: Auf der Flucht nach vorn
ASYL Täglich kommen neue Flüchtlinge an – darunter auch Schwule, Lesben und Transgender. Viele konnten ihre Sexualitätin der Heimat nicht ausleben und hoffen nun auf ein freieres Leben. Doch was erwartet sie tatsächlich? Die taz hat queereFlüchtlinge getroffen, die derzeit in der Akademie am Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) Deutsch lernen
PROTOKOLL Julian Rodemann
„Mein Name ist Ibrahim, aber meine Freunde nennen mich Bob. Ich bin 23 Jahre alt und homosexuell. Aufgewachsen bin ich in Damaskus in Syrien. Als der Bürgerkrieg 2011 ausbrach, studierte ich gerade Tontechnik und arbeitete als DJ. Ich war sehr angesagt in der Schwulenszene von Damaskus, weil ich viele Partys organisierte. Homosexuelle werden in meiner Heimat in der Regel diskriminiert. Ich aber hatte das Glück, unter dem Schutz meines Vaters zu stehen – ein sehr einflussreicher Mann.
Er arbeitete als Waffenhändler. 2012 begannen verschiedene Kriegsparteien, ihn zu bedrohen. Sie wollten Waffen. Drei Wochen später entführten Unbekannte einen meiner Freunde aus der Nachbarschaft. Er war in meinem Alter, sah mir ähnlich. Es stellte sich heraus, dass sie es auf mich abgesehen hatten. Sie wollten meinen Vater erpressen. Als die Entführer die Verwechslung bemerkten, stachen sie meinem Freund die Augen aus und schickten ihn zurück.
Kurz darauf heuerte mein Vater Personenschützer für mich an. Ich war immer von Bodyguards umgeben. Nach vier Monaten hielt ich es nicht mehr aus, ständig in Angst zu leben. Mein Vater verstand das. Ich beantragte Visa in Jordanien und Ägypten – ohne Erfolg. Schließlich floh ich zu einem Freund nach Beirut im Libanon.
Als ich wenig später die Nachricht aus Damaskus erhielt, mein Vater sei gestorben, brach eine Welt für mich zusammen. Insgesamt blieb ich etwa ein Jahr lang in Beirut. Eines Nachts bestahlen mich vermeintliche Freunde, als ich nicht in meiner Wohnung war. Andere boten gegen Bezahlung an, mir ein Visum zu besorgen. Nachdem ich ihnen Geld gegeben hatte, sah ich sie nie wieder.
Ibrahim, Flüchtling aus Syrien
Irgendwann klappte es dann doch und ich kam im Oktober 2014 in Thessaloniki an. Von dort reiste ich im Januar 2015 weiter nach Berlin. Von Anfang an wollte ich hierher. Die Partyszene zog mich an. Ich will als DJ arbeiten. Viele Musiker haben in Berlin ihre Karriere begonnen. Außerdem habe ich in Syrien oft gehört, dass Schwule in Deutschland akzeptiert würden; die deutsche Gesellschaft sei tolerant. Insgesamt gilt die queere Szene Deutschlands in meiner Heimat als lebendig.
Jetzt bin ich neun Monate hier. Kürzlich habe ich Asyl bekommen. Darüber bin ich sehr glücklich. Zurzeit wohne ich noch in einem Containerdorf in Buch, aber bald möchte ich ausziehen. Eine Wohnung habe ich schon gefunden. Insgesamt fühle ich mich wohl in Deutschland. Viele Deutsche sind mir gegenüber sehr freundlich und hilfsbereit. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass die Deutschen nur Mitleid zeigen, sich aber nicht wirklich für mich interessieren. Ich fühle mich dann nicht ernst genommen.
Einmal fuhr ich mit einer Mitfahrgelegenheit von Berlin nach München. Der Fahrer war zuerst sehr nett, wir haben uns auf Englisch unterhalten. Dann fragte er mich, woher ich komme. „Syrien, ich bin ein Flüchtling“, antwortete ich. Auf einmal schaute er betroffen drein, sein Lächeln verschwand. Er wandte sich den anderen Mitfahrern zu und ignorierte mich. Das tat weh.
In der „Akademie für queere Flüchtlinge“ lernen 14 Zugewanderte Deutsch. Das Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) rief die Akademie im August ins Leben. Ein sechsköpfiges Team aus ehrenamtlichen Helfern betreut die Flüchtlinge. Neben dem Deutschunterricht besuchen die Teilnehmer die Ausbildungsvermittlung Arrivo und sprechen mit der Polizei über die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare hierzulande.
Die Idee für einen Deutschkurs für queere Menschen kam von den Flüchtlingen selbst. Sie hatten sich gewünscht, im geschützten Raum lernen zu können.
Die Akademie wird durch private Spenden finanziert. Das MILES hat allerdings Gelder bei der Senatsverwaltung beantragt. Geplant ist, die Akademie dauerhaft anzubieten. (taz)
Ich begegne auch immer wieder Homophobie. Das deutsche Gesetz ist zwar liberaler als in meiner Heimat, doch längst nicht alle Menschen sind aufgeschlossen gegenüber Homosexualität. Als mein transsexueller Freund und ich uns in einer Videothek Filme ausleihen wollten, starrte der Angestellte an der Kasse meinen Freund lange an. Dann sagte er: „Entschuldigung, aber das System ist abgestürzt. Ich kann euch keine Filme ausleihen.“ Wir verließen den Laden. Auf der Straße sahen wir durch die Schaufenster, dass andere Kunden mit vollen Taschen aus dem Geschäft kamen. Offenbar funktionierte das System, der Verkäufer hatte nur ein Problem mit unserer Homosexualität.
Ich bin nach all dem, was ich durchgemacht habe, traumatisiert. Trotzdem möchte ich weitermachen, in Berlin als DJ auflegen, mein Studium beenden und hier glücklich werden. Ich produziere auch eigene Songs. Meine Musik gibt mir Kraft; sie hilft mir, meine Traumata zu verarbeiten.
Ich hoffe, bald eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Dann kann ich richtig loslegen. Ich will auf keinen Fall als bemitleidenswerter Flüchtling abgestempelt werden, sondern zeigen: Ich bin stark, ich kann hier in Deutschland viel beisteuern. Deshalb will ich Deutsch lernen, zum Glück habe ich hier in der Akademie die Gelegenheit dazu.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen