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Eine Welt in Graustufen

POP Songs über den Mangel: die kanadische Sängerin Carly Rae Jepsen und ihr neues Album „Emotion“

Die Synthetik-Streicher im Refrain von „Call me maybe“ sind für die Ewigkeit gemacht und der Text erzählt klug vom Begehren – ohne Erfüllung

Gabi Delgado-Lopez von DAF sagte jüngst zu seinem zweiten Soloalbum, das mit über 30 Songs sehr großzügig ausgefallen ist, dessen Fülle sei auch ein politisches Signal: Eine Absage an das Griechenland-muss-sparen-Gerede. Dem müsse eine ganzheitliche Philosophie der Verschwendung entgegengestellt werden.

Dass ausgerechnet die kanadische Popsängerin Carly Rae Jepsen Delgados Rat beherzigt, ist so erstaunlich wie wunderbar. Für ihr neues Album „Emotion“ wurden angeblich 250 Songs geschrieben, von ihr und anderen Komponisten. Auf dem fertigen Album war noch Platz für zwölf Songs. Carly Rae Jepsen wurde 2007 Dritte bei „Canadian Idol“, dem Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“. Bei letzterem Format kann sich selbst in Deutschland niemand mehr an die Gewinner erinnern, die 29-Jährige aber hatte auf ihrem zweiten Album einen richtigen Hit: „Call me maybe“ wurde 2012, nachdem ihn Justin Bieber ein paarmal in Smartphones trällerte, zur weltweit erfolgreichsten Single.

„Call me maybe“ ist musikalisch schlicht unwiderstehlich, die Synthetik-Streicher im Refrain sind für die Ewigkeit gemacht und der Text erzählt klug vom Begehren – ohne Erfüllung. Natürlich genügt selbst ein solcher Übersong allein nicht, aber „Emotion“, Album Nummer drei, ist da weiter. Weil es neben den offensichtlichen Hits starke Songs dabeihat und vor allem wie aus einem Guss klingt.

Das heißt in diesem Fall, dass sich Jepsen an der Klangwelt der Achtziger orientiert (samt trocken-souveräner Snare und einem Saxofon, das nicht nervt) und ziemlich aus der bass­fetischisierten Zeit fällt. Der funky Basslauf auf „Boy problems“ ist trotzdem toll. Bei Carly Rae Jepsen funktioniert etwas, das sich schrecklich liest und doch wahr ist: Sie wirkt ganz normal.

Hier wird keine Gigantomanie im Stile von Miley Cyrus entwickelt, sondern eine Welt in Graustufen, wo das Wollen immer größer ist als das Können. Die Figuren ihrer Songs leben nicht im Überfluss, der nur die besten Nächte und die Erinnerung an den einen kennt. Jepsens Songs handeln selten von Gewissheiten, sie formulieren Fragen: Ist das genug, kommst du mit, will ich das?

In „I really like you“ geht es nicht nur um die starke Zuneigung – sondern vor allem um den Mangel, um das Gefühl, dass alles okay ist, aber nicht genug. „Run away with me“ wird mit jeder Wiederholung der Titelzeile zu einem Flehen, das vermuten lässt, dass nur eine Seite so empfindet. Und das schluss­endlich ziemlich tragisch ausgehen muss. Nicklas Baschek

Carly Rae Jepsen: „Emotion“ (Universal)

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