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Drama in Funktionskleidung

Lidokino 2 Der Isländer Baltasar Kormákur will mit seinem Film „Everest“ zu viel auf einmal: das kommerzialisierte Bergsteigen kritisieren und das Abenteuer auskosten

Jake Gyllenhaal landet wegen des Wettbewerbsbeitrags „Everest“ zu den 72. Internationalen Filmfestspielen von Venedig am Lido Foto: Ettore Ferrari/dpa

von Cristina Nord

Während feuchte Hitze allen Mostra-Besuchern den Schweiß über Stirn und Wangen rinnen lässt, bleibt es auf der Leinwand kalt. Denn der Eröffnungsfilm, „Everest“ von dem isländischen Regisseur Baltasar Kormákur folgt Bergsteigern auf den höchsten Gipfel der Welt. An Gletschereis, frostigem Wind, Schneegestöber und Wechten herrscht deshalb kein Mangel. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten; im Mai 1996 versuchten zwei Teams gemeinsam, den Gipfel des Mount Everest über die Südroute zu besteigen, wurden aber von einer Kaltwetterfront mit Sturm und Gewitter überrascht, sodass mehrere Männer und die einzige Frau den Abstieg nicht schafften.

Der Journalist Jon Krakauer war unter den Überlebenden, er schrieb über die Expedition das Buch „Into Thin Air“ („In eisige Höhen“, 1997). Um die dem Hochgebirge eigenen visuellen Effekte zu verstärken, benutzt Kormákur 3-D. Das entfaltet eine gewisse Wirkung, etwa wenn man von unten, aus einer Gletscherspalte heraus, auf eine Leiter blickt, die wackelt und in die Tiefe zu stürzen droht, während einer der Bergsteiger unglücklich daran hängt; aus eigener Kraft, so viel ahnt man, kommt der Mann nicht auf die Beine und auf festen Grund.

Hübsche Effekte ergeben sich auch, wenn ein Eispickel im Bildvordergrund in den Schnee schlägt, während der dazugehörige Mann in den Hintergrund verbannt wird, oder wenn halb erfrorene Hände in den Kinoraum ragen. Doch sosehr solche Einstellungen die Dramatik des Geschehens unterstreichen, so wenig täuschen sie darüber hinweg, dass Kormákur für ein grundlegendes Problem keine Lösung findet. Die Flugaufnahmen vom Gipfel oder von besonders markanten Passagen sowie die Kamerafahrten über vergletscherte Flächen, an spektakulärem Eisbruch oder dunklem Fels vorbei, stehen eher unverbunden neben dem eigentlichen Geschehen.

Kaum nähert sich die Kamera den Bergsteigern, sieht man nicht viel mehr als Wesen, die bis zur Nasenspitze in Funktionskleidung eingewickelt sind. Man kann sie nicht gut ausein­anderhalten, woran auch der Versuch eines Farbleitsystems – Rob Hall, der Expeditionsleiter (Jason Clarke) trägt eine rote Daunenjacke, Yasuko Namba (Naoko Mori), die Frau im Team, eine hell­blaue – nichts ändert, und das macht die Orientierung in der Ansammlung von Haupt- und Nebenfiguren bisweilen schwer. Das würde nicht weiter stören, ließe „Everest“ das flache, sichere Terrain des Erzählkinos hinter sich. Das tut der Film aber in keinem Augenblick.

Und er will zu viel auf einmal: Kritik am kommerzialisierten Bergsteigen üben, das Abenteuer und das Heldentum auskosten und es zugleich unterspülen, außerdem möglichst akkurat und detailreich das Scheitern der Expedition nachzeichnen. Dabei verliert „Everest“ eine eigene Position aus dem Blick. So stehen dann klischeehafte Szenen, in denen Halls schwangere Ehefrau Jan (Keira Knightley) zu Hause vor Sorge schier umkommt, neben überraschend nonchalanten Bildern. Der Tod der Bergsteiger etwa ereignet sich eher beiläufig. Als einer an der Felskante Hillary Step den Verstand verliert, hakt er sich aus dem Seil aus und rutscht nach unten aus dem Bild. Schade nur, dass es mit der Nonchalance vorbei ist, wenn man danach die leeren Karabiner im Bildvordergrund baumeln sieht.

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