piwik no script img

ENDE Ludwig Minelli leistet in der Schweiz Sterbehilfe – was schwieriger ist, als man denkt. Er plädiert dafür, dass Suizide enttabuisiert werden. Denn viele misslingen. Und ziehen hohe Folgekosten nach sich„Bei uns zu sterben ist kompliziert“

Gespräch Waltraud Schwab

Eines Tages stand Ludwig A. Minelli plötzlich im taz-Café. 1998 hatte er die Sterbehilfeorganisation Dignitas in der Schweiz gegründet, war 2005 Mitgründer von Dignitas Deutschland in Hannover. Als streitbarer Mensch kommt er oft nach Berlin, um darüber aufzuklären. Hierzulande will die Regierung noch in diesem Herbst ein Gesetz zu Suizidbegleitung vorlegen. Tendenz: Sie soll reglementiert, wenn nicht gar verboten werden. „Ich bin hier, wenn Sie mit mir sprechen wollen“, sagt Minelli.

taz.am wochenende: Herr Minelli, ist der Tod eine Riesenkränkung am Ende des Lebens?

Ludwig Minelli: Für mich nicht, für mich ist es gewissermaßen die Vollendung.

Wie kommt man zu so einer versöhnlichen Einstellung?

Ich glaube, Spuren hinterlassen zu haben. Ich habe mich eingesetzt für andere Menschen, dann kann ich getrost abtreten.

Sie meinen, wenn man Spuren hinterlassen hat, ist der Tod die Vollendung?

In der Regel hat ein Mensch im Laufe seines Lebens Beziehungen aufgebaut, Freundschaften, Kinder, Enkel – das sind auch Spuren. Man ist nicht auf dieser Erde, ohne etwas geleistet zu haben; schon das Leben zu meistern ist eine Leistung.

Wenn Sie „Vollendung“ sagen, klingt das aber nach Höhepunkt, nach Crescendo.

Es ist der Abschluss. Es ist eine fast banale Feststellung, dass wir gehen müssen. Manche früher, manche später. Im Tod ist kein Sinn.

Deshalb die Frage nach der Kränkung.

Ich sag Ihnen mal was: Es ist eine Kränkung, dass Thomas Mann gestorben ist, ohne „Felix Krull“ zu Ende geschrieben zu haben.

Das ist natürlich eine Wendung: der Tod als Kränkung für die, die überleben. Sie haben Dignitas in der Schweiz gegründet. Ist der selbst gewählte Tod auch eine Kränkung für andere?

Kann sein. Deshalb legen wir bei Dignitas den Leuten, die ihr Leben beenden wollen, nahe, ihre Angehörigen einzubeziehen. Dann können diese erst dagegen sein, es dann aber nach und nach verstehen und Trauerarbeit im Voraus leisten. Es ist wichtig, dass die Überlebenden nicht an offenen Fragen leiden. Wir schreiben das aber nicht vor; wir legen es nahe. Die Linie zwischen Paternalismus und Freiheit ist dünn.

Wie alt sind die Leute in der Regel, die zu Dignitas kommen?

Eher älter. Es kommen aber auch Jüngere. Zum Beispiel ein Junge, der ins Wasser sprang und querschnittgelähmt war. Ich will so nicht weiter leben, sagte er. Ich sagte: Es gibt eine ganze Menge Leute, die haben es geschafft, versuchen Sie es doch. Ein Dreivierteljahr später kam er: Ich halte es nicht mehr aus. Oder ein junger Journalist aus Cork, Irland. Er hatte multiple Sklerose, konnte sich am Ende kaum mehr bewegen. Aber das sind Ausnahmen. In der Regel kommen Ältere mit schweren Krebserkrankungen oder neurologischen Erkrankungen, Muskelschwund etwa.

Sprechen Sie mit jedem, der sich an Sie wendet?

Das ist nicht mehr möglich; wir sind als Organisation gewachsen, haben 20 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ein Mensch stellt ein Gesuch, er muss es begründen, schickt einen Lebenslauf, Arztberichte, Gutachten. Wenn es formell korrekt ist, legen wir es einem in der Schweiz niedergelassenen Arzt vor und fragen, ob er grundsätzlich bereit wäre, ein Rezept für das Medikament – es ist Natrium-Pentobarbital – in tödlicher Dosis auszustellen. Wir entscheiden nichts; wir bestimmen nicht über Leben oder Tod. Erst wenn der Arzt zustimmt, können wir die Freitodbegleitung anbieten. Sagt der Arzt Nein, gibt es keine Freitodbegleitung.

Vorher gaben Sie das Stichwort „Paternalismus“. Da kommt jemand, der nicht mehr leben will, zu einer Organisation, in der Menschen ihm dann bestätigen, dass seine Situation den Freitod als gerechtfertigt erscheinen lässt. Trifft „Paternalismus“ da nicht zu?

Ludwig A. Minelli

Der Journalist:Ludwig Amadeus Minelli, 1932 in Zürich geboren, war Journalist und unter anderem auch von 1964 bis 1974 der erste Schweiz-Korrespondent des Spiegel.

Der Rechtsanwalt:Minelli war 44 Jahre alt, als er noch ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich begann. Er habe ein Naturell, Schwächeren zu helfen, und erst spät verstanden, dass es von Vorteil ist, wenn man dafür Jurist ist, sagt er. Mit 54 Jahren wurde er Anwalt. Sein Schwerpunkt: Menschenrechte. Er hat bedeutende Urteile zur Verbes­serung der Lebensbedingungen von Strafgefangenen in der Schweiz erkämpft. Lange war er Rechtsberater von Geschäfts­führern der Sterbehilfeorgani­sation Exit.

Der Gründer: Nach einem Richtungsstreit mit Exit gründete er 1998 Dignitas. Anders als die Mehrheit bei Exit war er der Meinung, dass eine Sterbehilfeorganisation sich auch um die Suizidprävention kümmern müsse.

Die Tatsache, dass es Dignitas gibt, zeigt, dass das Gesundheitswesen nicht funktioniert. Kein Mensch würde uns anrufen, wenn er mit seinem Hausarzt offen über die Möglichkeiten sprechen könnte, die es gibt: etwa über Palliativmedizin, über passive Sterbehilfe, wenn Patientenverfügungen vorliegen, über Freitodbegleitung, ärztliche Lebensbeendigung auf Verlangen wie in den Niederlanden, Beendigung lebens­erhaltender Maßnahmen. Würde das Hausarztsystem funktionieren, bräuchte es so eine Organisation wie die unsere nicht. Wir nehmen eine neutrale Position ein.

Wie kann man angesichts des Todeswunsches neutral sein?

Neutral bedeutet, dass wir weder gegen noch für den begleiteten Suizid sprechen.

Ist es keine Positionierung, wenn man das Setting für Freitodbegleitung bietet?

Vermutlich nicht. Wenn jemand sterben will, hat er meist nicht die Möglichkeit, sich mit anderen darüber auszutauschen.

Wieso nicht?

Weil es ein Tabu ist. Das ist der Grund, warum wir sagen, dass wir eine ergebnisoffene Beratung anbieten. Wenn es für das Problem, das den Menschen an Tod denken lässt, eine realistische Lösung in Richtung Leben gibt, wird sich der Mensch in der Regel dafür entscheiden.

Was macht einen begleiteten Freitod leichter als einen ohne Begleitung?

Das ist einfach: Auf einen gelungen Freitod kommen – je nach wissenschaftlicher Untersuchung – 9 bis 49 gescheiterte Suizidversuche. Viele Leute, die einen misslungen Suizidversuch hinter sich haben, sind danach schwer geschädigt. Zu früh Gefundene, die sich erhängen wollten, haben Gehirnschäden. Menschen, die sich vor einen Zug warfen und überlebten, sind oft verstümmelt, Leute, die sich mit Schlafmitteln und Wodka in die Kälte legten, aber zu früh gefunden wurden, verlieren Arme und Beine. Die Folgekosten sind enorm. Für Deutschland mit jährlich rund 10.000 Suiziden bedeutet das, dass man mit bis zu 490.000 gescheiterten Suizidversuchen im Jahr rechnen muss.

Ist Ihre Überlegung also: Wenn jemand, der den Freitod sucht, weiß, dass es einen Ort gibt, wo er sicher in den Tod geführt wird, sinkt die Zahl der Freitodversuche, aber auch der Freitode insgesamt.

Ja.

Bewahrheitet sich das am Sinken der Zahl von Suiziden?

Die Suizidzahl in der Schweiz ist konstant rückläufig, seit Suizidbegleitung ermöglicht wird.

Sterbehilfe ist ein polarisierendes Thema: Ist man dafür? Ist man dagegen? Ist man sowohl dafür als auch dagegen?

Die Frage stellt sich anders: Ist man damit einverstanden, dass jeder selbst entscheiden soll, wann und wie er das Leben beenden will? Und wenn er nicht bis zum natürlichen Tod warten will, gesteht man ihm zu, dass er dazu Hilfe in Anspruch nehmen darf? Weil wir wissen, dass die Folgekosten bei misslungenen Suizidversuchen enorm sind, stellt sich die Frage: Gesteht man den anderen Menschen die Freiheit zu, das zu tun, oder nicht – und darf, wer die Hilfe leisten will, sie auch leisten?

Sie sagen, dass die Folgekosten misslungener Selbstmordversuche sehr hoch sind. Der Selbstmord des Piloten der Germanwings-Maschine im März 2015 hat aber auch enorme Folgekosten.

Wir benutzen das Wort „Selbstmord“ nicht. Wir sagen „Suizid“ oder „Selbsttötung“. Aber zurück zur Frage: Wir können nicht sagen, wenn der Pilot zu Dignitas gekommen wäre, wäre das nicht passiert. Das könnten wir nicht beweisen; aber es besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit Suizidgedanken, der sich mit anderen austauschen kann, eine Lösung zum Leben hin finden kann oder zumindest nicht auch noch andere mit in den Tod reißt. Nur etwa 15 Prozent aller Menschen, die eine Zusage haben, dass wir ihren Freitod begleiten, nehmen eine Freitodbegleitung in Anspruch, 85 Prozent nicht. Es besteht also eine gute Chance fürs Leben, wenn man mit anderen über den Tod sprechen kann. Eigenartig ist allerdings, dass sich niemand, schon gar nicht die Politik, um die gescheiterten Suizidversuche kümmert. 92 Deutsche haben 2013 Dignitas in Anspruch genommen, doch 10.076 Suizide hat es in Deutschland in dem Jahr gegeben, und nach meiner Logik bis zu 490.000 gescheiterte Suizidversuche.

Sie meinen also: Wer Freitodbegleitung verbieten will, kümmert sich um die Menschen, die zu Dignitas kommen, aber nicht um die restliche halbe Million? Aber wie gesichert sind diese Relationen?

1:49 sind Zahlen, die auf amerikanischen Schätzungen des National Institute of Mental Health beruhen und finden sich in einem Bericht der Schweizer Regierung. Die WHO geht als Minimum von neun Suizidversuchen auf einen gelungenen Suizid aus.

Was macht Sie so engagiert, vor allem die Situation in Deutschland verbessern zu wollen?

Mich beelendet es, wenn jemand aus dem Ausland in die Schweiz reisen muss, um seine letzte Freiheit in Anspruch zu nehmen. Das ist nicht menschenwürdig. Menschenwürde und das Recht auf Selbstbestimmung werden verletzt. Man darf „Würde“ nicht nur als Konjunktiv auffassen.

Es klingt, als hätten Sie den Satz schon oft gesagt.

Die Welt hört nicht an der Grenze auf. Die Länder sind so vernetzt, man kann dieses Thema nicht nur als Schweizer oder Holländer oder Deutscher diskutieren. Wir setzen uns weltweit für eine Liberalisierung ein. Wir würden gerne verschwinden. Damit wir aber verschwinden können, muss es überall diese Freiheit geben.

Die Freiheit, zu sterben?

Die Wahlfreiheit.

Wer es nicht erlebt hat, weiß nicht, was es bedeutet, solche Schmerzen zu haben, dass man nur noch die Wahl hat, zu leiden oder zugedröhnt zu sein mit Schmerzmitteln.

Es gibt auch das andere Problem: dass Leute im Alter eine robuste Gesundheit haben, aber einsam sind, oder sie sind bettlägerig, hören oder sehen nicht mehr gut, können am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen. Die Heimsituation in Deutschland ist in weiten Bereichen derart miserabel, da möchte man nicht in die Lage kommen, sie nutzen zu müssen. Aber das Geld, das der Bundestag bereitstellen könnte, reicht hinten und vorne nicht. Das sagt die Deutsche Stiftung Patientenschutz – ein Werk der Malteser –, nicht wir. Die deutschen Politiker gucken nur nach Holland, vermeiden jedoch den Blick in die Schweiz.

Sterbehilfe im Vergleich

In Deutschland:Hier ist passive Sterbehilfe – also das Unterlassen weiterer lebens­erhaltender Maßnahmen bei Schwerkranken – erlaubt, sofern der Patient dies in einer Verfügung oder mündlichen Erklärung wünscht. Auch Beihilfe zum Suizid ist nicht strafbar. Der Betroffene muss den letzten Akt dabei selbst ausführen. Derjenige, der Beihilfe zum Suizid gewährt, kann aber unter Umständen wegen unterlassener Hilfeleistung oder Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz belangt werden. Nun soll die Rechtslage in Deutschland grundsätzlich geändert werden. Dem Bundestag liegen vier Gruppenanträge vor; drei davon wollen sachkundige Beihilfe zum Suizid verbieten. Diese Tendenz wird von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe unterstützt.

In der Schweiz: Es gibt zwei Sterbehilfeorganisationen – Exit und Dignitas – mit zusammen mehr als 110.000 Mitgliedern. Beihilfe zum Suizid darf legal geleistet werden. Sie wird nur bestraft, wenn selbstsüchtige Motive vorhanden sind. Solche Fälle aber sind bisher nicht bekannt.

Zahlen: Die WHO schätzt, dass jeder zehnte Suizid gelingt. Das Mental Health Institute gab eine Zahl an, die fünfmal so hoch war, dies allerdings in den 1970er Jahren. In Deutschland kam 2013 auf 8.000 Einwohner ein Suizid, in der Schweiz war es im selben Jahr ein Suizid auf 10.250 Einwohner. Die Anzahl ist dort seit Jahren rückläufig, in Deutschland eher konstant. Grundsätzlich kann man sagen, dass deutlich mehr Menschen durch Selbsttötung sterben als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und Aids zusammen.

In Holland ist aktive Sterbehilfe für Schwerkranke erlaubt.

In der Schweiz ist aktive Sterbehilfe – wie in Deutschland – verboten. Doch jeder Mensch besitzt die Wahlfreiheit, sein Leben in einem geschützten Umfeld zu beenden. Die Schweiz weist die niedrigste Rate von Todesfällen durch Sterbehilfe auf: 0,9 Prozent aller Sterbefälle von Menschen, die in der Schweiz wohnen. In Holland, wo nur Ärzte Sterbehilfe leisten dürfen, dort aber auch als Tötung auf Verlangen des Betroffenen, liegt die Quote bei über 3 Prozent.

Was, finden Sie, sollte in Deutschland geregelt werden?

Montesquieu, der Vater der europäischen Gesetzgebungslehre, sagte: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen. Ich sehe bisher in Deutschland nirgends den Nachweis einer Notwendigkeit.

Sie meinen ein Gesetz, das Sterbehilfe regelt?

Zu den etwa 100 Deutschen, die pro Jahr in die Schweiz kommen, kommen in Deutschland selbst vielleicht 200 Menschen, denen bei einem Suizid geholfen wird, teils durch den Verein Sterbehilfe Deutschland e. V. oder durch Ärzte oder andere Helfer – das wären dann 300 Sterbefälle durch assistierten Suizid bei rund 895.000 Sterbefällen.

Halten Sie die Vorstöße im Bundestag demnach für Symbolpolitik?

Sieht jedenfalls so aus, als wären der deutschen Politik die Menschen egal, und die misslungenen Suizide sind ihnen erst recht egal. Suizidversuche sind als Thema und Forschungsgegenstand tabu. Wenn es kein Tabu wäre, dann würden Eltern am Mittagstisch mit ihren Kindern darüber sprechen, dass man im Laufe eines Lebens in Situationen kommen kann, in welchen man nicht mehr leben will, und dass man sich dann jemanden suchen soll, mit dem man darüber offen sprechen kann. Das wäre die beste suizidversuchsprophylaktische Maßnahme.

Was ist das größte Missverständnis, wenn es um Freitodbegleitung geht?

Dass Leute meinen, sie können anrufen und am nächsten Tag vorbeikommen, um zu sterben. Bei uns zu sterben ist kompliziert und langwierig Wir stellen immer wieder fest, dass Menschen viel zu spät – etwa im Endstadium einer Krebserkrankung – bei uns anrufen. Oft müssen wir ihnen dann sagen: Die Zeit, die Ihnen bleibt, wird vermutlich nicht reichen. Es gibt auch Menschen, die anreisen, aber sie sind am Ende zu schwach, um den letzten Akt selber zu vollziehen. Dann müssen wir ihnen die Palliativmedizin empfehlen.

Über die Entscheidung „Etwa 85 Prozent von denen, die es könnten, ­nehmen unsere Freitodbegleitung am Ende gar nicht in Anspruch. Es besteht also eine gute Chance fürs Leben, wenn man über den Tod sprechen kann“

Was kostet eine Freitodbegleitung?

Abgesehen von den Mitgliedsbeiträgen für Dignitas müssen Mitglieder, die eine Freitodbegleitung wünschen, mit etwa 10.500 Euro rechnen für die Vorbereitung, die Arztkosten, die Begleitung und die Fremddienstleister wie Bestatter und Krematorium. Menschen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen können Ermäßigung oder Erlass dieser Beiträge beantragen, und wir gewähren dies auch immer wieder.

Warum engagieren Sie sich so?

Als Zwölfjähriger war ich Schüler in einer Zwergschule auf dem Land. Ein Hilfslehrer schlug einen jüngeren Klassenkameraden mit dem hölzernen Lineal. Ich lief sofort zum nächsten Bauern, von dem ich wusste, dass er Mitglied der Schulbehörde war, um mich darüber zu beschweren. Ich habe ein Naturell, Schwächeren zu helfen. Ich habe später gemerkt, dass man dazu Jurist sein sollte. Deshalb habe ich mit 44 Jahren noch studiert und wurde mit 54 Jahren Anwalt, Menschenrechtsanwalt. Ich habe einiges am Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg erreicht. Etwa gegen Rentenungerechtigkeiten, Invalidenrentenungerechtigkeiten, Geschlechterdiskriminierung.

Das erklärt nicht, wie Sie zur Suizidbegleitung kamen.

Ich war als Rechtsberater für zwei Geschäftsführer von Exit tätig. So bin ich dazu gekommen. Persönlich habe ich auch erlebt, wie meine Großmutter mütterlicherseits, die an einer Niereninsuffizienz litt, auf dem Sterbebett zum Arzt sagte: Könnten Sie nicht machen, dass es schneller geht? Da sagte er, das dürfe er nicht. Aber er könne alles tun, damit es nicht länger geht. Das Erste fand ich falsch, schon damals. Das Zweite fand ich richtig.

Und wie möchten Sie sterben?

Ähnlich wie meine andere Großmutter. Die hat der Schlag getroffen, mitten in ihren Blumenbeeten. Diesen Tod wünscht sich im Prinzip jeder, doch den wenigsten wird das beschieden sein.

Waltraud Schwab ist Redakteurin der taz.am wochenende

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen