piwik no script img

Und alle haben sich lieb

INTERNATIONALES LITERATURFESTIVAL Bei der Eröffnung im Haus der Berliner Festspiele philosophiert der spanische Schriftsteller Javier Marias geistreich vor sich hin, und der deutsch-iranische Autor Navid Kermani findet Erotik im religiösen Empfinden

„Sie wissen, dass der Vortrag auf Spanisch gehalten wird?“, fragt sicher zum tausendsten Mal die Praktikantin am Einlass, als schon wieder ein paar Hereinkommende ohne Kopfhörer in der Hand an ihr vorbeiwollen. Nee, wussten wir nicht. Beschämt suchen wir die Warteschlange für die Übersetzungsanlage.

Die geht bereits quer durch die gesamte beträchtliche Breite des Foyers im Haus der Berliner Festspiele. Während man millimeterweise vorrückt, hat man Zeit genug, sich zu fragen, warum ein Autor wie der hochmögende Javier Marias, der doch immerhin in Oxford gelebt und gelehrt hat, seinen Vortrag nicht auf Englisch hält?

Im Grunde ist es gut eingeübte Tradition beim Internationalen Literaturfestival, eine irgendwie englischsprachige Person für die Eröffnungsveranstaltung einzuladen, gern weiblich und attraktiv, deren Aufgabe es ist, eine geistreiche Rede über die (möglichst) politische Relevanz der Literatur an sich zu halten. Dieses Jahr also bricht man wieder einmal mit diesem Muster. Natürlich macht auch ein Señor Marias bella figura, denn nicht nur ist er trotz vorgerückten Alters von Weitem immer noch attraktiv, sondern hat zudem auch einen sehr geistreichen Text mitgebracht, bei dem sich allerdings fragen ließe, inwieweit er sich als Eröffnungsrede wirklich eignet.

Natürlich konnte er diesen Text, der von seinem kubanischen Urgroßvater handelt, von verschiedenen Großtanten, von familiärer Überlieferung und vom Verwandeln der Realität in Fiktion, nur auf Spanisch lesen! Es handelt sich nämlich mitnichten um eine Rede, sondern um eine Erzählung, eine selbstreflexive, philosophisch gestimmte Abhandlung über das Verhältnis des Autors zum Erzählen, und damit um eine Verlängerung von Marias’Romanen, so wie auch diese Romane in der Regel einer die Verlängerung des anderen sind.

Und so schön und interessant das alles ist, und so angenehm zuzuhören (dank den Dolmetscherinnen!), so ist es doch irgendwie so, als dürfe man jemanden, der sehr klug, aber eben auch ein bisschen eitel ist, exklusiv beim elaborierten Selbstgespräch belauschen. Dabei hätte man es, so als Eröffnungspublikum eines großen Festivals, schon ganz gern gehabt, als potenzieller Adressat wahrgenommen zu werden.

Fragen ohne Antwort

Weiteres Anschauungsmaterial in puncto männliche Eitelkeit liefert die zweite große Veranstaltung des Abends. Navid Kermani, frisch gekürter Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, liest aus seinem Buch „Ungläubiges Staunen: Über das Christentum“. Als Moderator ist ihm der Kritiker Andreas Isenschmid zur Seite gegeben, dessen wiederholte Versuche, Kermani in ein Gespräch oder gar eine Diskussion zu verwickeln, leider nicht so richtig greifen, da der Autor zum Monologisieren neigt und auf Fragen nicht immer Antwort gibt.

Warum sein Buch „Über das Christentum“ heiße, wenn es doch fast ausschließlich vom Katholizismus handele, will Isenschmid nicht unberechtigt wissen. Na, wenn den Protestanten das nicht passe, sollten sie doch ein eigenes Buch schreiben, gibt Kermani patzig zurück. Natürlich ist klar, dass es die Sinnenfreude des Katholizismus ist, die ihn anzieht.

Aufgewachsen im calvinistisch geprägten Siegener Land, verteidigt er die Freude am religiösen Gefühl gegen jene Barbareien, die im Namen der Religion geschehen und die seiner Meinung nach eben aus der Ablehnung dieses Gefühls resultieren. Das Christentum als eine „Religion der Liebe“ ist es, die der Muslim Kermani verklärt. Warum er dabei die recht lieblose Zeit der Kreuzzüge, zu deren Zeit der Protestantismus schließlich noch lange nicht erfunden war, einfach ausblendet, traut sich der Moderator wahrscheinlich nicht auch noch zu fragen. Es ist schließlich der erste Abend eines langen Festivals. Da sollen sich alle einfach mal gern haben.

Katharina Granzin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen