: Jeder nach seiner Façon
PARLAMENT Grüne geben sich bei Flüchtlingsdebatte staatstragend – Linke und Piraten attackieren
An einem Strang ziehen? Es dauert an diesem Donnerstagmorgen im Abgeordnetenhaus keine halbe Stunde, bis klar ist, dass aus dieser frommen Hoffnung von Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop nichts wird. Man solle das Staatstragende nicht überstrapazieren, sagt Udo Wolf, als er in der Flüchtlingsdebatte ans Mikro tritt. „Wir sollten nicht so tun, als ob wir alle an einem Strang ziehen“, sagt der Vorsitzende der Linksfraktion, vor allem nicht, wenn das nicht einmal der Senat mache.
Auf manchen Tischen liegt im Plenarsaal das taz-Interview vom selben Tag, in dem Pop zum Verzicht auf einen parlamentarischen Schlagabtausch und zu gemeinsamer Lösungssuche aufgerufen hatte. Das ist klar nicht Wolfs Ansatz. Er schaut bewusst zurück, verteilt Schuld und Verantwortung. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ist für ihn „jener, der durch Nichtstun die jetzige Situation mit verursacht hat“. Er habe es versäumt, Personal und Räume des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) rechtzeitig aufzustocken. Den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) drängt er, endlich von Notplänen zu einem nachhaltigen Hilfsprogramm zu kommen.
Piraten: Czaja hat versagt
Noch drastischer werden die Piraten. „Es gibt keine Entschuldigung dafür, Zeltunterbringung in Spandau noch kurz vor dem Kälteeinbruch auszubauen“, ereifert sich Fraktionschef Martin Delius. Er kritisiert, dass die Standards der Unterbringung runtergeschraubt wurden. „Alles, was keine Toilette, keine Wände und nicht neun Quadratmeter per Person hat, muss tabu sein“, sagt er. Sein Fraktionskollege Fabio Reinhardt steigert noch Udo Wolfs Kritik an Czaja: Der habe versagt.
Der Sozialsenator wehrt sich, verweist zum wiederholten Mal darauf, wie sprunghaft die Flüchtlingszahlen gestiegen sind: „Aktuell kommen täglich so viele Menschen an wie vor vier, fünf Jahren in einem ganzen Jahr.“ Regierungschef Müller stellt sich später hinter ihn, widerspricht Wolfs Aussage, dass der Senat nicht an einem Strang ziehe. Er räumt zwar ein, dass man manches hätte „schneller und besser machen können“. Aber für ihn ist es abwegig zu kritisieren, dass nicht vor Jahren vorbeugend zusätzliches Personal für einen damals unvorstellbaren Flüchtlingsstrom eingestellt wurde.
Zwei konkrete Forderungen bleiben neben all diesen Anwürfen und Verteidigungsversuchen: zum einen ein parlamentarischer Sonderausschuss zu Flüchtlingsangelegenheiten, den SPD-Fraktionschef Raed Saleh vorschlägt. Der sei in seiner Fraktion beschlossen, sagt er der taz später, die CDU unterstütze das.
CDU will „Ausreisezentrum“
Zum anderen die Forderung der Christdemokraten nach einem „Ausreisezentrum“ für Flüchtlinge vom Westbalkan. „Das ist genau das, was gerade die rot-grüne Landesregierung in NRW einrichtet“, sagt Fraktionschef Florian Graf. Hier sieht es nicht nach Unterstützung durch den Koalitionspartner aus – Saleh mag sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern. In seiner Rede sagt er: „Auch das Asylrecht muss Bestandteil unserer Leitkultur sein.“ Stefan Alberti
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen