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„Auch Wirbellose fühlen Leid“

Tierrechte Peta-Sprecher Edmund Haferbeck kritisiert, dass wirbellose Tiere gesetzlich schwächer geschützt sind als Wirbeltiere. Den Verzehr lehnt er grundsätzlich ab

Edmund Haferbeck

57, Agrarwissenschaftler mit Schwerpunkt Tierproduktion, ist Rechts- und Wissenschaftsberater der Tierrechtsorganisation Peta in Stuttgart.

Interview Petra Schellen

taz: Herr Haferbeck, darf man Insekten essen?

Edmund Haferbeck: Da der Verzehr von Tieren laut Tierschutzgesetz nicht unter Strafe steht, sondern zu den „vernünftigen Gründen“ zählt, aus denen man Tieren Schmerz zufügen darf, gilt das auch für Insekten. Aber das ist eine rechtliche Auskunft, keine tierrechtlerische.

Was sagt der Tierrechtler?

Dass Insekten – überhaupt wirbellose Tiere – auch Schmerz empfinden und indirekt durch das Tierschutzgesetz mit geschützt sind. Deshalb lehnen Tierrechtsorganisationen den Verzehr von Insekten grundsätzlich ab.

Inwiefern sind die Wirbellosen „indirekt“ durch das Tierschutzgesetz geschützt?

Auch für sie gilt §18, das Ordnungswidrigkeitengesetz im Tierschutzgesetz. Dort steht, dass ordnungswidrig handelt, wer einem Tier ohne vernünftigen Grund erhebliche Schmerzen, Leiden und Schäden zufügt. Und die Tierschutztransport- sowie die Tierschutzschlachtverordnung enthalten auch Regelungen für Wirbellose wie Krabben und Hummer. Insekten sind dort allerdings noch nicht erfasst.

Aber grundsätzlich wird das Quälen Wirbelloser weniger streng geahndet als das von Wirbeltieren.

Ja, es ist nur eine Ordnungswi­drigkeit, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann.

Die Zahl der Arten, die als schmerzempfindlich gelten, vergrößert sich langsam: Zunächst war es nur der Mensch, dann die Säugetiere, jetzt Fische. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Insekten geschützt sind?

Wir hoffen, dass der Gesetzgeber irgendwann begreift, dass es Handlungsbedarf gibt. Derzeit diskutieren wir über Hummer – gleichfalls wirbellose Tiere. Da ist jahrelang erforscht worden, ob man sie in kochendes Wasser werfen darf. Jetzt ist der Gesetzgeber wohl kurz davor, Regelungen wenigstens für die Tierschutzschlachtverordnung zu treffen. Zu den Insekten ist es aber noch ein weiter Weg.

Verschärft der Klimawandel, der weitere Insekten nach Europa bringt, das Problem?

In der Tat zieht der Klimawandel bestimmte Arten – vor allem wirbellose – stärker nach Europa. Und natürlich ist es ein Reflex, sie zu erschlagen, und das ist in diesem Rahmen zulässig. Wenn man die Mücke mit einer Klatsche erschlägt, geht das schnell, und sie spürt nicht mehr viel. Aber wenn Insekten als Nahrung gelten, stellt sich das Tötungsproblem viel systematischer und intensiver.

Aber Insekten gelten als nahrhaft und gesund.

Das Problem der Proteinversorgung des Menschen wird größer. Deshalb plädieren wir als Tierrechtler dafür, ernährungsmäßig direkt auf die pflanzliche Ebene zu gehen, statt den Umweg über die Insekten zu wählen. Denn auch Wirbellose fühlen Leid und Schmerzen.

Woher wissen Sie das?

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat zum Beispiel wissenschaftliche Untersuchungen hinsichtlich der Schmerzempfindlichkeit von Hummern durchführen lassen. Dabei wurden Gehirn- und Nervenströme bei Hummern gemessen, die in kochendes Wasser geworfen oder mit Elektroschocks traktiert wurden. Sie reagierten mit Stress.

Aber Wirbellose haben nur ein Mini-Gehirn.

Stimmt. Aber das mit der Hirngröße sehen wir Tierrechtler anders: Schmerzempfindung ist vom Organismus nicht eingerichtet, um anderen zu zeigen: Das tut jetzt weh. Schmerz ist vielmehr ein Warnsignal, ein Schutzmechanismus für das Tier selbst. Auch für das wirbellose Tier. Deshalb sind Schmerz- und Leidempfinden auf jeden Fall vorhanden – egal, wie groß das Gehirn ist.

Der Tierpsychologe Vincent Dethier hat bei elektrogeschockten Küchenschaben ein Vermeidungsverhalten beobachtet. Andere verletzte Insekten schütteten Hormone in die Blutbahn, ähnlich unserem ­Adrenalin.

Ja. Und gerade dieses Vermeidungsverhalten ist entscheidend: Das Tier hat gelernt, dass Gefahr existiert, und weicht ihr aus.

Und wenn man eine Spinne jagt und ins Glas setzt, tobt sie panisch darin herum. Aber diese Angst kann man nicht beweisen.

Noch nicht. Es muss aber auch nicht alles bis ins Kleinste gemessen werden. Ich sage Ihnen: Gucken Sie sich dieses Tier an – ohne dass Sie sehen, dass es schwitzt, dass es höhere Frequenzen im Kreislauf hat. Beobachten Sie das Verhalten des Tieres mit Empathie, und Sie werden feststellen: Es leidet.

Aber ist sich ein Insekt des Schmerzes bewusst?

Wir können jetzt natürlich über Begriffe wie „Bewusstsein“ und „Instinkt“ diskutieren. Bei Wirbellosen ist es natürlich oft Instinkt. Aber moralisch macht es keinen Unterschied, ob ein Schmerz bewusst ist oder nicht.

Und wie steht es mit den für die Schmerzmeldung nötigen Nozizeptoren? Insekten haben meist keine und spüren also keinen Schmerz?

Das könnte man eventuell schlussfolgern.

Die Heuschrecke frisst weiter, während sie selbst gefressen wird.

Ja, das ist eigenartig. Dafür habe ich auch keine Erklärung.

Letztlich ist das „Leid“, mit dem Sie argumentieren, also eine moralische Kategorie.

Ja, auch. Und für uns Tierrechtler die entscheidende.

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