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Krieg im Wahlkampf

Intervention Dass die Schweiz im Oktober wählt, ist weniger wichtig. Dass die EU dabei zu militärischen Engagement aufgefordert wird, dagegen schon

Rudolf Walther

ist freier Publizist und lebt in Frankfurt am Main. Dieses Jahr erschien im Oktober Verlag Münster der neue, inzwischen schon vierte Band mit seinen Essays, Kommentaren und Glossen: „Aufgreifen, begreifen, angreifen“.

Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, heißt es sprichwörtlich. In Zeiten von Wahlkämpfen und humanitären Katastrophen wird die Vernunft vielerorts eingeschläfert, während Monströses an die mediale Oberfläche gespült wird. Wen berührte nicht der seit vier Jahren andauernde Bürgerkrieg in Syrien, der Hunderttausende von Syrern – Frauen, Kinder und Männer – zu Flüchtlingen macht? Die Flüchtlinge aus Syrien fliehen vor den Bomben des diktatorischen Assad-Regimes ebenso wie vor den brutalen Racheakten von ferngesteuerten Bürgerkriegsarmen und den Schandtaten der Terrorbanden des Islamischen Staats.

Ruf nach dem Luftkrieg

In solchen moralisch wie politisch schwer erträglichen Situationen wird der Ruf nach militärischen Interventionen notorisch immer schriller, obwohl solche Interventionen völkerrechtlich höchst umstritten und die Resultate des militärischen Eingreifens in Somalia über Mali, Libyen, Syrien, Afghanistan bis in den Irak alles andere als zufriedenstellend sind. Von schutz- und friedenbringenden „Erfolgen“ ganz zu schweigen. Bodentruppen will keine halbwegs besonnene politische Führung der Welt nach Syrien schicken.

Der populäre, aber unreflektierte Ruf nach militärischem „Schutz“ aus der Luft mit Kampfflugzeugen und Drohnen endet oft nur mit buchstäblich tödlichen Luftnummern und immensen „Kollateralschäden“ (vgl. taz vom 16. 7. 2015). In Exjugoslawien ermordete oder vertrieb die kroatische Armee Tausende von Serben im Windschatten der Nato-„Politik“ aus der Luft.

Am 18. Oktober werden die beiden Kammern des Schweizer Parlaments neu gewählt. Überraschungen sind dabei nicht zu erwarten, deshalb dümpelt der Wahlkampf der Parteien vor sich hin, wenn man einmal von den hetzerischen Parolen der SVP, der „Volkspartei“ des Populisten Christoph Blocher, absieht: „Zuwanderung begrenzen! Missbräuche im Asylwesen beseitigen! Kriminelle Ausländer ausschaffen! Anschluss an die EU verhindern!“

Einen rundum aparten Beitrag zum Schweizer Wahlkampf erlaubte sich die NZZ am Sonntag (13. 9. 2015). Ihr Chefredakteur Felix M. Müller drehte den Spieß einfach um und machte eine andere Front auf: Während die SVP und andere Schweizer Berufspatrioten den Jahrestag der Niederlage der eidgenössischen Söldner in der Schlacht von Marignano (1515) als vermeintlichen Beginn der glorreichen „schweizerischen Neutralität“ feiern, trommelt Müller für eine militärische Intervention in Syrien.

Historisch ist die Vorverlegung der Schweizer Neutralität ins 16. Jahrhundert reiner Humbug. Die Schweiz existierte damals noch über 300 Jahre lang gar nicht, und die Schlacht markierte nicht den Anfang der Neutralität, sondern den Beginn der Epoche des exklusiven Zugriffs des französischen Königs auf Schweizer Bauernsöhne als Söldner. Der patriotische Chauvinismus verdrehte das Söldnerbündnis mit Frankreich einfach zum Beginn der Neutralität.

Müllers Forderung nach einer Intervention zielt jedoch nicht auf die Schweiz, sondern auf die EU und insbesondere die deutsche Außenpolitik. Dieser wirft er vor, sie beschränke sich auf „Diplomatie, Gespräche, Vermittlung“ und „Angela Merkel“ telefoniere „lieber dreißigmal mit Wladimir Putin, […] als dass sie nur schon einige Militärberater nach Kiew schicken würde“. Der „Einsatz militärischer Mittel“ versetze Deutschland – so Müller – „rasch in overdrive“, wie bei der Intervention in Libyen, als Deutschland „Spitalbetten für mögliche Kriegsopfer“ statt Kampfflugzeuge angeboten habe.

Stahlhelm statt Hirn

Wer sein Hirn durch den Stahlhelm ersetzt und mental auf Militärkopf umstellt, gerät schnell ins Abseits. Müller beklagt das zu kleine Militärbudget der BRD, das Frankreich und Großbritannien die „kriegerische Hardware“ in Libyen, im Irak, in Mali überlassen habe. Müller befürchtet, dass nach dem wirtschaftlichen Niedergang Frankreichs und Großbritanniens, die sich militärische Interventionen immer weniger leisten könnten, eine „Verschweizerung der EU-Außenpolitik“ drohe. Er fordert deshalb „militärische Mittel“ für die Befriedung der Krisenherde. Das hat zwar noch fast nie und nirgends funktioniert, aber für Journalisten und Politiker, die sich in militärische Kommandostrukturen hineinfantasieren, entspringen die „politischen“ Problemlösungen quasi automatisch Kampfflugzeugen, Panzern und Kanonen.

„Verschweizerung“ Europas

Der Züricher Chefredakteur ist für Militäreinsätze in Syrien – natürlich ohne Schweizer Soldaten

Dass Müller die kluge Abdichtung der deutschen Außenpolitik gegen den Wahn militaristischer Hausrezepte als „Verschweizerung“ herabsetzt, ist pikant. Mit Berufung auf die 1815 von den europäischen Großmächten garantierte „Neutralität“ hielt sich die Schweiz seit 1848 aus militärischen Konflikten heraus. Nun plädiert der Chefredakteur der NZZ am Sonntag für Militäreinsätze in Syrien – natürlich ohne Schweizer Soldaten. Doppelmoral gehört zum Geschäft.

Skandalös ist jedoch die Übernahme des Begriffs „Verschweizerung“ für die vernünftige außenpolitische und militärische Zurückhaltung der EU und Deutschlands. Den Begriff „Verschweizerung“ gebrauchte der große deutsche Soziologe Max Weber in seiner deutsch-nationalen Phase, als er den Ersten Weltkrieg zum „heiligen Volkskrieg“ verklärte und ihm „die Weihe eines deutschen Kriegs“ andichtete. Schon 1895 träumte Weber von „einer deutschen Weltmachtpolitik“. 1915 schwadronierte er von „Herrenvolk“ und „Machtstaat“ auf der einen, „Polentum“ und „Verschweizerung“ auf der anderen Seite.

Die Denunziation von vernünftiger, auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten gestützter Außenpolitik als „Verschweizerung“ ist historisch ahnungslos und politisch gemeingefährlich. Für die vernünftige deutsche Außenpolitik hat der Chefredakteur aus Zürich nur hämischen Spott übrig: „Die Verschweizerung Europas hat ihren Preis. Anders gesagt: Die EU ist nicht folgenlos eine Großmacht mit Friedensnobelpreis.“ Im Klartext: Müller demontiert sich selbst als ernstzunehmenden Kommentator und die besseren Tradi­tio­nen eidgenössischer Politik gleich mit. Qualitätsjournalismus, den die NZZ seit 1780 beschwört, sieht etwas anders aus. Rudolf Walther

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