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Zwischen Fudschi und Wurzelbehandlung

BKA Dritte Folge beim „Blick von außen“: Unsere dänische Gastautorin besucht das BKA-Theater, wo sie lokale Travestiekomödie und experimentelle Musik geboten bekommt

von Henriette Harris

Der Onkel meines Mannes, Jahrgang 1920, war Schauspieler und Maler. Er sagte immer: „Für Künstler gelten andere Regeln. Wir müssen uns noch besser als andere Menschen benehmen.“ Auch Klaus Schöpp kennt offensichtlich diese Regeln. Ich schreibe ihm um 23.03 Uhr, und schon um 23.34 Uhr antwortet er. Zudem außerordentlich freundlich, obwohl ich eine fremde Frau bin und ihn einlade, mit mir ins Radialsystem zu gehen, um Neue Musik zu hören. Da war ich nämlich noch nicht, und ich habe extra einen Abend ausgesucht, wo es nach dem Konzert auch Baguette und Rotwein gibt.

Klaus Schöpp ist Flötist und weiß alles über Neue Musik. Er leitet seit über 20 Jahren das Modern Art Ensemble, das Neue Musik spielt. Ich schreibe ihm, dass es, was diese Art von Musik angeht, „keine Löcher in meiner Unwissenheit“ gibt. Das nimmt er mir nicht übel und dann zeigt er, dass er noch eine Qualität besitzt: Er ist kein Suppenjäger. Einen „Suppenjäger“ nennen wir auf Dänisch eine Person, die zum Beispiel die Kirche verpasst, wenn es eine Konfirmation gibt, und nur für das gute Essen hinterher auftaucht. Schöpp kann nämlich nicht an dem Abend mit dem Baguette. Mist.

Hinter Gemüse-Kebap

Er schlägt zwar verschiedene seiner Neue-Musik-Freunde vor, die vielleicht mit mir gehen möchten, ich aber will jetzt nur ihn. Diese Verkörperung von Freundlichkeit, die auf dem eigenen Facebook-Profilbild Engelsflügel beim Flötenspiel trägt. Und dann bietet er mir an, dass wir an einem anderen Abend ins BKA gehen. Na ja, jeder Engel hat seine dunkle Seite, denke ich, bis mir klar wird, dass er nicht das Bundeskriminalamt meint, wo ich auch nie war, sondern die Berliner Kabarett Anstalt. Und er verspricht, dass man da auch Wein trinkt. Pech für das Radialsystem.

Die Berliner Kabarett Anstalt fängt an, wo die Schlange vor Mustafa’s Gemüse Kebap endet. Genau da am Mehringdamm in Kreuzberg. Wie in der TV-Küche schummele ich und gehe schon zwei Tage vor meiner Verabredung mit Klaus Schöpp hin. Der Redakteur sagt, dass ich über den Ort schreiben soll und keine Rezension von der Veranstaltung machen darf. (Keine Sorge, wie rezensiert man Neue Musik?) Und ich denke, dass zweimal am Ort mir mehr Kenntnis über den Ort als nur einmal bringt. Ich gehe also erst alleine zu „Hostel Hermannstraße“, ein „Neuköllnical/Comedy“ mit der Ades Zabel Company.

Ich habe noch nie soviel gemeinsames Gelächter in ­Deutschland gehört

Im Allgemeinen ist es so: Bist du im Zweifel, ob es ein Frau oder ein Mann ist, ist es immer eine Frau. Mit dieser Faustregel kommt man normalerweise in der Berliner U-Bahn gut klar. Im BKA-Theater nicht. Dass bei den Schauspieler(innen) der Ades Zabel Company, geleitet von Edith Schröder, vielleicht auch männlichere Hormone in ihren Körpern rumtoben, ist nur an den etwas tiefen Stimmen zu erkennen. Wow, sehen die gut aus, und haben sie tolle Beine! Außer Edith Schröder natürlich, die eher Dame Edna ähnelt, aber anderseits, wie ich hier und jetzt verstehe, eine Berliner Legende ist und sich alles erlauben kann. Was sie auch tut.

Kabarett und Berlin hängen zusammen wie Dick & Doof. Verrauchte Räume. Netzstrümpfe. Zigarettenspitzen. Kleine runde Tische. Raffiniert wie Marlene Dietrich. So ist es nicht ganz im BKA-Theater. Es gibt zwar runde Tische, die Vorhänge sind rot, und ein netter junger Mann serviert, aber viele unter dem Publikum sehen mehr aus wie Edith Schröder – mit blondierter Frisur, Busen wie mittelschwere russische Kampfwagen und gemustertem Oberteil. Und der Humor bestätigt das Vorurteil, dass die Deutschen nur eine Sache richtig lustig finden: Stuhlgang.

Auf jeden Fall lacht der prallvolle Saal sich tot, als der nordkoreanische Diktator Kim Jung Un plötzlich auf einem Toiletten-Thron mitten auf der Bühne landet. Aber: Ich habe noch nie so viel gemeinsames Gelächter in Deutschland gehört. Besonders wenn die Sachsen beschimpft werden. Auch wenn man sich einige von den „visible minorities“ unten auf der Straße hier im fünften Stock unter dem Publikum wünschen könnte: Die Damen auf der Bühne sind so charmant, dass es ansteckend wirkt. Aber warum reden sie die ganze Zeit von Fidschi, denke ich, und glaube, dass die Deutschen wieder ein paar Vokabeln in den falschen Hals bekommen haben. Wie manche auch Libyen Lybien nennen. Hier ist aber nicht der Inselstaat im Südpazifik gemeint, sondern Fudschi. Brauche ich hier nicht zu erklären. Aber ein Getränk aus Weinbrand und Cola? Trinkt man wohl nur, wenn man richtig krank ist. Und keine Hoffnung auf Genesung hat. Oder keinen Wunsch danach.

Ein paar Tage später. Das Konzert „Piano Grinds“ gehört zu der Reihe „Unerhörte Musik“, die es jede Woche seit 25 Jahren in der BKA gibt, und wird als „Soloprogramm mit Musiken für inside piano und Elektronik“ beschrieben. Der Saal ist nicht so voll wie bei dem Neuköllnical, das Publikum ist weniger bunt. Es gibt mehr Bart, mehr Jacken und mehrere jüngere ernste Männer, die sicherlich selten Fudschi trinken. Doch immerhin. Jede Woche. BKA schafft es mit größter Selbstverständlichkeit, den Bogen von Slapstick-Travestiekunst bis zu „Drinnen im Klavier“ zu spannen.

Im realen Leben hat Klaus Schöpp keine Flügel. Seine Freundlichkeit ist aber intakt, und er bestellt uns sofort Wein. Sebastian Berweck spielt die ersten zwei Stücke seines Konzerts, wo er, wie es im Programm heißt, „eine Neubeschreibung des Klaviers…als Möbel, als Möglichkeit“ macht. Er macht sogar einen Witz: Jetzt wo es Herbst ist, ist man auch mehr „inside“.

Klaus Schöpp wird nicht sauer, als ich in der Pause frage, ob man nur Neue Musik spielt, weil man nicht gut genug ist, um sich in der klassischen Liga durchzusetzen. „Das ist eine böse Frage. Musiker wird man nur, wenn man an die Musik glaubt. Und man kann gar nicht Neue Musik spielen, wenn die klassische Grundlage nicht in Ordnung ist“, sagt er und lächelt mir zu. Ist er dann ein Nerd? Immer noch nicht sauer. „Nerds konzentrieren sich auf ein Ding. Bei Neue Musik muss man offen und neugierig auf noch nicht ausprobierte Sachen sein. Ich bin kein Nerd“, sagt er.

Er erklärt, wie ein Konzert mit Neuer Musik immer zwei Seiten hat: Klang und Zeit. „Es gibt den Klang an sich. Und es gibt die Zeit. Wie bringen die Musiker es übereinander? Wie strukturiere ich diese Zeit selbst? Es gibt Menschen, die können sich 70 Minuten nur zwei Töne anhören. Da würde ich mich auch langweilen“ sagt er. Langweilig ist es mit Berweck nicht. Manchmal klingt der Flügel wie ein Flugzeug, manchmal wie knarrende Türen, und ein ganzes Stück lang fühlt man sich wie bei einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Er hat tatsächlich Zahnbürsten eingesetzt, um die Laute hervorzubringen.

Neue Musik muss man live erleben. Jeden Dienstag im BKA-Theater. Gehen Sie hin und lassen Sie klanglich Ihre Wurzeln behandeln. Es öffnet die Ohren. Und es tut gar nicht weh.

Die Autorin lebt als Journalistin in Berlin und schreibt für dänische Medien. Sie hat ein Buch über Berlin (auf Dänisch) geschrieben, aber die Stadt ist für sie noch längst nicht auserzählt. In ihrer Serie „Blick von außen“ schaut sie sich in loser Folge in Berlin um

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