Es gibt jetzt einige, die sich Ernüchterung wünschen, nicht für sich, für die Flüchtlinge und die Helfer. Ihnen ist eines zurückzuwünschen: eine Wiedergeburt als Flüchtling
: Erbarmen haben

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

Katrin Seddig

Gewalt in Flüchtlingsunterkünften. So lauten die Schlagzeilen seit Wochen. In einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg Osdorf haben sich vierzig bis fünfzig Personen vor ein paar Tagen mit Stangen geschlagen.

Auch in Rahlstedt und Eidel­stedt gab es kürzlich Auseinandersetzungen, auch dort sind die Leute aufeinander losgegangen. Fast jeden Tag trudeln solche Nachrichten ein, ebenso wie die von den Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Und die, die den Flüchtlingen feindlich gegenüberstehen, die freut es insgeheim.

Die reden von einem „endlich Aufwachen“ der Deutschen oder einer „Ernüchterung“ der Flüchtlinge, die sich hier „das gelobte Land“ erwartet hätten. Der Ärger und die Häme gelten vor allem der Euphorie, die bei den Flüchtlingen oder auch den Helfern mit ihrer „Willkommenskultur“ herrschen soll.

Freuen sollen die sich aber alle nicht. Vielmehr sollen sie besser den ängstlichen und verbitterten Gemütszustand derer teilen, die dagegen sind. Sie sollen erkennen, dass Flüchtlinge hier nicht sein können oder sollen, weil wir das nicht können oder wollen.

Weil hier kein Platz oder kein Geld da ist. Weil die hier nicht herpassen, oder weil der Missgünstige oder Ängstliche um sein Eigenes fürchtet. Geld oder Rechte oder sowas.

Befremdlich finde ich, dass diese Leute tatsächlich auch den Flüchtlingen übersteigerte Erwartungen unterstellen. Als hätte so ein Flüchtling, der vor Krieg, Repressionen und Zerstörung flieht, nicht damit ausreichend Grund, als würde der tatsächlich deshalb nach Deutschland fliehen, weil er so eine falsche, so eine übersteigert schöne Vorstellung von Deutschland hätte.

Als bräuchte ein Flüchtling Illusionen, um zu fliehen, als würde er, wenn ihm Deutschland weniger schön erschiene, dann doch lieber im Kriegsland bleiben. Als könnte jemand, der vor Zuständen wie sie in Syrien herrschen, zum Beispiel, flieht, von irgend etwas noch desillusioniert werden.

Und selbst wenn, wie könnte man ihm das bisschen Verklärung, das bisschen Hoffnung noch nehmen wollen, das es überhaupt braucht, immer, um zu gehen, um zu leben, um nicht aufzugeben?

Was ist das für ein bösartiger Zyniker, der dem, der sonst schon nichts mehr hat, als seine kleine Tasche, sein Kind an der Hand, oder nur sein Leben, eine Art verwunschener Verklärung unterstellt und dem dann auch noch Ernüchterung wünscht? Was hat der für eine Vorstellung vom Flüchtenden? Von einem vor Freude und Glück trunkenen Menschen, dem die Realität erst mal beigebracht werden muss? Von uns? Indem wir ihm nichts bieten?

Und dann auf der anderen Seite die hämische Freude über die Straftaten in den Unterkünften. Die Vorherschonalleswisser. Die Sichamunglückandererfreuer. Euer Karma möge euch verfolgen! Ihr sollt in eurem zweiten Leben als Flüchtling wiedergeboren werden. Ihr sollt laufen, bis Ernüchterung euer Name ist.

Und niemand soll sich eurer erbarmen. Denn um nichts anderes geht es hier. Um Erbarmen. Die mit den offenen Armen, die, die die Grenzen aufhalten und die Türen offen, die wissen, worauf sie sich einlassen und tun es trotzdem.

Die wissen, welche Probleme damit verbunden sind, die wissen, wenn man Menschen mit Problemen hilft, dass man sich deren Probleme mit auflädt. Die wissen auch, dass der Anteil an kriminellen und gewaltbereiten Menschen bei den Flüchtlingen nicht geringer ist als bei allen anderen Menschen.

Und sie sehen aber auch, dass die Situation in den Flüchtlingsunterkünften oft angespannt ist, weil die Heime überfüllt und die Menschen gestresst sind und voll mit Wut und Angst und dass es dann zu mehr Gewalt kommt, als unter freundlicheren Umständen. Das kann sich doch jeder denken, der überhaupt denkt.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.