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Wer frieren muss, der soll auch leiden

INTEGRATION Das verschärfte Asylrecht schränkt auch das Ermessen der Bundesländer im Umgang mit den Flüchtlingen ein. Jetzt drohen wieder unangekündigte Abschiebungen in Nacht und Nebel oder schlechtere Standards bei der Gesundheitsversorgung

von Jan Zier

Zum 1. November werden die Lebensumstände für viele geflüchtete Menschen deutlich schlechter. Das, so klagen Flüchtlingsinitiativen, ist das Ergebnis des jetzt beschlossenen Asylkompromisses von Bund und Ländern. Das gilt auch für Bereiche, in denen die Länder Ermessensspielräume zugunsten der Flüchtlinge hatten. Der niedersächsische Flüchtlingsrat nennt die Verschärfungen gar „verfassungswidrig“.

Flüchtlinge aus Albanien, Kosovo und Montenegro, meist Roma, sollen künftig schneller abgeschoben werden. „Überfallartige Abschiebungen werden künftig Pflicht“, sagt Claudius Voigt von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender. Die Länder hätten da, anders als bisher, „kein Ermessen“ mehr. In Niedersachsen etwa wurden solche Maßnahmen bisher meist angekündigt. Nun gelte: Wer eine Aufforderung zur freiwillige Ausreise verstreichen lasse, dem dürfe seine Abschiebung nicht mehr angekündigt werden, so Voigt, der kürzlich Sachverständiger im Bundestag war. Das niedersächsische Innenministerium wollte sich gestern nicht äußern – wegen der „hohen Anzahl von Anfragen“.

Für die Betroffenen sind solche Abschiebungen oft traumatisierend. „Sie müssen nun wieder jede Nacht panisch einschlafen, sagt Gundula Oerter von der Bremer Flüchtlingsinitiative. Bremen setze weiter auf eine freiwillige Ausreise, sagte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) dem Weser-Kurier, habe aber „keinen Ermessensspielraum“.

Mäurer mahnte zugleich mehr Personal an, um abschieben zu können, bisher sei die Ausländerbehörde darauf nicht vorbereitet. 2010 hatte Bremens Landtag beschlossen, nicht in den Kosovo abzuschieben. Diese Frage bedürfe nun „einer Neubewertung“, heißt es im Innenressort. In Bremen gingen 2015 bis Ende September 883 Asylanträge aus Albanien oder dem Kosovo ein, 855 Verfahren waren anhängig.

Das neue Asylrecht, dem neben SPD und CDU auch die Grünen in Hamburg und Schleswig-Holstein zustimmten, sei „eine Kampfansage an Schutzbedürftige“, sagt Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative. „Die Bedingungen werden sich total verschlechtern – dabei sind sie jetzt schon miserabel.“ Sie berichtet von einer jungen Mutter, die mit einem drei Wochen alten Baby derzeit in Bremen lebt. Seit zwei Monaten habe sie kein Geld, nicht mal eine Erstausstattung fürs Kind, so Oerter, und das sei kein Einzelfall.

Bisher gilt in Bremen, dass Flüchtlinge nach drei Monaten in privaten Wohnraum vermittelt werden sollen und einen eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen können. „Dieses Ziel gilt weiter“, heißt es im Bremer Sozialressort. Das verschärfte Asylrecht sieht aber eine sechsmonatige Lagerpflicht vor, zu der ein völliges Arbeitsverbot gehört. „Das ist eine Isolation auf allen Ebenen“, so Voigt.

Das neue Asylrecht

Zum 1. November treten im Asylrecht zahlreiche Verschärfungen in Kraft.

Albanien, Kosovo und Montenegro werden nach drei anderen Balkan-Staaten zu "sicheren Herkunftsländern". Schutzsuchende von dort sollen bis zum Abschluss des Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben.

AsylbewerberInnen sollen länger in den Sammellagern wohnen und dort möglichst nur Sachleistungen bekommen. Abgelehnte AsylbewerberInnen, die ausreisen müssen, das aber nicht tun, erhalten nur noch eingeschränkte Leistungen.

Die Länder dürfen eine Gesundheitskarte einführen, mit der AsylbewerberInnen zum Arzt gehen können. Das war bereits vorher möglich. Mit krankenversicherten Deutschen werden Geflüchtete nicht gleichgestellt.

Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ sollen bis zum Abschluss ihres Verfahrens untätig in Sammelunterkünften warten müssen, also oft viel länger als sechs Monate. Doch diese Lager sind schon heute überfüllt. Und: Bisher konnten sich auch Roma aus dem westlichen Balkan durch einen Job hierzulande eine dauerhafte Bleibeperspektive erarbeiten, so Voigt. Damit soll nun Schluss sein.

Gefährdet ist auch die Gesundheitskarte, wie es sie derzeit in Bremen und Hamburg gibt und bald auch in Niedersachsen geben soll. Zwar will der Bund allen Länder erlauben, eine Gesundheitskarte einzuführen, mit der Flüchtlinge direkt zum Arzt gehen können. Doch während man bisher oft akzeptierte, dass Asylbewerber ähnlich behandelt wurden wie deutsche Kassenpatienten, sollen sie nun nur Karten zweiter Klasse bekommen. Der Mindeststandard im Asylbewerberleistungsgesetz liegt deutlich unter dem für Hartz-IV-Bezieher: Er schließt die Behandlung chronischer Krankheiten wie Diabetes, mancher Zahnerkrankungen oder psychotherapeutische Behandlungen aus. Bremen werde an seinem „erfolgreichen System nichts ändern“, erklärt das Sozialressort.

Eine weitere Änderung: Künftig sollen wieder verstärkt Sachleistungen statt Bargeld in der Erstaufnahme ausgegeben werden. Abgelehnte Asylbewerber, die sich der Ausreise verweigern, sollen keine Sozialleistungen erhalten. Hier haben die Länder Ermessensspielraum. Sie können weiter 143 Euro Taschengeld zahlen. Es stehe zu befürchten, dass Bremen vermehrt auf Sachleistungen setze, so Oerter. Das Sozialressort will an der bisherigen Praxis festhalten.

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