Berlinmusik

Schläge wie Laserstrahlen

Christian Lillinger ist ein Phänomen. Das hat nicht nur mit seiner für einen Jazzmusiker ungewöhnlichen Haartracht zu tun, einem Update der guten alten Rockabilly-Tolle. Christian Lillinger ist unter den jüngeren Schlagzeugern in Deutschland einer der international gefragtesten Musiker, und er hat einen Stil entwickelt, der ihn aus der großen Zahl sehr guter „Nachwuchs“-Trommler hierzulande heraushebt.

Dass der 1984 in Lübben im Spreewald geborene Musiker gern Alltagsgegenstände wie Plastikflaschen, Ketten und ein Megafon benutzt, ist dabei weniger entscheidend – das tun einige seiner älteren Kollegen auch schon eine Weile. Bemerkenswert ist vielmehr, was er auf seinen Trommeln und Becken macht, wenn er sie mit ganz konventionellen Schlagstöcken bearbeitet. Lillingers Spiel ist filigran und kontrolliert, zugleich lauert dahinter eine ungeheure Kraft und Impulsivität, die er manchmal nur mit Mühe im Zaum zu halten scheint.

Genau dieses Neben- und Miteinander von minutiöser Detailarbeit und explosionsartiger Heftigkeit, die durch Lillingers nervöse Gestik zusätzlich akzentuiert werden, macht ihn zu einer solchen Ausnahmeerscheinung. Seine Schläge gleichen mitunter Laserstrahlen – hauchfein, doch mit messerscharf gebündelter Energie. Wo es sein muss, dimmt er den Strahl herunter, um die leiseren Passagen nicht kaputtzumachen.

Lillinger ist als Begleiter rundum im Einsatz, gehört seit 2003 zum Berliner Trio Hy­per­active Kid und hat vor sieben Jahren sein eigenes Ensemble Grund gegründet. Zu dessen Besetzung gehören einige der versiertesten Improvisationskünstler in Berlin: die Saxofonisten Pierre Borel und Tobias Delius, der Pianist Achim Kaufmann, der Vibrafonist Christopher Dell und die Bassisten Robert Landfermann und Jonas Westergaard. Das aktuelle Album heißt schlicht „Grund“.

Sämtliche Stücke sind von Lillinger im Alleingang geschrieben, dabei weitet er die Charakeristika seines Spiels auf den Gruppenklang aus. Konzentrierte Spannung trifft auf fein nuancierte Stimmenführung, die stille Momente ebenso kennt wie kollektive Ausbrüche. Lillinger wählt eine freitonale Sprache, fasst sich in seinen Kompositionen, die reichlich Improvisation enthalten, meistens kurz. Drei bis fünf Minuten reichen ihm oft, um etwas zu sagen. Das hat es dann aber in sich.

Tim Caspar Boehme

Christian Lillinger: „Grund“ (Pirouet/NRW), live am 26. 9. Potsdam, Museum, 27. 9. Berlin, Studio Boerne