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Nazi-Aufmarsch endet auf dem Dorf

ZIVILCOURAGE Fast 30.000 Menschen gehen in Hamburg gegen den Marsch von Neonazis und Hooligans zum „Tag der deutschen Patrioten“ auf die Straße. Der Versuch, in Bremen zu marschieren, scheitert. Dafür Schrecken bei Integrationsfest in Kirchweyhe

von Peter Müller, Andreas Speit und Andrea Röpke

Von Angesicht zu Angesicht standen sie sich gegenüber: Die Besucher des interkulturellen Familienfests und die Rechtsextremen. In niedersächsichen Kirchweyhe konnten militante Rechte und Hooligans am Samstag aufmarschieren. „Wir hatten Angst“, sagte Isa Cifdci, Vizevorsitzender des Integrationsbeirats in Kirchweyhe.

In der Polizeimeldung ist lediglich von einer Kundgebung die Rede. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass bis zu 200 Nazis und Hooligans sich nicht bloß vom Bahnhof zum Marktplatz bewegten, sondern dort auf dem Platz das Fest massiv störten. Die Gäste mussten sich hinter Zelten und Absperrungsgittern verschanzen, als der Tross skandierte: „Deutschland den Deutschen“, „Hop, hop, hop, Asylantenstopp“. Nur drei bis vier Polizisten seien anfänglich anwesend gewesen, berichtet Frank Seidel, einer der Organisatoren. Man fürchtete die Hooligans könnten in die Zeltstadt eindringen. Bevor die Rechten eintrafen, soll die Polizei die Veranstalter gebeten haben, die Musik auszuschalten und die Rechten „nicht zu provozieren“.

Nachdem die Polizei Verstärkung bekommen hatte, stellte sie von über 60 Rechten die Personalien fest. Das Fest musste abgebrochen werden. Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) erklärte am selben Tag via Facebook, das Fest werde selbstverständlich nachgeholt.

„Wenn wir wegen des von uns aufgebauten Drucks als äußerst gewalttätig dargestellt werden, bitte“

Cornelia Kerth, Hamburger Bündnis gegen Rechts

Es ist keine Überraschung, dass die rechte Szene via Twitter die Aktion in der niedersächsischen Gemeinde besonders feiert. Im Norden waren zuvor alle Bemühungen gescheitert, den in letzter Instanz vom Bundesverfassungsgericht verboteten „Tag der deutschen Patrioten“ (TddP) durchzuführen.

Stattdessen demonstrierten mehr als 14.000 AntifaschistInnen vom Hauptbahnhof durch die City. „Wir sind die Zivilgesellschaft“, begrüßte Cornelia Kerth vom 630 Organisationen umfassenden „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ die DemonstrantInnen und erklärte, dass durch „unser aller Druck“ das Verbot des TddP bis zur letzten Instanz hielt. „Wenn wir deswegen als äußerst gewalttätig dargestellt werden, bitte“, sagt sie weiter, aber „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Die täglichen Brandschläge auf Flüchtlingsunterkünfte belegten das.

Kurz nach 10.30 Uhr wies das Bündnis aber auf eine Bahnverbindung nach Bremen hin. Denn dort versuchte das Netzwerk des TddP seine Aktion doch noch durchzuführen. Im Bahnhof provozierten dabei 30 Rechte eine Gruppe linker Aktivisten. Sie wurden von der Bundespolizei in Gewahrsam genommen. Linke AktivistInnen sollen Steine auf einen Zug geworfen haben. Die Bahn stellte später auf Weisung der Bundespolizei für mehrere Stunden den Zugverkehr ein. Leidtragende waren zahlreiche Flüchtlinge, die ihren Weg nach Norden nicht fortsetzen konnten.

Am Bremer Hauptbahnhof setzte die Polizei unterdessen an die 100 Rechte fest – unter Verweis darauf, dass auch Ersatzveranstaltungen verboten sind. Die Polizei riegelte den Bahnhof ab und beendete den Wochenmarkt auf dem Domshof vorzeitig. Auch aus Hamburg später anreisende AntifaschistInnen setzte die Polizei fest. Später kamen 500 Menschen zu einer Spontandemonstration zusammen und riefen „Wo, wo, wo wart ihr in Heidenau?“

Auf dem Hamburger Rathausmarkt fand zeitgleich eine Kundgebung von „Hamburg bekennt Farbe“ statt. An die 8.000 Menschen hörten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zu, der erklärte, Hamburg stehe wegen der Flüchtlinge „vor einer großen Aufgabe“, aber viele Bürger gingen „diese Aufgabe mutig und mit ganzen Herzen“ an.

Mittags drohte die Situation zeitweilig zu eskalieren, als die Polizei wiederholt drohte, eine Versammlung vor dem Hauptbahnhof aufzulösen. Schließlich wurde eine Kundgebung doch gestattet. Die Verantwortung für die Ausschreitungen liege nicht bei ihnen, sagte eine Sprecherin der etwa 1.000 DemonstrantInnen: „Es sind nur die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt worden. Für Nazis ist heute Hamburg Tabu.“

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