piwik no script img

Der gute alte Langhaarrock

Metal Mit der vollen Schubkraft der Siebziger kommt „Berlin“, das neue Album von Kadavar

Berlin ist keine Metalstadt, ist es nie gewesen. Große deutsche Metalbands kamen immer aus der Provinz, Accept aus Solingen, Sodom aus Gelsenkirchen, die Scorpions aus Hannover. Da passt es nur zu gut ins Bild, dass sich mit Kadavar gerade eine Metalband aus der Hauptstadt anschickt, international so richtig durchzustarten, die gar keine richtige Metalband ist.

Als Vintage- oder Retro-Rock firmiert seit einiger Zeit ein derart Seventies-geschwängerter Sound, den es auch bei Kadavar zu hören gibt. Die schwedische Band Blues Pills kam mit ihrer Variante aus Blues, Psychedelic, Led Zeppelin und Hippie-Look vor Kurzem gar bis in die Top Ten der deutschen Charts. Vin­tage-Rock gilt als Hype der Stunde im Metal-Sektor. Auch Kadavars eben erschienenes drittes Album mit dem Titel „Berlin“ ist auf Anhieb in die Top 20 der deutschen Charts eingestiegen.

Christoph Lindemann, Sänger und Gitarrist des Trios, kann den Erfolg seiner Band noch gar nicht fassen, auch wenn sie bereits vor „Berlin“ international ein Thema war. Mit Wolfmother waren Kadavar auf Welttournee, Dave Wyndorf, Kopf der Space-Rock-Band Monster Magnet, outete sich schon nach Hören der ersten Demos als Fan der Berliner. „Auf einem unserer Konzerte in New York wollte er sogar ein T-Shirt von uns haben“, erzählt Lindemann, der vor Kurzem noch im White Trash und in der 8mm-Bar jobbte. Doch daran, sagt er, sei jetzt nicht mehr zu denken, der Erfolg seiner Band sei einfach zu groß.

Ein Look zum Verlieben

Allein schon in den Look der Jungs von Kadavar kann man sich auf Anhieb verlieben. Alle drei haben eine irre Langhaar-plus-Vollbart-Kombination auf dem Kopf. Mehr Rock-Style geht nicht. Auch beim Treffen in einer Kreuzberger Rockerkneipe sieht Lindemann ganz so aus wie der Rock-Dude, der seine Harley vor der Tür geparkt hat und nach dem Gespräch mit zwei Bikini-Girls im Arm den Raum verlässt. Er entpuppt sich dann aber als der supernette Typ aus Neukölln, der nicht vergessen hat, dass er in Berlin lebt und nicht in L. A. „Ich fahre kein Motorrad, sondern Fahrrad“, sagt er.

Dieses Berlin-Ding, das Kadavar auch mit dem Titel ihrer Platte so betonen, ist sowieso interessant bei der Band. Denn hört man deren Musik, diese Stonerrock-Riffs der Marke Kyuss, diesen schweren und doch treibenden Hardrock, denkt man automatisch an amerikanische Highways, Kakteen und Klapperschlangen in der Wüste und tausend weitere Klischees aus der Rock- und Metalwelt. An was man als wirklich Allerletztes denkt, ist dagegen: Berlin.

Lindemann aber hält tapfer dagegen: „Eine Inspiration für uns ist Krautrock, etwa Ash Ra Tempel und Tangerine Dream. Damit ist auch eine Musiktradition Berlins für uns wichtig.“ Am Ende der Platte singt Lindemann eine Coverversion von Nicos „Reich der Träume“, auf Deutsch. Nico, einst Sängerin von Velvet Underground und Rockikone, liegt in Berlin begraben.

Vielleicht ist Berlin ja mehr Rock- und Metalstadt, als man ahnte. Christoph Lindemann glaubt das unbedingt. „Metal“, sagt er, „ist hier eben noch mehr so ein Underground-Ding.“ Dass das weitgehend unterhalb des medialen Radars stattfindet, kann man schon daran erkennen, dass der rasante Aufstieg von Kadavar zum internationalen Rock­export von der lokalen Journaille ziemlich verpennt wurde. Selbst wenn die Band zuletzt 1.300 Besucher ins Astra locken konnte.

Außerdem gibt es eine richtige Szene von Metalbands in Berlin. Lindemann nennt nur ein paar befreundete Bands, von denen er viel hält. Etwa die Trashmetalcombo Space Chaser und seiner eigenen Band musikalisch näher stehende Formationen wie Rotor und Samsara Blues Experiment. Auch von Rotor ist übrigens soeben was Neues erschienen, Dave Wyndorf hat es vielleicht sogar schon gehört. Andreas Hartmann

Kadavar: „Berlin“ (Nuclear Blast), Live 18. 12., Astra

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen