Die KlebekünstlerDas Tape-Art-Kollektiv Klebebande – Nikolaj Bultmann, Bodo Höbing und Bruno Kolberg – schafft aus Zellstoffbändern strenge Vektorengrafiken, knallbunte Riesenbilder und eventtaugliche Installationen. Ein Gespräch über Westberliner Lebensgefühl, Schnittverletzungen und die Höhen des Kunstmarkts
: „Wir mögen harte Kontraste und knallige Farben“

„Wir sind tatsächlich über eine Rolle Klebeband aneinander haften geblieben“: die Klebebande Bruno Kolberg, Bodo Höbing und Nikolaj Bultmann (von links) vor ihrem Kreuzberger Atelier

Interview Nina Apin
Fotos David Oliveira

taz: Herr Kolberg, Herr Höbing, Herr Bultmann, Sie machen seit fünf Jahren zusammen als Klebebande Kunst mit Textilklebeband. Wie haben Sie zueinander und zum Klebeband gefunden?

Bruno Kolberg: Also, Bodo kenne ich bestimmt schon seit 20 Jahren, wir haben früher zusammen Graffiti in Kreuzberg gemacht. Ich habe mich früh für Design interessiert und mich nach einer Elektrikerausbildung mit Grafik und Gestaltung selbständig gemacht. Nikolaj habe ich vor etwa sechs Jahren kennengelernt, über Freunde. Bald schon hatten wir unseren ersten gemeinsamen Auftrag: einen LKW für den Karneval der Kulturen bekleben. Inzwischen hat das Kleben sehr viel Platz in meinem Leben eingenommen – und auch die beiden Jungs.

Bodo Höbing: Bruno hab ich durch einen Schulfreund kennengelernt. Wenig später ist er dann ja auch unserer Graffiti-Crew beigetreten. Aus diesem Leidenschaft zum Gestalten heraus habe ich dann einige Jahre später mit Bruno eine Werbeagentur gehabt. Nikolaj habe ich auf einer Party kennengelernt.

Nikolaj Bultmann: Wir sind tatsächlich über eine Rolle Klebeband aneinander haften geblieben. Alles fing an mit diesem Karneval der Kulturen an. Ich hatte mit anderen ein Party-Kollektiv namens „Import-Export“. Wir hatten die Idee, einen Techno-Wagen komplett mit Tape zu bekleben. Da das Ding ein großer Vierzigtonner war, brauchten wir Verstärkung. Mein Freund Huge meinte: Ich kenn da einen Designer, der macht auch Dinge mit Klebeband. So trafen wir uns.

Wie sah der Wagen aus?

Bultmann: Er war voller Eulen, da unser Logo die Nachteule war. Bruno hatte extra vorher Eulen geübt. Wir klebten also alles voller Eulen und auf die andere Seite den fetten Schriftzug „Import-Export“. Wir hatten uns allerdings total übernommen: Die Fläche war riesig und musste erst vorgestrichen werden. Wir klebten und klebten zwei Tage lang, bis zur allerletzten Minute.

Kolberg: Bis die Finger Blasen kriegten!

Da waren Sie erst zu zweit. Wie kam Bodo Höbing dann zur Bande?

Höbing: Bruno und ich hatten zu der Zeit unsere Agentur und haben viel zusammengearbeitet. Mit dem gemeinsamen Background war es naheliegend, dass wir auch mit dem neuen Material mal zusammen an die Wand gehen. Und da sich gebürtige Berliner mit denselben Interessen immer wieder treffen, durfte auch Nikolaj nicht fehlen.

Bultmann: Klar – Bruno war Trauzeuge für einen Freund, mit dem meine Familie früher nach Italien gefahren ist.

Kolberg: Und mit Bodos Freundin war ich auf der Grundschule.

Bultmann: Totales Westberlin-Feeling eben.

Was war das für ein Feeling?

Bultmann: Berlin ist für die Westberliner wie ein Dorf. Ich bin in Steglitz aufgewachsen und die ersten fast zwanzig Jahre lang war mir Kreuzberg ziemlich fremd. Lieber war ich in Wilmersdorf oder Schöneberg unterwegs. 2000, nach der Schule, bin ich erst mal nach Wilmersdorf gezogen. Das war aber doch zu gediegen und ich zog in die Bergmannstraße. Kreuzberg faszinierte mich plötzlich.

Um die Jahrtausendwende zogen viele in die neuen Szenebezirke im Osten um. Hat Sie dieses Entdeckerfieber unberührt gelassen?

Bultmann: Ja, ich lebte zwar eine Weile in Prenzlauer Berg, aber richtig zu Hause war ich dort nicht. Ich zog in eine Kreuzberger Fabriketage, organisierte Parties – und wohne noch immer hier.

Höbing: Ich habe in diversen Berliner Bezirken gewohnt: In Kreuzberg aufgewachsen, dann nach Schöneberg über Steglitz nach Wilmersdorf, zurück nach Kreuzberg, Mitte, und jetzt wieder in Schöneberg

Kolberg: Ich bin sogar auf eine Neuköllner Gesamtschule gegangen, das war hart (kichert).

Neuköllner Gesamtschule und Wilmersdorf – für nicht-gebürtige Berliner klingt das nach getrennten Welten. Überschätzt man, von außen kommend, die Unterschiede zwischen den Bezirken?

Kolberg: Ja, total. Wobei sich Teile Berlins sehr gewandelt haben. Wenn mir jetzt Leute freudestrahlend erzählen, dass sie gerade in den Wrangelkiez oder die Naunynstraße gezogen sind, dann denke ich zurück an meine Jugendzeit. Da waren das Gegenden, in die bist du nicht gern gegangen, wegen der Straßengangs. Ich bin übrigens vor acht Jahren aus Kreuzberg geflüchtet – nach Wilmersdorf.

Bultmann: Ich würde ja gern ins Umland ziehen und einen Garten haben.

Die Klebebande

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Die Menschen: Bodo Höbing, geboren 1977, studierte Kommunikationsdesign. Bruno Kolberg, geboren 1977, ist autodidaktischer Grafikdesigner, Illustrator und Unternehmer. Als Teenager waren sie in der Kreuzberger Graffitiszene unterwegs und gründeten später ein Grafikbüro. Nikolaj Bultmann, Jahrgang 1979, stammt aus einer Künstlerfamilie und eröffnete nach seinem Studium der Betriebswirtschaft eine Galerie mit seiner Mutter.

Das Kollektiv: 2011 gründeten die drei gebürtigen Berliner das Tape-Art-Kollektiv Klebebande. Sie gestalten Kunstwerke, Bühnenbilder, Wegeleitsysteme oder abstrakte Environments aus Klebeband. Ihre Markenzeichen sind streng geometrische, architektonisch inspirierte Strukturen und Live-Klebe-Performances.

Die Kunst: Tape Art ist eine relativ junge Form der Urban Art, die Ende der Neunzigerjahre im angloamerikanischen Raum entstand. Im Mittelpunkt der Kunstform steht das Gestalten von Stadträumen und verschiedensten Oberflächen mit selbstklebendem Gaffer-, Krepp- oder PVC-Band. Mit „Tape It“ gab es im Februar 2015 in Offenbach die erste europäische Tape-Art-Ausstellung. Zentrum der deutschen Tape-Art-Szene ist Berlin.

Das Buch: In „Tape Art. Kunst mit Klebeband – Ideen und Projekte“ (Haupt Verlag 2015) führt die Klebebande in Material und Techniken der Klebekunst ein. (api)

Kolberg: Ja, wir haben jetzt auch eine Laube in Spandau.

Für den echten Berliner ist der Wechsel von der Graffiti-Crew zur Laube offenbar kein Widerspruch. Wie ist es mit dem Wechsel von der Sprühdose zum Klebeband – ein Schritt von der Straße in den Kunstmarkt? Ist Tape Art dort jetzt der letzte Schrei?

Höbing: Vom „nächsten „großen Ding“ würde ich nicht reden. Hier in Berlin begann Tape Art vor sechs, sieben Jahren populär zu werden. Es gibt, etwa in den USA, Künstler, die schon seit den Sechzigerjahren mit Klebeband arbeiten. Einige kommerziell sehr erfolgreich, andere im Untergrund.

Kolberg: Tape Art ist nicht das neue Graffiti. Du arbeitest ganz anders: Sehr gradlinig, kantig, eher vergleichbar mit der Vektor-Grafik am Computer. Der große Unterschied zum Graffiti ist auch der Zeitaufwand. Mit Silberfarbe hast du in zehn Minuten ein großes Piece gesprüht.

Wie lange bräuchte man für den Schriftzug „Klebebande“, nachts an eine Hausfassade geklebt?

Höbing: Wenn egal ist, wie es aussieht, ist das Ding natürlich in wenigen Minuten fertig. Aber wir machen lieber was Ästhetisches.

Kolberg: Unserem Alter entsprechend: Ich persönlich habe keinen Bock mehr, mich nachts um die Häuser zu drücken und mein Zeug überall hin zu kleben. Um sich einen gewissen Respekt in der Szene zu erarbeiten, musst du auch ein paar Monate lang etwa zwei mal pro Woche nachts rausgehen. Ich habe Familie, mir ist jetzt anderes wichtiger.

Bultmann: Ich schleiche manchmal noch mit Aufklebern nachts rum …

Kolberg: Ja, aber das sind Dinge, die man eigentlich als Jugendlicher macht. Die älteren Sprayer suchen sich auch lieber legale Wände und sprühen schöne, bunte Bilder.

Viele Street-Art-Künstler gehen den Weg in die Werbung. Oder aber in die Kunstszene. Sie stellen als Klebebande im Kunstkontext aus, machen aber auch kommerzielle Aufträge. Wie geht das?

Kolberg: Wir haben anfangs sehr viele kommerzielle Aufträge gemacht – und dadurch viel gelernt. Denkmalgeschützte Wände, große Hausfassaden, Wegeleitsysteme für Events, kombiniert mit Wegemapping. Wir fangen jetzt immer mehr an, Ausstellungen zu machen.

Bultmann: Unsere Kunden kaufen unsere Kreativitität. Sie geben uns Freiraum. Was entsteht, könnte man auch in einer Ausstellung zeigen, ist aber für einen kleineren Kreis konzipiert. Für uns bieten die Aufträge Sicherheit.

Kolberg: Es muss ja auch für drei reichen – wir arbeiten meist zu dritt an einem Projekt.

Höbing: Viele unserer Werke haben Performancecharakter: Wir stehen auf der Bühne und kreieren in zehn Minuten ein Bild, begleitet von einer Videoinstallation. Das ist schon Kunst, aber meist Auftragsarbeit. So hart ist die Trennung vielleicht gar nicht.

Nehmen wir mal dieses dreiteilige Schwarz-Weiß-Bild, das hier an der Wand lehnt: eine grafische Darstellung der Hochbahn am Kotti – Kunst oder Kommerz?

Höbing: Dieses Bild entstand für die Tape-Art-Ausstellung „Tape it“ in Offenbach, die erste dieser Art in Deutschland. Eigentlich war es eine Video-­Tape-Art-Installation. Das Verfahren namens Tape Mapping haben wir selbst entwickelt: Man projiziert mit dem Videobeamer computergenerierte Schatten und erweckt das Kunstwerk so zum Leben. Hier unten fuhren Autos, oben ragen Blätter in den Himmel …

Bultmann: Das passt zu unserem Leitmotiv „Urban Jungle“: Die Natur holt sich die Stadt zurück. Und überall dazwischen die Schallwellen unserer modernen Kommunikationsmittel, dargestellt durch polygone Flächen, die durch die Stadtlandschaft wabern. Wir machen übrigens schon immer mehr Künstlerisches: Wir waren auf der Street-Art-Messe „Stroke“, haben jetzt zwei Galerien in München, die uns vertreten …

„Tape Art ist nicht das neue Graffiti. Du arbeitest ganz anders. Sehr grad­linig, kantig“

… keine in Berlin?

Höbing: Das hat sich bisher noch nicht ergeben – vielleicht gibt es hier zu viel Street Art. Aber wir forcieren das mit dem Kunstbetrieb auch nicht, dazu machen die Events und kommerziellen Aufträge auch zu viel Spaß. Es ist erstaunlich, welche Leute und Firmen auf den Geschmack mit dem Klebeband kommen.

Zum Beispiel?

Bultmann: Wir waren kürzlich in Kolumbien. Eine Modefirma aus Medelllín wollte eine acht Meter hohe, freistehende dreidimensionale Installation haben, wo die Models aus einem Vorhang aus Klebestreifen treten und sich auf einem getapten Boden bewegen. Wir klebten bis zum letzten Moment, es sah super aus – und nach 25 Minuten war alles vorbei. Ich glaube, es war der erste Tape-Art-Auftritt in Südamerika. Aber das Interesse ist groß. Ein Kollege versucht jetzt, ein Atelier in Kolumbien aufzubauen – mal sehen, wie es läuft.

Galerievertretung in München, Dependance in Medellín – streben Sie doch in die Höhe des Kunstmarkts? Ist der britische Street-Art-Künstler Banksy ein Vorbild, dessen Schablonengraffiti auf dem Kunstmarkt für siebenstellige Summen gehandelt werden?

Bultmann: Och, eine Million für ein Bild – es gibt Schlimmeres! Natürlich reizt es uns, irgendwann auf der Art Miami Basel präsent zu sein. Aber wir probieren jetzt nicht krampfhaft, da reinzukommen. Wir machen unser Ding und wachsen mit unseren Aufgaben.

Wie arbeiten Sie konkret. Kleben Sie freihändig, zeichnen Sie vor, benutzen Sie Vorlagen?

Kolberg: Für sehr große Bilder benutzen wir ein Raster und teilen die Fläche in Quadranten auf. Manches wird vorgezeichnet, der Rest ist Freestyle. Tape ist eine spezielle Ausdrucksform, man kann sich während der Arbeit korrigieren, indem man mit dem Cutter Formen herausschneidet – oder eine Linie einfach wieder abzieht. Das Schöne am Klebeband ist auch die Limitation der Ausdrucksformen, eine Strenge: Du kannst gerade Linien schaffen, die Auswahl an Farben ist begrenzt, Farbverläufe oder verlaufende Konturen sind nicht möglich.

Höbing: Obwohl: mit Packband kann man halbtransparente Farben übereinanderkleben und eine Dreidimensionalität erzeugen. So wie Max Zorn, ein Künstler, der mit Packband arbeitet. Aber das interessiert uns nicht. Wir mögen harte Kontraste und knallige, klare Farben.

Bultmann: In gewisser Weise ist Tapen einfacher als Malen. Für ein geometrisch strukturiertes Bild mit vielen Fluchtlinien müsste man die Kanten abkleben, um saubere Linien malen zu können. Später zieht man das Band wieder ab. Wir arbeiten umgekehrt, sparen uns sozusagen das Ausmalen.

Kolberg: Rundungen und Wellen sind schwieriger, da muss man mit dem Cutter sehr geschickt sein. Überhaupt geht ohne Cutter nichts.

Die sehen ziemlich scharf aus …

Kolberg: Cutter wirken gefährlich, aber das Verletzungsrisiko ist gering, wenn man damit umzugehen weiß. Wir haben schon einen Workshop mit 100 Kindern gegeben. Ein bisschen schwitzten wir, aber es ging gut. Ab dem Grundschulalter können Kinder mit einem Cutter hantieren, wenn man ihnen das zeigt. Wenn man sich aber mal schneidet, dann blutet es wie die Hölle. Bei einem Teamevent neulich hatte ein Teilnehmer sein Bild mit Blut signiert.

Die Klebebande über den Drang zur Kunst:

Natürlich reizt es uns, irgendwann auf der Kunstmesse Art Basel präsent zu sein. Aber wir probieren jetzt nicht krampfhaft, da reinzukommen. Wir machen unser Ding und wachsen mit unseren Aufgaben

Was sind Teamevents?

Höbing: Wir bieten Workshops für Firmen an, in denen sie unter unserer Anleitung selbst Tape-Art-Werke gestalten. Etwa bei einem Technologieunternehmen in Ulm, dort wollten die Mitarbeiter ihr Büro zu verschönern. Es kamen tolle Werke dabei raus. Klebeband ist als künstlerische Technik auch Menschen zugänglich, die sich sonst mit Informatik und anderen kunstfernen Bereichen beschäftigen. In wenigen Stunden kann man mit Tape zu sehr guten künstlerischen Ergebnissen kommen. Ein paar praktische Ideen für Jedermann zeigen wir auch in unserem Buch „Tape Art“: von der Verschönerung eines alten Stuhls mit Klebeband bis zum Taping auf Glas.

Neigen Sie dazu, auch Ihre Privaträume zu bekleben?

Bultmann: Bei mir war das ganz extrem. Ich wohne in dieser Fabriketage, die auch Party- oder Veranstaltungsort war. Da waren Decken und Wände besprüht, beklebt, bemalt. Vor anderthalb Jahren haben wir renoviert. Seitdem ist alles weiß, es gibt Steckdosen, an der Wand ein paar Bilder – mehr nicht.

Kolberg: In meinem Badezimmer kleben große Fische, Kois, die sehen auf den Fliesen gut aus. Aber von meinen eigenen Bildern dürfen nie mehr als zwei hängen – meine Freundin entfernt das sonst. Ist ja auch richtig, wenn man zu Hause, in den eigenen vier Wänden, Ruhe hat vor der Arbeit.

Was passiert mit der Klebebande, wenn alle Möglichkeiten des Materials ausgereizt sind?

Bultmann: Wir haben bestimmt Hunderte von Bildern zusammengeklebt. Aber ich bin noch lange glücklich mit Klebeband und -bande.

Kolberg: Das hast du schön gesagt.

Höbing: Da wir auch Freunde sind und ästhetisch ähnlich denken, kleben wir bestimmt auch noch aneinander, wenn das Kleben sich erschöpft hat.