Tiefbegabte Außenseiter

KINDERTHEATER Im Atze Musiktheater hat man Andreas Steinhöfels Buch „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ auf die Bühne gebracht. Und die Krimigeschichte mit den coolen Sonderlingen wurde gleich mal ordentlich gefeiert

Das klappt im Buch, und es klappt auch wunderbar bei der Bühnenfassung

VON KATHARINA GRANZIN

Eigentlich ist die Geschichte von Rico und Oskar so eine, wie vor allem Lehrer und Eltern sie gut finden. Weil sich daraus super was lernen lässt. Pädagogisch wertvoll also. Rico und Oskar sind nämlich zwei Jungen, die es im normalen Schulalltag schwer hätten mit den anderen, ganz normalen Kindern, weil jeder von beiden auf seine Art besonders ist. Rico nennt sich selbst „tiefbegabt“ und geht auf ein Förderzentrum, weil ihm immer Dinge „aus dem Kopf fallen“. Oskar dagegen hat ein immenses Wissen und ist überdurchschnittlich intelligent. Er ist aber ebenso überdurchschnittlich ängstlich und trägt stets einen Motorradhelm. Aus Sicherheitsgründen. Die ungleichen Jungen schließen Freundschaft.

Zusammen gelingt es den beiden Außenseitern in Andreas Steinhöfels bekanntem Kinderbuch „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ (dem inzwischen schon weitere drei Rico-und-Oskar-Abenteuer gefolgt sind), einem notorischen Kindesentführer das Handwerk zu legen. Bei der spannend konstruierten Krimihandlung fällt es Kindern leicht, sich mit den Außenseitern zu identifizieren – anders als oft im wirklichen Leben.

Das klappt im Buch, und es klappt auch wunderbar bei der Bühnenfassung von „Rico, Oskar und die Tieferschatten“, die vergangenes Wochenende im Atze Musiktheater Premiere hatte. Die kindliche Zielgruppe (ab acht, schätzt das Programmheft realistisch ein) erklatschte sich am Schluss gar eine Zugabe, so mitgerissen wurde das Publikum vom „Ich hab ’n Freund“-Song. Wahrscheinlich auch aus lauter Erleichterung.

Endlich einen Freund

Die wunderbare neugefundene Freundschaft von Rico (Iljá Pletner) und Oskar (Johannes Mölders), die sich eines Tages zufällig auf der Dieffenbachstraße begegnen, wird nämlich zwischendurch sehr auf die Probe gestellt. Kaum hat Rico endlich einen Freund gefunden, muss er auch schon vergeblich auf Oskar warten, der zu einem verabredeten Treffen nicht kommt. Rico ist verzweifelt und einsam und langweilt sich furchtbar – zumal auch noch seine alleinerziehende Mutter (Franziska Forster) plötzlich verreisen musste, um bei ihrem schwerkranken Bruder zu sein. Da sieht er in der Abendschau einen Bericht, dass in Berlin schon wieder ein Kind entführt wurde. Der Junge heiße Oskar und trage immer einen Motorradhelm.

Natürlich ist Rico der eigentliche Held der Geschichte. Durch die Lieder, die Atze-Theaterleiter Thomas Sutter für die Aufführung geschrieben hat, gelingt es auf spielerische Weise, die Ich-Perspektive des aus Ricos Sicht erzählten Buches dramaturgisch auf die Bühne zu überführen. Die meisten der Musikeinlagen sind „Rico-Songs“, in denen die Gemüts- und Gefühlslagen der Hauptperson schlaglichtartig beleuchtet werden. Die Musiker (Stephan Hoppe, Markus Schmidt, Thomas Lotz) spielen dabei nicht nur diverse Instrumente, sondern übernehmen auch Parts in der Handlung. Das hat etwas sympathisch Hausgemachtes, das dem handfesten Berliner Charme der Rico-Geschichte entspricht.

Bei der Übertragung auf die Bühne ging aber auch einiges vom Sprachwitz Steinhöfels verloren. Während die Lektüre des klug geschriebenen Buches auch etwas älteren LeserInnen oder vorlesenden Eltern viel Vergnügen bereiten kann, orientiert sich die Atze-Produktion in Dramaturgie und Inszenierung eher an den etwas schlichteren Theatererwartungen der Acht- bis Zehnjährigen.

Aber das ist natürlich gar nicht verkehrt. Der abwechslungsreiche Mix aus Spielszenen und Musik, aus Dialog und Action kommt bei der Zielgruppe eindeutig an, und das ist es, was zählt. Die Kids haben Spaß, ohne dabei zu merken, dass sie womöglich gerade etwas Wichtiges gelernt haben. Dass nämlich Außenseiter total coole Typen sein können. Und dass man besser nicht zu früh über einen lacht, der immer einen Helm auf dem Kopf trägt. Denn letztlich ist es egal, wie man aussieht. Wichtig ist nicht, was man auf, sondern vor allem, was man im Kopf hat. Oder man hat genau dafür einen besten Freund.

■ „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ im Atze Musiktheater, Luxemburger Str. 20. Nächste Vorstellungen: 29.–31. 1., 10.30 Uhr. Weitere Termine: www.atzeberlin.de