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Popmusik Ein neues Festival, das es am liebsten allweil frisch will: „Pop-Kultur“ winkt bei seiner ersten Ausgabe im Berghain mit vielen Premieren – und Neneh Cherry

von Juliane Streich

Am Anfang war Berlin. Acid House, Dubstep oder Delta-Blues haben hier ihren Ursprung, genau wie der Moonwalk oder auch das Schmeißen von Fernsehern aus Hotelfenstern. Angeblich war der Schlagzeuger Florian Fiedler der erste, der für diesen Akt der Dekonstruktion verhaftet wurde. 1953 soll es gewesen sein in der Joachimsthaler Straße.

Geschichten wie diese hat das Festival „Pop-Kultur“ auf Plakate gedruckt. Denn die erste, am gestrigen Freitag abgeschlossene Ausgabe der „Pop-Kultur“, Nachfolger der Berlin Music Week, stand unter dem Motto „It began in Berlin“. Ob Acid House nun wirklich im Westberliner Neubauwohnzimmer von der Mutter von Mixmaster Moritz entstanden ist, lassen wir mal ungeprüft, klar ist die Botschaft der „Pop-Kultur“-Veranstalter dennoch: Berlin ist die Stadt, in der Neues passiert.

Gemäß dieser Losung sind fast alle Veranstaltungen der drei „Pop-Kultur“-Tage im Berghain als „Premiere“ oder „Uraufführung“ angekündigt, wobei man sich fragen kann, ob das ähnlich witzig gemeint ist, wie die Geschichte von Mixmaster Moritz. Denn neben tatsächlich neuen Kollaborationen wie Pantha du Princes neue Band The Triad reicht es für eine Ankündigung als Premiere auch aus, wenn man wie Andreas Dorau und Sven Regener zwar schon mit seinem Programm durch die halbe Repu­blik getourt ist, aber das halt noch nicht gemeinsam in Berlin vorgelesen hat. Oder wenn man wie Die Nerven oder Schnipo Schranke einfach ein paar neue Songs im Repertoire hat.

Die beiden Hamburgerinnen sind mit den Liedern ihres in einer Woche erscheinenden neuen Albums „Satt“ der heimliche Headliner des Donnerstagabends. Ihr Konzert in der Kantine des Berghains ist seit Wochen ausverkauft, dementsprechend heiß und stickig ist es, als „schwitzige Stinker“ wird das Publikum dementsprechend von den Musikerinnen begrüßt, die in schlafanzug­ähnlichen Outfits frohgelaunt ihre Lieder über gestörtes Beziehungsverhalten darbieten. Friederike Ernst sagt, sie „wolle keine Hände sehen und auch nicht wissen, ob es euch gutgeht. Berliiiin“, wie sie den Hauptstadtnamen so abwertend wie nur möglich betont. „Berghain – das klingt wie Schmelzkäse“, fügt der mitgereiste Livemusiker hinzu.

Dass die „Pop-Kultur“ nun auf sechs Bühnen in diesem Schmelzkäse stattfindet, ist tatsächlich etwas Neues. Obwohl in der Panorama-Bar auch bei diesem Festival immer wieder elektronische Tanzmusik abgefeiert wird, geht der Unterhaltungsanspruch mit Diskussionen und Workshops doch weit über ein einfaches Dreitage-Wach hinaus.

So sitzt zum Beispiel der Maler Norbert Bisky in der Garderobe des Clubs und unterhält sich mit Tom Fritz. Der Neurowissenschaftler hat Fitnessgeräte erfunden, mit denen man tranceartige Elektromusik erzeugen kann, bei der sich die Muskeln besser entspannen und durch die man gern stundenlang trainiert. „Gymming“ nennt sich das dann – eine Mischung aus Gymnastik und Jammen. „Das wäre doch auch was fürs Berghain“, sagt Bisky.

Er kennt den Club gut, hat für dessen zehnten Geburtstag im vergangenen Jahr einen Tanzteppich, auf dem Balletttänzer normalerweise performen, bemalt und selbst zum Tanzen gebracht. Durch Luftströme bewegt, hing der in der Halle am Berghain, die dank ihrer Industriestruktur so riesig ist, dass alles in ihr „wie Spielzeug wirkt“, so Bisky.

Die Botschaft der „Pop-Kultur“-Ver­anstalter ist klar: Berlin ist die Stadt, in der Neues passiert

Wie Spielzeug wirkt Neneh Cherry zwar nicht, als sie am Donnerstag auf die Bühne in der Halle kommt, aber auch sie ist beeindruckt von der Höhe des Raums. Unglaublich sei das hier. Und der Hall der Halle, mit dem schon der Applaus wie riesiger Krach klingt, gibt ihr Recht. Dieser Teil des ehemaligen Heizkraftwerks wird sonst kaum bespielt, bislang kennen ihn nur Besucher des Staatsballetts, das hier mal eine Vorstellung hatte, oder der Ausstellung zum Berghain-Geburtstag.

Nun steht hier also Neneh Cherry mit einem Handtuch auf dem Kopf, das sie sich zum Turban gerollt hat, und fordert alle auf, die Welt zu verändern. „Wenn wir alle mitmachen, können wir wirklich was bewegen“, sagt sie. Applauslärm. Zudem fordert sie immer wieder die Rechte von Frauen ein. Ihren Hit „Woman“ von 1996 hat sie umgeschrieben, „It’s a woman’s world“ klingt jetzt wütender. „Heute ist es das erste Mal, das wir diese neue Version spielen“, sagt die Schwedin. Eine Uraufführung!

Dabei war ihr Konzert eines der wenigen, das nicht als „Premiere“ angekündigt wurde. Also fürs nächste Mal: Die Welt der Frauen – sie begann in Berlin.

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