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Brachiale Gefühlsdemontage

ROCK Die Melvins beackern seit über dreißig Jahren störrisch ihr eigenes Feld und verbinden tonnenschweren Noiserock mit schwer zu fassender Meta-Ebene

Bürgerlich? Buzz Osborn ist seit 32 Jahren das grimmig-humorvolle Gesicht der Melvins mit zuverlässig herausragender Frisur   Foto: M. Osborne

von Benjamin Moldenhauer

Wer sich in seiner Jugend und meist auch noch weit drüber hinaus über die Musik im eigenen Schrank definiert, hat Platten und Konzerte in seiner Erinnerung abgespeichert, die als lebensverändernd wahrgenommen werden. Damals ganz unmittelbar, im Verbund mit einer heftigen Euphorisierung, retrospektiv als – eingelöstes oder uneingelöstes – Versprechen: Musik, die überzeugend behauptete, dass man nicht zwangsläufig ein bürgerliches Wesen werden muss.

Eine Hoffnung auf ein intensiveres Leben, die sich als Musik und beim Hörer in veritablen Epiphanie-Erfahrungen realisierte. Weniger gespreizt hat es der Pop-Theoretiker Martin Büsser in seiner Erinnerung an einen Nomeansno-Gig in Nieder Olm beschrieben: „Nachdem ich Nomeansno gesehen hatte, wurde mir klar, daß es das Recht einer jeden Generation ist, den Punk für sich neu zu erfinden, ihn für sich ganz alleine zu erschaffen.“ Die Epiphanie: „Sprachlosigkeit breitete sich aus, denn diese Musik war wirklich neu. Sie war anders. Sie war das, wonach wir alle gierten: das bislang Ungehörte.“

Den Melvins, schreibt Büsser, sei es gleichfalls gelungen, etwas für ihn bis dahin Ungehörtes zu schaffen, bei einem Konzert 1991 in der deutschen Provinz. Ihr Ruf war der Band vorausgeeilt: langsamer als Saint Vitus, lauter als die Swans. „Ihr Tosen hatte an diesem Abend etwas Wagnerianisches“, erinnert sich Büsser. „Ein Wahnsinn zwischen Ende und Neubeginn, wie ihn Künstler einmal erträumt haben müssen zu einer Zeit, in der mehr Manifeste als Gedichte geschrieben wurden.“

Die Gitarren dröhnten, das ohrenbetäubende Amalgam aus tiefgestimmtem Brachialmetal und extrem verlangsamten Hardcore war in der Rocktradition verankert – „Wir verhalten uns zu Led Zeppelin so wie sich Led Zeppelin zum Blues verhalten haben“, postulierte Mike Dillard, der erste Drummer der Melvins. Aber das „Gedonner der Melvins in dieser Nacht war bereits ein Fanal auf ihren Untergang“ (Martin Büsser) – also auf den Untergang der Rockmusik, nicht den der Melvins. Die blieben, dem selbst herbeigeführten Ende des eigenen Genres zum Trotz, erstaunlich konstant. Die meisten ihrer Platten, in einer der Sache angemessenen Lautstärke gespielt, haben etwas berückend Niederdrückendes. Trotzdem klingt die Meta-Ebene immer durch: Dieser Musik haftet, auch wenn sie einen mittels Noise und schwerer Rhythmik körperlich umhauen möchte, in ihrer stoischen Repetitivität etwas befremdlich Unemotionales und Abstraktes an – eine „Gefühlsdemontage“, schreibt Büsser, und damit Anti-Rock, also Dekonstruktion statt Euphorie.

Die Melvins zehren von einer unbeirrbaren Störrigkeit

Die zwei Bandkonstanten Dale Crover (Schlagzeug) und King Buzzo (Gitarre und Gesang) haben einfach kontinuierlich weitergemacht. Das hat, trotz aller Experimente und bizarren Komik der Musik, durchaus etwas Wertkonservatives. Als sich im Zuge von Grunge (und nachdem Kurt Cobain in jedem zweiten Interview die Melvins als seine Lieblingsband genannt hatte) ein Major-Deal und erste Anzeichen von kommerziellem Erfolg einstellten, konnte das Schlimmste verhindert werden, indem die Band eine komplett unhörbare Platte aufnahm („Prick“ ist der Titel, der Leserin zur Warnung).

Die inzwischen etwas weniger fiese, aber wo nötig noch immer tonnenschwere Musik wird seit circa zehn Jahren mit Kooperationen angereichert, die mal mehr (Lustmord) mal weniger (Jello Biafra von den Dead Kennedys) unwahrscheinlich ausfallen. Von 2006 an tourte man eine Weile mit dem Drummer und dem Bassisten der Sludge-Band Big Business, live war ein schon unheimlich synchrones Getrommel zweier Schlagzeuger zu bestaunen. Für die aktuelle Platte „Hold it in“ hat man sich Phil Leary und JD Pinkus von den Butthole Surfers eingeladen, einer weiteren unverwüstlichen Band der 80er und 90er, um eine Reihe treibender, verschrobener Stücke aufzunehmen. Am Mittwoch spielen die erweiterten Melvins im Lagerhaus.

Wenn der Punk seine Energie aus dem Gestus von Vitalismus und Exzess speiste, zehren die Melvins von einer unbeirrbaren Störrigkeit. Radikaler Eigensinn ist auch eine Möglichkeit, um davonzukommen. Man kann sich anhand der jeweils aktuellen Melvins-Platte vergewissern, dass eine Verweigerungshaltung, die sich in Musik manifestiert, durchzuhalten ist. Mehr kann man unter den aktuellen Bedingungen wohl nicht erwarten.

Mittwoch, 19.30 Uhr, im Saal des Lagerhaus

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