden, konnten ihnen gar nicht entgehen, selbst wenn man nur zwischendurch mal Radio hörte. Diese Lieder stecken ihnen in der kulturellen DNA. Für immer.
Wobei man damals in den Kinderzimmern natürlich weniger auf solche Autorenvermerke achtete und mehr auf die wirklich wichtigen Dinge. Die Sirene zum Beispiel, die am Anfang von „Block Buster!“ aufheulte. Alarm! Erregungszustand! Die Sirene heulte: Vorsicht, hier kommt was. Auch wenn man nicht recht wusste, was, während man gerade in die Pubertät reinrutschte. Mit Sweet.
Und wie die auch aussahen, mit den golden schimmernden Klamotten, den langen Haaren, den engen Hosen. Toll! Diese unglaublichen Plateaustiefel, die Bravo-Starschnitte. Glam.
Und die Lieder, „Wig-Wam Bam“, „Hell Raiser“. Die Verheißung von „Teenage Rampage“. Wo sie davon sangen, dass sich gerade alles ändert, dass was in der Luft liegt, dass man doch bitte sehr teilhaben soll an dieser Revolution, ja: „recognize your age, it’s a teenage rampage, turn another page, on the teenage rampage now“. Das musste man gar nicht verstehen, nicht den Worten nach. Rampage? Und man verstand es doch. Dass da was mächtig in Bewegung war. Man war es schließlich selbst.
Die Gegenwart: Natürlich spielten Sweet, vierzig Jahre später, auch dieses Lied, am Dienstag im Huxleys. „Teenage rampage“. Aber war das jetzt der Aufstand der alten Männer?
Jedenfalls konnte man das doch als eine kleine kathartische Erfahrung mitnehmen, dass auch Posterboys altern. Wie man selbst. Es war ein Treffen der um die 1960 Geborenen. Von denen es so viele gibt, dass auch dieses Zusatzkonzert, nur einen Monat nach dem ausverkauften Sweet-Auftritt im Huxleys, wieder bestens besucht war. Und über sein Alter war man durchaus informiert.
Auch auf der Bühne. Der früher so smarte Andy Scott trug einigermaßen selbstbewusst eine mächtige Wampe und versteckte sich sonst unter seiner blondierten Matte, der Rest der Band, alte Haudegen in Heavy-Metal-Outfit, interessierte insofern etwas weniger, weil nur Scott, der Gitarrist, das einzig verbliebene Originalmitglied von Sweet ist. Im Lauf des Konzerts wurde dann „Love is like Oxygen“, der letzte große Hit der Band, den bereits weggestorbenen Band-Exen Brian Connolly und Mick Tucker gewidmet.
Dass es ihr aber nicht allein um Verwesung und Vergangenheitsbewältigung geht, wollte die Band schon auch klarmachen. Dass sie nicht nur als Oldiekapelle im Huxleys auf der Bühne stehen wollen. Dass sie eine richtige Rockband sind, immer noch. Und so spielten sie Rockkonzert, mit Schlagzeugsolo und einer kleinen Unplugged-Runde, bei der von der Band eher ungeliebte frühe Hits wie „Poppa Joe“ verkloppt wurden.
Selbst neues Material wie die frisch auf den Markt geworfene Single „Defender“ wurde vorgestellt, was durchaus artig beklatscht wurde, auch wenn das einen vielleicht nicht ganz so interessiert hat und viel mehr die Hits, Hits, Hits! Bei denen die Betriebstemperatur in der Halle doch sprunghaft anstieg, „Wig-Wam Bam“, „Fox on the Run“, „Block Buster!“. Alles von Sweet mit genug Wärme für die Lieder in die Menge geschleudert, in der man dieses alte Glück an den Zipfeln der Refrains packte, und sie – euphorisiert und sacht beduselt von den Erinnerungen – noch einmal mitbrüllte. So wie man das einst ja auch in den Kinderzimmern gemacht hat.
Regression? Klar. Die gönnte man sich gern. Aber deswegen wollte doch keiner im Huxleys noch einmal gleich mit der Pubertät durchstarten.
Als letzte Zugabe, bei der als Gast die Heavy-Metal-Sängerin Doro auf die Bühne kam, gab es schließlich den „Ballroom Blitz“. Wieder hieß es „are you ready“. Natürlich war man bereit. Und auch dazu, danach ganz klaglos wieder nach Hause zu gehen.
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