: Der dezidierte Blick
Bilder Die Agentur Ostkreuz lädt anlässlich ihres 25-jährigen Gründungsjubiläums zu einem Podium und einer Party in die Volksbühne – Porträt einer der vielleicht renommiertesten Fotoagenturen Deutschland
von Jana Bach
Mein Haus, mein Auto, meine Frau: Sie könnten protzen. Legendär sind die Macher, ihre Bilder, ihre Agentur. Stattdessen verpflichteten sich die Fotokünstler der Agentur Ostkreuz, gegründet 1990 nach dem Vorbild der berühmten Pariser Magnum, von Beginn an einer Philosophie des dezidierten Blicks: Der Welt, die sie ablichteten, sahen sie sich in moralischer Verantwortung gegenüber.
Mit einer Dokumentarfotografie als Kunst, als Sprache, als Haltung setzten sie sich, zunächst siebenköpfig, ostdeutsch, an die Spitze. Die Ostkreuz-Agentur gilt wohl als die renommierteste Deutschlands mit Veröffentlichungen in Magazinen wie Geo, Stern, Newsweek oder der New York Times. In den Schoß fiel ihnen das nicht. Die Institution ist inzwischen 25 Jahre alt.
„Wir hatten das Glück, schon einige Kontakte in Redaktionen zu haben“, drückt es Harald Hauswald, einer der Gründerväter, bescheiden aus. Bereits zur Wende waren alle namhafte Größen, wie Ute und Werner Mahler oder Sibylle Bergemann, die bekannteste Modefotografin der ehemaligen DDR. Längst vereint die Agentur mit ihren derweil 20 Mitgliedern eine bunte Mischung in sich, künstlerisch wie biografisch. Am Arbeitsethos, der bei all dem als Kitt dient, scheiden sich die Geister. Mancher ist gegangen.
Ein „Junior“ muss sich anderthalb Jahre beweisen. Wen die „Familie“ letztlich aufnimmt, wird im Konsens entschieden. Zusammengehockt wird viel. Fast obligatorisch: „Das jährliche Spargelessen bei Mahlers.“
Dem Knotenpunkt Ostkreuz ähnlich, fest verwurzelt, aber dem Aufbruch verschrieben, knackte der Kern spätestens mit der ersten Neuaufnahme, dem deutschfranzösischen Fotografen Maurice Weiss.
Während sich bei Ute Mahler die DDR-Ästhetik (“zurückhaltend, intensiv, mit kleinem Hang zur Melancholie“) auch in ihrer Fotografie findet, fasst Tobias Kruse, Teil der Familie seit 2011 und Jahrgang 1979, diese eher als inhaltliche Herangehensweise auf, wie „Information subtil zu verpacken, nichts, was gleich ins Auge springt. Keine Großsprecherei.“
Auf die Frage, welche Rolle Ost/West gegenwärtig für das Kollektiv spielt, fällt Hauswalds Antwort prompt: „Überhaupt keine.“ Sowieso wird wenig Pathos inszeniert und sich lieber an der Geschichte abgearbeitet. In den großen Ausstellungen spiegeln ihre Bilder Chroniken, an denen sich auch die der Agentur ablesen lässt. „Östlich von Eden: Von der DDR nach Deutschland“ hieß die Schau zum 10. Geburtstag, der gleichnamige Band schaffte es auf die Stern-Liste der besten Bücher.
Fünf Jahre später standen die Sehnsüchte und Ängste einer Wiedervereinigung im Fokus. Das Goethe-Institut schickte „Neueinstellung Deutschlandbilder“ auf Welttournee. Für die Ausstellung „Vom Werden und Vergehen“, 2010 im C/O Berlin, schwärmten die Ostkreuzler aus, um von Detroit bis Manila, vom vermeintlichen Atlantis bis zu realen Slums Stadtbilder einzufangen. Ein Jahr zuvor warf man einen Schulterblick mit „Ostzeit“ auf ein Gestern vor dem Mauerfall.
Ins Bild passt, dass die Schau zum diesjährigen runden Geburtstag nicht in der deutschen Hauptstadt eröffnet, sondern in Paris – anschließend in München und Schwerin gastiert. Denn der Legende nach kamen die sieben damals auf Einladung des französischen Kulturministers im Élysée-Palast an einen Tisch, baldowerten bei Speis und Trank die Gründung aus.
Der 2015 frisch aus der Taufe gehobene Verein Ostkreuz e. V. soll in Abgrenzung zur kommerziellen Agentur freie Projekte realisieren, wie die kommende Podiumsdiskussion in der Volkbühne. „Das bedrohte Bild/Das Bild als Drohung“. Das digitale Zeitalter mit seinem visuellen Fetisch fordert ein politisch wie kulturell stabiles Deutschland mit ganz neuen Grenzgängen. Eine Street-Fotografie, wie sie bei Hauswald vor der Wende entstand, sei heute gar nicht mehr möglich, so Kuratorin Alexandra Engel. Weil eine jüngere Fotografengeneration, wie Espen Eichhöfer, ebenfalls Podiumsgast, wegen seiner Bilder permanent verklagt werde. Ob und wann persönliche Interessen denen des Gemeinwohls unterzuordnen sind, gilt es auszuloten.
Geschlossen kämpft Ostkreuz vor Gericht für die Panoramafreiheit – einer Einschränkung des Urhebers, die es ermöglicht, urheberrechtlich geschützte Werke, beispielsweise Gebäude im öffentlichen Raum, bildlich wiederzugeben, ohne dafür um Erlaubnis nachzusuchen. Der Ausgang eines Rechtsstreits mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ist noch offen. Somit auch, ob Pressefotografen zukünftig untersagt sein wird, Sanssouci und den öffentlichen Park abzulichten.
Dies tangiert die tägliche Agenturarbeit wie die Berichterstattung und offenbart juristisch wie moralisch Grauzonen. Ein Tabu zu brechen kann unter Umständen gerechtfertigt sein, meint Tobias Kruse, wie jüngst das Foto des toten Flüchtlingskindes Aylan zeigte. „Allerdings ist dies im Einzelfall abzuwägen.“ Es gibt kein Manifest, auch nicht für die Ostkreuzler. Sie sind keine homogene Masse. „In die Verantwortung nimmt sich jeder selbst“, bestätigt auch Hauswald. Vielleicht liegt gerade darin ihr Erfolgsgeheimnis: sich der Diskussion zu stellen, intern wie nach außen.
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