Die Wahrheit: In Orangengehirnen

Der kürzlich gefundene Urmensch gibt viele Rätsel auf. Das größte lautet: Wie konnte aus dieser fixen Idee eine Erfolgsstory des Menschen werden?

Ein Mensch und ein Schädel

Moderner Mensch (links) und urzeitlicher Mensch (rechts) strahlen um die Wette. Foto: AP

Die afrikanische Savanne, unendliche Weiten, Windel der Menschheit. Hier, wo sich Gnu und Löwe Gute Nacht sagen, bekamen Höhlenforscher kürzlich den Schreck ihres Lebens: In den Tiefen einer Felsgrotte stießen sie auf menschliche Gebeine. Fünfzehn weitgehend vollständige Skelette lagerten hier und gähnten die Abenteurer aus hohlen Schädeln an.

Die Polizei nahm die Ermittlungen auf und stellte sie bald wieder ein. Hinweise auf Gewalteinwirkung konnte an den Toten nicht festgestellt werden. Selbst bei einem Mord wären die Taten vermutlich verjährt gewesen. Denn die Skelette sind alt, sehr alt. Von bis zu zweieinhalb Millionen Jahren ist die Rede, die damalige Gesetzeslage ist allerdings in höchstem Maße unklar, mögliche Täter wären ohnehin längst verstorben.

Paläoanthropologen nahmen sich des schauerlichen Fundes an und fanden heraus, dass es sich bei den Hingeschiedenen um Individuen einer bislang unbekannten Frühmenschenart handelt, genannt Homo naledi: Klasse der Säugetiere, Ordnung der Primaten, Familie der Menschenaffen, Tribus der Hominini. Wie es den Urzeitleuten gelang, sich derart präzise in die biologische Systematik einzuordnen, noch dazu mit einem lateinischen Namen, werden wir wohl nie erfahren. Es ist nur eines von vielen Rätseln, die das Grab aufgibt.

Ein Gehirn für dürftige Gedanken

Wer waren unsere Vorfahren? Wie kamen sie in diese Höhle? Warum genügte ihnen ein Gehirn von der Größe einer Orange, während heute jeder Depp meint, unbedingt ein Riesenzerebrum zum Spazierenfahren seiner dürftigen Gedanken zu benötigen?

Wissenschaftler aus aller Welt liefern sich seit Bekanntwerden des Fundes einen erbitterten Streit über die Größe der Orange. Wenig, ja praktisch nichts ist bekannt über die Lebensweise des Homo naledi. Doch dürfen wir davon ausgehen, dass die Existenzgestaltung der primitiven Menschenvorstufe von primärer Triebbefriedigung geprägt war – ein Dasein für Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung, wie wir es heute fast nur noch in Fitnessclubs und Ferienorten beobachten können.

Es war eine langweilige Welt, die der Frühmensch bewohnte. Das einzige Erlebnisangebot seinerzeit: Safari per pedes. Wofür heute Touristen aus aller Welt ein Heidengeld berappen, war ihrer Vorfahren trister Alltag. Kultur im heutigen Sinne gab es noch nicht. Der literarische Kanon beschränkte sich auf einen unvollständigen Paarreim, das musikalische Leben auf gelegentliche Backpfeifenkonzerte. Einzig einen Bestattungsritus soll es bereits gegeben haben, mutmaßen die Forscher aufgrund der ungewöhnlichen Ansammlung der Skelette am Fundort. Wahrscheinlich hatte ein bizarrer Affengott den naiven Protomenschen die Grablegung befohlen.

Doch Homo naledi verharrte nicht in seinem Schicksal, er war von einem starken Wunsch beseelt: Er wollte sich zur Krone der Schöpfung aufschwingen, mit tonnenschweren SUV über Asphalt donnern und seinen Artgenossen auf den Nerven herumtrampeln – dabei schwang er sich bislang höchstens zur Krone des Baumes auf. Wie wurde aus dieser fixen Idee eine solche Erfolgsstory?

Der Mensch als Experiment der Natur

Fakt ist: Der moderne Mensch wäre ohne seine Abstammung nicht denkbar. Hätten seine Ahnen die Experimente der Natur nicht über sich ergehen lassen, sähen wir heute anders aus. Nur indem sie für uns ausprobierten, welcher Körperbau sich am besten in der Praxis bewährt, mit welchem Steiß optimal gesessen werden kann, mit welchem Fuß sich Bälle am geschicktesten treten lassen, wurden wir zu jener überlegenen Erfolgsspezies, die wir noch immer sind. Mit anderen Worten: Hätten unsere Vorfahren sich nicht zur Behandlung in Dr. Frankensteins Evolutionslabor begeben, müssten wir heute mit Hyänen ums Aas kämpfen, statt einfach Tiefkühllasagne in den Ofen zu schieben.

Das Geheimnis dieses Riesenerfolges steckt in den Humangenen. Weniger als zwei Prozent des Erbguts moderner Menschen unterscheiden sich von dem seiner nächsten Verwandten – Schimpansen und Asylkritikern. In diesen wenigen Spezialerbinformationen liegen alle Eigenschaften begründet, die Homo sapiens gegenüber seiner zurückgebliebenen Stammbaumsippschaft auszeichnen. Was wie eine Tautologie klingt, ist in Wahrheit topseriöser Wissenschaftsjournalismus – Millionen bunter Doppelhelixgrafiken können nicht irren.

Und doch kann keine molekulare Analyse offene Augen und Ohren bei der Suche nach neuer Erkenntnis ersetzen. Was würden die Knochen erzählen, wenn sie sprechen könnten? Forscher sind sicher, dass es Grunzer und Urlaute wären, die kein heute Lebender verstünde und die wahrscheinlich nichts bedeuteten. Am Ende ist auch der neu entdeckte Homo naledi nur Puzzlestück eines großen Ganzen, das bei allem Interesse an Fachfragen nicht aus den Augen verloren werden sollte. Nun ist es an der Wissenschaft, dieses Stück an der richtigen Stelle im ewigen Malefizspiel der Menschheitsgeschichte einzusetzen.

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kari

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