: Immer der Brandspur nach
DOKU „Dunkles Deutschland“ (22.45 Uhr, ARD) spürt den Hintergründen des aktuellen Fremdenhasseshinterher
von Daniel Bax
Mehr als 490 Übergriffe auf Flüchtlingsheime hat es in diesem Jahr gegeben, darunter mehrere Dutzend Brandanschläge. Das sind mehr als drei Mal so viele Straftaten wie im Jahr zuvor. Was den Sicherheitsbehörden besondere Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass zwei Drittel der Tatverdächtigen bisher unauffällige Bürger aus der direkten Umgebung der Heime waren. Mit anderen Worten: Es handelt sich nicht um aktenkundige Neonazis, sondern um sogenannte besorgte Bürger, die erstmals zur kriminellen Tat geschritten sind.
Für die ARD-Dokumentation „Dunkles Deutschland“ hat sich ein Reportertrio auf die Suche nach den Hintergründen solcher Taten gemacht – immer der Brandspur nach. Vier Tatorte hat es genauer unter die Lupe genommen: das Touristenziel Meißen im sächsischen Elbtal, die Kleinstadt Nauen in Brandenburg, die Großstadt Dortmund tief im Westen der Republik und die beschauliche 7.500-Seelen-Gemeinde Reichertshofen in Oberbayern.
In Meißen brannte Ende Juni ein Wohnhaus, das für Flüchtlingsfamilien hergerichtet worden war. Der Sachschaden beläuft sich auf eine Viertelmillion Euro, das gezielte Vorgehen der Täter deutet auf eine genau geplante Aktion hin. Der Meißener Bauunternehmer Ingolf Brunn, dem das Haus gehört, wurde von Unbekannten massiv bedroht.
In Sachsen ist die neue Allianz von Neonazis, Fußball-Hooligans und „besorgten Bürgern“ besonders stark. Meißens Pfarrer beobachtet eine sprachliche Radikalisierung im Alltag seiner Stadt und sieht die Flüchtlingsfeinde durch Pegida ermuntert. Doch Landrat und CDU-Oberbürgermeister ducken sich weg, sie verweigerten sogar Interviews zu dem Thema. In Nauen heizt die NPD die „Bürgerproteste“ gegen eine Asylunterkunft an. Sie selbst hält sich zurück, ihre Parole „Nein zum Heim“ ist aber allgegenwärtig. In Reichertshofen brannte im Juli ein Gasthof, in den Asylbewerber einziehen sollten. Ein Schreinermeister und seine Frau hatten zuvor den Protest gegen die geplante Unterkunft organisiert. Eine rechtsradikale Kleinpartei („Der dritte Weg“) und die AfD sprangen dann auf diesen Zug auf.
Auch in Dortmund fühlt sich die kleine, radikale Neonazi-Szene seit den Pegida-Aufmärschen ermutigt und sucht die Konfrontation. Doch anders als in Meißen werden die Nazis dort durch Gegenproteste im Zaum gehalten, und auch Politik und Polizei zeigen Härte. Flüchtlinge können sich in der Stadt daher ohne Angst bewegen. In Meißen dagegen sind der Pfarrer und der Bauunternehmer die Einzigen, die die ersten Familien aus Syrien und Afghanistan begrüßen, als diese in Meißen eintreffen; kein einziger Lokalpolitiker lässt sich blicken.
Das Reportertrio Jo Goll, Torsten Mandalka und Olaf Sundermeyer hat die Hintermänner und Profiteure des Flüchtlingshasses ausgemacht – so wie AfD-Chefin Frauke Petry, die bereits einen „heißen politischen Herbst“ angekündigt hat. Ihre Nahaufnahme besticht durch gut ausgewählte Fallstudien und spannende Interviewpartner, ihre Bilder sprechen für sich.
Doch ihr Fokus ist etwas eng, denn auch etablierte Politik und Medien zündeln mit. So wie Innenminister Thomas de Maizière, dessen Wahlkreis zufällig in Meißen liegt. Er hatte behauptet, dass 30 Prozent aller Flüchtlinge, die sich als Syrer ausgäben, gar keine Syrer seien. Seriöse Medien hatten diese Behauptung kolportiert.
Recherchen der ARD-„Panorama“-Redaktion ergaben jedoch jüngst, dass diese Zahl völlig aus der Luft gegriffen ist und jeder Grundlage entbehrt. Weder bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex, bei der Bundespolizei noch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder anderswo konnte man diese Zahl bestätigen, kurz: Der Minister hat gelogen und ein Gerücht in die Welt gesetzt, das von Flüchtlingsfeinden dankbar aufgenommen wird.
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